Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die kommen wirklich
Es ist aktuell in Amerika wie im Bestseller-roman „Die Hungrigen und die Satten“bei uns: Menschen aus Krisengebieten im Süden ziehen im Trail Richtung wohlhabender Norden. Kann es eine Lösung geben?
Die Ähnlichkeit zwischen Fiktion und Wirklichkeit ist so frappierend, dass nun endgültig klar sein dürfte: Es ist eine todernste Frage, vor die uns der Bestseller-satiriker Timur Vermes mit seinem Roman „Die Hungrigen und die Satten“stellt. Denn wie sich jetzt ein Flüchtlingstrail plötzlich aus Honduras und El Salvador auf die USA zubewegt, so brechen in seiner Vision ja hunderttausende Afrikaner in Richtung Deutschland auf. Also hier wie dort: Was, wenn keiner sie aufhält? Wenn kein noch so mächtiger politischer Druck hilft, Mr. Trump? Grenzen mit allen Mitteln dicht? Im Zweifelsfall Schießbefehl?
Timur Vermes hat darauf eine ernst gemeinte Antwort in seinen Roman geschrieben, die man nun, da das Buch zwei Monate auf dem Markt und zugleich in den Bestsellerlisten ist, wohl auch verraten darf, ja muss. Denn die anderen aktuellen Reaktionen und Debattenbeiträge zur Migrationsthematik verdeutlichen eher die Probleme, statt Lösungen zu bieten. Zwei Dinge jedenfalls müssen klar sein, da kann einer wie Björn Höcke noch so deutlich erklären: „Ich wünsche mir meine alte Bundesrepublik zurück.“Das Problem wird unweigerlich auf uns wohlhabende und sichere Sehnsuchtsländer im Norden zukommen. Und es wird nicht genügen, wenn wir nur das Mindeste tun, das inzwischen ja breit eingeräumt wird, darin ist sich sogar die EU einig, da stimmt auch Thilo Sarrazin in seinem neuen Buch „Feindliche Übernahme“zu: Afrika irgendwie unterstützen.
Die Deals, die die Grenze Europas möglichst nach Nordafrika verlagern, werden wohl nicht reichen, bei all den Klimakrisen und Machtkonflikten, die für weitere Migration sorgen werden. Wer, wie Sarrazin, dafür plädiert, Menschen, die wir hier nicht haben wollen, im Zweifelsfall mit eigenem Militär und gegen den Willen der Herkunftsländer dorthin zurückzubringen, der wird nicht etwa für mehr Klarheit, sondern für noch mehr Konflikte sorgen.
„Die Furcht der Reichen kommt meist vor der Wut der Armen“, schreibt denn auch der Publizist Georg Diez in seinem neuen Buch, das nicht von ungefähr „Das andere Land“heißt. Denn so wie die Wiedervereinigung unser Land veränderte, wird auch die Migration dieses Land unwiederbringlich verändern. Wir – wie Trump und die USA auch – haben die Wahl, wie anders dieses Land wird.
Und damit Auftritt des Helden in Timur Vermes’ Roman. Er ist nicht etwa ein moralisierender Prophet einer offenen Gesellschaft, wie Georg Diez einer ist. Sondern ein ziem- lich pragmatischer, erfahrener Bundesinnenminister von der CSU. Leubl heißt er und sieht zwei klare Alternativen. Wenn wir durch geschlossene Grenzen die Migration einfach aufhalten wollten, werden wir früher oder später schießen müssen. Und um das – bewusst oder unbewusst – vor unserem Gewissen verantworten zu können, genügt es nicht, auf die Fragilität des eigenen Wohlstandes zu verweisen. Wir müssen die, die da sterben, zu unserer Entlastung abwerten. Wir bräuchten Feindbilder, kultivierten Rassismus. Wir würden lernen, uns „zu Opfern umzulügen“. Und in solcherlei geschlossenen Gesellschaften würde auch der Wohlstand allmählich sterben.
Freilich ist das Öffnen der Grenzen ebenso wenig eine Alternative, sie führte nur noch mehr zu einem Rechtsruck.
Darum kommt für Leubl nur die pragmatische Lösung in Betracht, die die Wohlstandsnationen früher oder später als Notwendigkeit zu akzeptieren hätten. Es geht um Kooperation, ein Geschäft. Er sagt: „Es kommen mehrere hunderttausend Menschen. Der Großteil dieser Menschen wird bleiben. Und es werden Weitere kommen, und weil wir das wissen und akzeptieren, werden wir das in berechenbaren Bahnen bringen. Wir werden diese Menschen künftig schon in ihren Herkunftsländern ausbilden müssen. Wer sich am meisten Mühe gibt, wird am schnellsten zu uns gebracht. Wir werden Ausbildungsstätten bauen, in Afrika und im Osten Deutschlands, damit die Landschaften da wirklich zu blühen anfangen. Wir werden Milliarden ausgeben, und zwar eher fünfzig als fünf.“
Das soll dann, so Leubl und damit Vermes, positive Folgen haben. „Erstens: Wir haben gute Chancen, dass wir unseren Wohlstand in Zukunft behalten dürfen.“Denn je mehr Menschen in diesem Wirtschaftssystem mitarbeiteten, umso mehr Menschen passten ins Boot. „Zweitens: Wir werden besser ausgebildete Einwanderer bekommen als jedes Land der Erde. Denn wir können sie nach unseren Bedürfnissen ausbilden. Das ist ein Deal: Wir bieten Schutz und Einkommen gegen Mitarbeit. Drittens: Mit etwas Glück werden die anderen wohlhabenden
Unser Land wird sich verändern – so oder so
Nationen von uns kopieren.“Utopisch? Vermes betont: Eben nicht! Nur so ginge es.
Gestützt kann er sich durch einen Befund des Harvard-stars Steven Pinker fühlen. Er zeigt im Buch „Aufklärung jetzt“, dass wir nicht nur Optimismus brauchen, wie es Georg Diez fordert. Sondern dass wir auch Gründe haben, an Wachstum und Gelingen zu glauben. Während sich nämlich das Gefühl der Bedrohung und des Niedergangs aktuell in den Wohlstandsnationen breitmache und die Politik präge, zeigten historische Vergleiche, hier in vielen Statistiken nachgewiesen: Es geht uns so gut wie nie. Die Menschen leben länger, gesünder, sicherer, glücklicher, friedlicher, wohlhabender. Nicht nur in der westlichen Welt. Der Grund: unsere Werte. Je kooperativer die Welt ist, desto besser. Das lehrt nicht die Fiktion, sondern die Wirklichkeit.
» Die Bücher
- Timur Vermes: Die Hungrigen und die Satten. Eichborn, 512 S., 22 ¤
- Georg Diez: Das andere Land.
C. Bertelsmann, 224 S., 16 ¤
- Thilo Sarrazin: Feindliche Übernahme. Finanzbuch, 450 S., 24,99 ¤
- Steven Pinker: Aufklärung jetzt.
S. Fischer, 736 S., 26 ¤