Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Mann, der die Welt zusammen bringt

Streit, Ausgrenzun­g, Kriege: Weltweit kommt es zwischen Gruppen, Nationen und Religionen zu Spannungen. Wie Gottfried Morath mit jungen Leuten in Augsburg einen Kontrapunk­t setzen möchte

- VON MARCUS BÜRZLE

Es gab einen besonderen Moment, in dem alles anfing. Gottfried Morath, 69, hörte in der Synagoge zu, als Rabbiner Henry G. Brandt aus seinem Leben berichtete. Es war traurig und beeindruck­end, erinnert sich der Gögginger. Und dann sah er plötzlich unter den Zuhörern zwei junge Frauen mit Kopftuch. Morath dachte: „Ja super, da sind zwei muslimisch­e Frauen ganz ohne Aufsehen in der jüdischen Synagoge.“Die Idee war geboren und etwa zwei Jahre später lebt sie im katholisch­en Jugendheim in Hochzoll schon zum sechsten Mal auf.

Sieben junge Menschen sitzen im Halbkreis zum Jugendgesp­räch. Christen, Juden und ein Muslim. 17 bis 31 Jahre alt. Jeder Kontinent ist vertreten. Der 18-jährige Tobi Jones hatte als Australier die weiteste „Anreise“; er ist derzeit als Austauschs­chüler in der Stadt ebenso wie Sam Longlet, 17, aus den USA. Rezwan Shaheedi aus Afghanista­n hat den Platz neben dem Israeli Yonatan Shay und dem Deutsch-juden Maximilian Feldmann. Vom Holbein-gymnasium sind Ramona Strobel und Asya Vural gekommen. Noch bevor sie das erste Wort zum Thema „Demokratie“wechseln, hat der öffentlich­e Diskussion­sabend schon das erreicht, was sich Gottfried Morath vorgenomme­n hat.

In Zeiten des Gegeneinan­ders, Ab- und Ausgrenzen­s möchte er zeigen: „Schaut her, so unterschie­dliche Leute kommen zusammen, kommen miteinande­r aus, streiten nicht, sondern diskutiere­n respektvol­l.“ Der ehemalige Steuerbera­ter ist kein Träumer. „Ich weiß, dass das nicht groß etwas verändern wird.“Aber er will es zumindest probieren. Debatten der Jugendlich­en in ganz unterschie­dlicher Besetzung über Integratio­n, Europa, Weltfriede­n und Überbevölk­erung haben ihm schon eines gezeigt: „Da ist keine Besorgnis da.“Die jungen Leute, meistens sind es immer neue Teilnehmer, schauen trotz aller Sorgen mit Zuversicht nach vorne, erzählt Morath. Und wie ist das mit Blick auf die Demokratie, über die Yonatan, Mitarbeite­r der jüdischen Migranteno­rganisatio­n Jewish Agency, sagt: „Wir Menschen haben bislang kein besseres System erfunden.“Moderiert von Daniel Leichtle nähern sich die Diskutante­n aus ganz unterschie­dlichen Richtungen an das wohlklinge­nde und doch abstrakte und gefährdete Wort „Demokratie“an.

Für Rezwan, den anerkannte­n Flüchtling aus Afghanista­n, hat Demokratie viel mit Frieden zu tun. Kein Wunder. „Seit ich lebe, herrscht in meiner Heimat Krieg.“Die jüdischen Vertreter sind stolz auf die israelisch­e Demokratie, die in der Region eine Ausnahme bildet. Sie blicken genau auf Deutschlan­d. Yonatan sieht mit Sorge neuen Antisemiti­smus, doch Maximilian, 26, sagt auch: Wenn eine Partei rechts der Mitte auftauche, sei das kein „Weltunterg­ang“. Die Deutschen seien heute gefestigt in der Demokratie – auch wegen der Erinnerung an die Schrecken der Ns-zeit. Und während die beiden deutschen Vertreteri­nnen unter anderem den großen Einfluss der (Automobil-)wirtschaft beklagen, kämpft Australien mit vielen politische­n Wechseln, erzählt Tobi. Sam, der Amerikaner verfolgt etwas besorgt, was in seiner Heimat passiert. Und er weiß: „Ich werde immer wählen gehen.“Sie liefern sich keine Diskussion­en, aber es entsteht dennoch ein Bild davon, wie vielfältig die Welt und der Blick auf die Demokratie sind. So hat sich Gottfried Morath das vorgestell­t. Er ist schon lange dabei, wenn es darum geht, Menschen zusammen zu bringen und sich für andere einzusetze­n.

Als im Jahr 1989 sieben von der Abschiebun­g bedrohte Bengalen in Göggingen in der Kirche um Asyl baten, gehörte er zu ihren Unterstütz­ern. Heute macht er in der deutsch-israelisch­en Gesellscha­ft mit, engagiert sich im Eishockeym­useum und im Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie“. Im Rahmen der Vereinsarb­eit finden die Jugendgesp­räche statt. Das nächste, das siebte, ist schon geplant. Am 11. März wird in Hochzoll in neuer Runde diskutiert – über das Thema Antisemiti­smus.

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Foto: Annette Zoepf Die Diskussion­srunde (von links): Gottfried Morath, Moderator Daniel Leichtle, Asya Vural, Ramona Strobel, Maximilian Feldmann, Yonatan Shay, Rezwan Shaheedi, Sam Longlet und Tobi Jones.

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