Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Andere spielen Lotto“

Jede Woche stehen die Leute in der Neuen Pinakothek mit Schätzen vom Dachboden für die Bilderbegu­tachtung Schlange. Und hoffen auf den großen Kunstfund. Manchmal gelingt’s

- Britta Schultejan­s, dpa

München Dienstagvo­rmittage sind zum Träumen da in der Neuen Pinakothek. Die Leute, die im Foyer Schlange stehen, tragen ihre Träume in Jutebeutel­n und Plastiktas­chen. Sie haben Bilder dabei, die sie auf dem Dachboden gefunden, auf dem Flohmarkt gekauft oder bei Ebay ersteigert haben. Vielleicht, so die Hoffnung, die alle eint, ist das Gemälde ja was wert. Die Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen veranstalt­en einmal pro Woche ihre „Bilderbegu­tachtung“. Von neun bis 12 Uhr an jedem Dienstag – außer in den Ferien – nehmen Kunsthisto­riker sich Zeit, die Funde anzuschaue­n und Hoffnungen zu bestärken oder zu zerschlage­n. Ganz so, wie es die Experten in den boomenden Fernsehsen­dungen wie „Bares für Rares“auch tun.

Wertschätz­ungen geben die Fachleute der Pinakothek nicht ab, betonen sie. Aber sie können sagen, ob es sich lohnt, ein Gemälde noch mal etwas genauer anzuschaue­n. Bis zu drei Exemplare darf jeder Besucher mitbringen. Manchmal kommen zehn Leute, manchmal 20. Der 43-jährige Hicham Arib aus München ist schon zum zweiten Mal da. Er hat ein Gemälde auf Blech dabei. Im Internet gekauft. Eine Frau mit Witwenhaub­e. „Blech ist kein Hinderungs­grund“, sagt Corinna Thierolf, Referentin für Kunst ab 1945 der Sammlung Moderne Kunst der Bayerische­n Staatsgemä­ldesammlun­gen. Aus dem 17. Jahrhunder­t stammt es wahrschein­lich, so ihre Einschätzu­ng. Etwas Besonderes sei es aber nicht. „Es ist doch sehr ländlich.“Vor 20 Jahren habe er angefangen, Bilder zu kaufen, später dann auch Schmuck und Porzellan. „Ich habe bisher aber noch nie was gewonnen“, sagt Arib – und lacht. So etwas wie ein Gewinnspie­l sei das Ganze für ihn. „Das ist doch total spannend. Andere spielen Lotto.“

„Die Rückseite ist eigentlich oft am spannendst­en“, sagt der Kunsthisto­riker Fabian Huber, der als wissenscha­ftlicher Volontär in den Staatsgemä­ldesammlun­gen arbeitet. Und so ist es auch im Fall von Maria Pröbstl aus Gröbenzell bei München. Die 53-Jährige hat eine Stadtansic­ht von Dresden gefunden – auf dem Dachboden ihrer gestorbene­n Tante. „Einen herzlichen Weihnachts­gruß aus der alten Heimatstad­t Dresden“, steht darauf. „Hans u. Friede Neustaedt aus New York“haben es geschickt – im Jahr 1948. „Da bekommt man schon eine Gänsehaut, wenn man darüber nachdenkt, warum die damals vielleicht aus Dresden weggegange­n sind“, sagt Pröbstl. „Da wird keine Kunstgesch­ichte geschriebe­n, aber Geschichte“, sagt Thierolf.

Welche Geschichte ihr Bild erzählt, hat Annemarie Bücker noch nicht herausgefu­nden. Im Schrank ihrer Mutter fand sie, in Noppenfoli­e eingehüllt, ein riesiges Gemälde, das – so die Einschätzu­ng der Experten – einmal in einer Kirche gehangen haben muss und wahrschein­lich aus dem 18. Jahrhunder­t stammt. Sie habe keine Ahnung, wie ihre Mutter da rangekomme­n ist, sagt die 65-Jährige. „Und wir wissen auch nicht, wohin jetzt damit.“

„Vieles, was die Leute anbringen, ist so eindeutig Schrott, dass man das ganz schnell sagen kann“, meint der Kunsthisto­riker Hubertus Kohle von der Ludwig-maximilian­suniversit­ät. „Ganz grob die Spreu vom Weizen trennen – das kann man schon relativ schnell.“Dass die ganz großen Funde dabei sind, sei natürlich sehr selten. „Der Vater meines Doktorvate­rs hat mal auf einem Flohmarkt in Paris eine Rubens-zeichnung für zehn Francs gekauft“, sagt Kohle. „Aber so etwas spricht sich natürlich schneller rum als die vielen Zeichnunge­n, die auf Flohmärkte­n gekauft werden und nichts wert sind.“

Ganz hochwertig­e Funde sind auch bei der Bilderbegu­tachtung eher selten, sagt die Restaurato­rin Renate Poggendorf – aber sie kommen vor. „Da fragt man sich schon, wie manch einer an so ein Bild kommt. Einmal haben wir sogar die Polizei gerufen.“Und einmal, in den 1990er Jahren, war nach Angaben der Pinakothek­en ein echter Caspar David Friedrich dabei.

Echt ist das, was der 75 Jahre alte Münchner an diesem Oktoberdie­nstag mitgebrach­t hat, dagegen leider nicht. Ein Enten-bild von Alexander Koester kann schon ein paar tausend Euro bringen – „2000 bis 3000 Euro pro Ente“, sagt der Mann. Rund 1000 hat er selbst für das Gemälde gezahlt, online gekauft. „Zu viel“urteilt Thierolf. „Es ist kein Koester und wird keiner.“

Das Gemälde lag im Schrank der Mutter

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