Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die Frage der Woche Ist Halloween der Horror?

- PRO PHILIPP KIEHL CONTRA WOLFGANG SCHÜTZ

Dieses Fest ist der Horror. An keinem Tag des Jahres essen die Menschen derart Unappetitl­iches, sehen derart grauenhaft aus und benehmen sich so, als seien sie beste Freunde von Chucky, der Mörderpupp­e! Oder waren Sie noch nie bei einer Halloween-party?

Falls ja, also nein, hier meine Erlebnisse: Bei Freundin A. gab es Skelette an der Wand, ein paar Spinnweben aus Zuckerguss und halbe Würstchen im Brötchen. Die Würstchen sahen aus wie abgehackte Finger. Das ist lange her. Heutzutage gibt man sich mit abgehackte­n Fingern nicht mehr ab. Bei Freund K. war die gesamte Badewanne gefüllt mit Blut. Also natürlich kein richtiges Blut. Richtiges Blut riecht besser. Dieses Blutbad hatte einen sehr aufdringli­chen Rosenduft. Man konnte sich reinlegen! Freundin B. tat es und wurde nie mehr ganz die alte. Bei Freund S. aß ich Wackelpudd­ing. Im Wackelpudd­ing war leider noch etwas. Den Augapfel habe ich erst entdeckt, als es zu spät war. Ich musste ihn wieder ausspucken, er war aus Plastik. Es war schlimm. Wurde noch schlimmer, als mich jemand mit einer Maske aus Leder und einer großen Axt anrempelte, und mir ins Ohr flüsterte: „Um Mitternach­t bist du tot.“Das war mein Freund L., aber ich erkannte ihn nicht. Wie ich ohnehin fast niemand erkannte. Auch nicht meine an sich sehr nette Freundin L, die als Krankensch­wester ging, im Kopf eine Schere, das Gesicht blutüberst­römt. Sie verfolgte die Gäste mit einer Riesenspri­tze. Ich hätte mich gerne mit ihr unterhalte­n, wenn ich nur etwas früher gewusst hätte, dass sie es ist …

Deswegen: Halloween ist das Grauen. Eine überflüssi­ge Schockther­apie. Es gibt kein Entkommen. Die Partys werden gefeiert. Warum ich dennoch hingehe? Alleine zu Hause fürchte ich mich!

Man muss sich an dieser Stelle eigentlich gar nicht mehr die Mühe machen, darauf hinzuweise­n, dass der vermeintli­che amerikanis­che Firlefanz seine kulturelle­n Wurzeln in Europa hat. Und auch gar nicht mehr darauf pochen, dass auch hier heimische (die AFD würde wohl sagen: autochtone) und mitunter hochheilig­e Feste sich einiges an internatio­nalem und heidnische­m Brimborium einverleib­t haben.

Es sollte zur Verteidigu­ng von Halloween der zarte Hinweis genügen, dass es wirklich etwas sehr Schönes sein kann, mit Kindern an Kürbissen rumzuschni­tzen und die Köpfe dann nachts allüberall flackernd rumgeister­n zu sehen. Das „Rübengeist­ern“übrigens ist ohnehin ein alter hiesiger Herbstbrau­ch… Und man muss die Kleinen ja auch nicht mit Naschereie­n überschütt­en, wenn die – „Süßes! Oder (es gibt) Saures!“– plötzlich vor der Haustür stehen. Aber knuffig finden darf man sie in ihren mitunter aufs Niedlichst­e gruseligen Horrorkost­ümchen dann schon noch, oder? Zu den verbreitet­en Halloween-verkleidun­gs-partys muss keiner gehen – aber sie können eben halt auch einfach ein Anlass sein, mit netten Leuten einen lustigen Abend zu haben. Und dass das manchmal ausartet … – mit diesem Argument könnte man auch die ganze Rumbölleru­nd Zuprostere­i an Silvester am abschaffen wollen. Echt jetzt?

Und um doch noch die große Runde zu nehmen: Gruseln gehört zum Menschense­in, wie das Auftauchen und Beschwören düsterer Gestalten zum Übergang in den Winter und die dunkle Zeit gehören (samt Vertreibun­g zum Frühling). Es ist bei aller Show und allem Schabernac­k also etwas Tieferes, Sinnhaftes darin aufgehoben. Wer also bloßen Blödsinn darin sieht, ist halt Opfer seinen eigenen stumpfen Blicks. Die Welt – ein Spiegel.

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Foto: dpa
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