Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Er war der Mann hinter Strauß

Nachruf Stimme der Partei, bayerische­r Patriot, Alter Ego: Winfried Scharnagl verband ein geradezu symbiotisc­hes Verhältnis mit dem legendären CSU-Vorsitzend­en

- VON RUDI WAIS

Augsburg Franz Josef Strauß war sein Alter Ego – und Georg Arbogast Freiherr von und zu Franckenst­ein sein heimlicher Held. Wenige Bayern haben Wilfried Scharnagl so beeindruck­t wie der in Würzburg geborene Jurist, der im Januar 1871 als einer von nur drei Abgeordnet­en gegen den Beitritt des Königreich­s Bayern zum neuen, von Preußen dominierte­n deutschen Kaiserreic­h gestimmt hatte. „Ein Land mit vollständi­g geordneten Finanzen“, fragte Franckenst­ein damals, „soll unfähig sein, für sich fortzubest­ehen?“

Spät erst hat Scharnagl, der Historiker, sich noch einmal dieses Themas angenommen und ein Buch mit dem plakativen Titel „Bayern kann es auch alleine“geschriebe­n, eine Provokatio­n im besten Strauß’schen Sinne, in der er Bayern als tapferen David beschrieb, der sich in Deutschlan­d wie in Europa einer großen Koalition der Forderer und Nehmer gegenüber sieht, die von den Bayern nur eines wollen: ihr Geld. Seinem Mentor Strauß, darf

Sein Abitur hat er in Donauwörth gemacht

man annehmen, hätte das Plädoyer für ein unabhängig­es Bayern gefallen. Schließlic­h hat er einmal gesagt: „Scharnagl schreibt, was ich denke, und ich denke, was er schreibt.“

24 Jahre lang war der gestern kurz vor seinem 80. Geburtstag gestorbene Scharnagl als Chefredakt­eur der Parteizeit­ung Bayernkuri­er die Stimme der CSU: konsequent konservati­v, streitbar, immer im Dienst. „In Bayern gehen die Uhren eben anders“, befand er im April 2001 in seinem letzten Leitartike­l. „Weil sie von der CSU anders gestellt werden.“Pointiert in seiner Argumentat­ion und gerne ein wenig boshaft in seinen Kommentier­ungen konnte der Mann mit dem mächtigen Schädel sich sicher sein, dass seine oft ellenlange­n Texte auch von denen gelesen wurden, für die die CSU so etwas war wie der leibhaftig­e Gottseibei­uns. Schließlic­h sprach aus diesen Leitartike­ln immer auch Strauß, für den er nicht nur Berichters­tatter war, sondern auch Vertrauter, Ratgeber, Weggefährt­e. Ja, mehr noch: Mit Scharnagl, sagt Parteichef Horst Seehofer, habe die CSU einen großen bayerische­n Patrioten verloren.

Auch nach dem Tod von Strauß 1988 blieb der konservati­ve Publi- zist eine Institutio­n in der CSU. Gesundheit­lich nach mehreren Knochenbrü­chen und einem Schlaganfa­ll schon schwer gezeichnet, nahm Scharnagl bis ins hohe Alter wie selbstvers­tändlich an den Sitzungen des Parteivors­tandes teil, zuletzt allerdings mit schwindend­em Vergnügen. Noch wenige Tage bevor er mit einer Lungenentz­ündung ins Krankenhau­s musste, klagte Scharnagl einem Reporter des Spiegel: „Die Entwicklun­g meiner Partei macht mich traurig.“Ein Ergebnis mit einer Drei am Anfang hielt er da noch für unvorstell­bar. Die Schuldige für den Niedergang seiner CSU hatte er aber bereits ausgemacht: „Die Frau Merkel ist ein Unglück. Sie ist ein Unglück für die Union.“

Geboren in Hinterkott­en im Sudetenlan­d hatte es Scharnagls Familie nach dem Krieg ins bayerische Schwaben verschlage­n, genauer: nach Oberndorf am Lech. In Donauwörth ging Sohn Wilfried von 1949 an auf das Gymnasium, machte dort auch Abitur und studierte anschließe­nd Geschichte und Germanisti­k in München und Frankfurt. Nach einem Gastspiel beim Freisinger Tagblatt trat er 1964 in die Redaktion des Bayernkuri­er ein, dessen Chefredakt­eur er 1977 wurde. Aus seiner Bewunderun­g für das Faszinosum Strauß, wie er den 23 Jahre älteren Vorsitzend­en häufig nannte, war da schon eine christsozi­ale Männerfreu­ndschaft geworden. Und wenn über dem Leitartike­l im Bayernkuri­er einmal nicht der Name Scharnagl stand, sondern der von Strauß, hatte den natürlich nicht der Parteichef höchstselb­st geschriebe­n, sondern der Chefredakt­eur, der viel mehr war als „nur“Chefredakt­eur.

Scharnagl begleitete den Vorsitzend­en auf großen Reisen wie der zu Deng Xiaoping in Peking oder dem legendären Flug im Moskauer Schneegest­öber zu Michail Gorbatscho­w. Er fuhr mit ihm auch jedes Jahr für ein paar Tage in Urlaub und schrieb mehrere Bücher über Strauß, dessen Frau Marianne und die Defizite der Europäisch­en Union. Im Fernsehrat des ZDF versuchte er trickreich, allzu linksgewir­kte Chefredakt­eure zu verhindern, und teilte auch sonst gerne kräftig aus. Journalist­en, die aus seiner Sicht etwas zu kritisch mit seiner CSU umsprangen, stellte er spätestens beim nächsten Parteitag: „Also, was Sie da geschriebe­n haben …“

Wie eng und symbiotisc­h die Beziehung zwischen Strauß und ihm war, zeigte Scharnagl nach dem Tod des CSU-Vorsitzend­en noch einmal, indem er dessen Autobiogra­fie „Erinnerung­en“vollendete und dafür von ungewohnte­r Seite geadelt wurde. Absolut authentisc­h sei der Text geworden, lobte die Münchner Journalist­enlegende Herbert RiehlHeyse damals, ein Mann, der sich ein ganzes Berufslebe­n lang kritisch mit der CSU auseinande­rgesetzt hatte. Bei Scharnagl aber war er sich sicher: „So redet und schreibt nur Strauß.“

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Foto: Sven Simon Er schreibt, was ich denke, und ich denke, was er schreibt: Mit diesem legendären Satz hat Franz Josef Strauß einst sein Verhältnis zu Wilfried Scharnagl, dem langjährig­en Chefredakt­eur des Bayernkuri­er, beschriebe­n.

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