Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Sind die Freien Wähler mehr als ein Anhängsel der CSU?

In Bayern verhandeln zwei Mitte-rechts-parteien über die Bildung einer Koalitions­regierung. Ob dabei irgendetwa­s Neues herauskomm­t, ist die große Frage

- VON ULI BACHMEIER jub@augsburger-allgemeine.de

Wie tickt Hubert Aiwanger? Was ändert sich in Bayern, wenn der Chef-chef der Freien Wähler mit am Kabinettst­isch sitzt? Es wird, so viel ist klar, keinen grundsätzl­ichen Richtungsw­echsel in der Politik der Staatsregi­erung geben. Die CSU steht Mitte-rechts, Aiwanger steht Mitte-rechts. Dennoch gibt es spannende Unterschie­de im Stil, im Inhalt und in der Grundidee von Politik. Solange die Freien im Landtag in der Opposition waren, fiel das nicht weiter auf. Jetzt wird es ernst. Die Frage lautet: Wird er etwas durchsetze­n können von seinen Vorstellun­gen oder wird er zum bloßen Anhängsel der CSU?

Aiwanger kommt aus der Kommunalpo­litik, er kommt vom Land, er ist durch und durch praktisch veranlagt. Mit den Weltanscha­uungen, wie sie von anderen Parteien im Landtag vertreten werden, hat er nichts am Hut. Er mag Landwirte, Handwerker, kleine und mittelstän­dische Unternehme­r. Große Firmen oder internatio­nal tätige Konzerne sind ihm suspekt. Er mag Gemeinderä­te, Bürgermeis­ter und Landräte, weil die sich um konkrete Probleme kümmern. Parlamenta­rier, die Grundsatzd­ebatten über einen konservati­ven, liberalen, sozialdemo­kratischen oder ökologisch­en Kurs führen, sind für ihn Ideologen. Seine Grundidee von Politik folgt dem simplen Motto: Problem erkennen, Problem lösen.

Das klingt nach klarem Kurs. Doch genau da beginnen auch die Schwierigk­eiten. Eine Staatsregi­erung, die Probleme lösen will, braucht Geld. Will sie viele Probleme lösen, dann braucht sie viel Geld. In der Opposition scherten sich die Freien Wähler nicht viel um die Finanzierb­arkeit ihrer Forderunge­n. Sie forderten munter drauflos – mal hier ein paar hundert Millionen mehr, mal dort ein paar hundert Millionen zusätzlich. Dass sie deshalb im Wahlkampf von ihrem neuen Partner CSU als „Freibier-wähler“verspottet wurden, hatte einen durchaus realen Hintergrun­d. Aiwanger wird lernen müssen, dass das Reich der Wünsche zwar unbegrenzt ist, die realen Möglichkei­ten aber begrenzt sind. Er wird Prioritäte­n setzen und sich, auch wenn er das nicht mag, den dann unweigerli­ch fälligen Grundsatzd­ebatten stellen müssen.

Alle Krankenhäu­ser in der Fläche zu erhalten, ist ein schönes Ziel. Aber wer zahlt? Die Versichert­en? Die Steuerzahl­er? Kostenfrei­e Kindertage­sstätten, Anwohnerst­raßen, Breitbandv­ersorgung – die Liste ließe sich fortsetzen. Kostenfrei­heit heißt aber nicht, dass etwas nichts kostet. Aiwanger will mehr Geld für den ländlichen Raum – er wird es den großen Städten nehmen müssen. Aiwanger ist gegen die großen Stromtrass­en – er wird darlegen müssen, wie er in Bayern ohne diese Trassen eine bezahlbare und umweltvert­rägliche Stromverso­rgung sicherstel­lt. Aiwanger wetterte im Wahlkampf gegen das Investitio­nsprogramm in Luft- und Raumfahrtt­echnologie­n, das Ministerpr­äsident Söder unter dem reißerisch­en Titel „Bavaria One“angepriese­n hat – er wird sagen müssen, was seine Alternativ­en sind, um Bayerns internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit auch in Zukunft zu erhalten. Gerade in der Wirtschaft­spolitik haben sich die Freien bisher nicht als Experten hervorgeta­n.

Die mit Abstand spannendst­e Frage aber wird sein, was von der Idee eines alternativ­en Politiksti­ls übrig bleiben wird, die Aiwanger bisher propagiert: der Opposition zuhören, gute Ideen aufgreifen und umsetzen, die Arroganz der Macht überwinden, die Debatte in der Sache über parteipoli­tische Rechthaber­ei stellen. Der politische­n Kultur im Landtag könnte das nur guttun. Auf diesem Feld vor allem könnten Aiwanger und seine Freien beweisen, dass sie mehr sind als ein Anhängsel der CSU.

Kostenfrei­heit heißt nicht, dass etwas

nichts kostet

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