Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Die Folgen der Trockenheit
Teures Heizöl, bedrohte Tiere, neue Inseln: Wie viel Schaden zu wenig Regen anrichtet
Zu Fuß über den Rhein? Derzeit kein Problem. Wo man sonst ohne Boot nicht weit kommt, klettern Spaziergänger über freiliegenden Steine und Kiesbänke. Wo sich im Sommer Badende tummelten, ist von Wasser keine Spur mehr. Zum Beispiel an der Müritz in der Mecklenburgischen Seenplatte. Dort ist die Badestelle schlichtweg ausgetrocknet. Im Bodensee ist das Wasser sogar soweit abgesunken, dass eine neue Insel aufgetaucht ist.
Das sind die offensichtlichen Auswirkungen der langen Trockenheit. Doch am Rhein zeigt sich gerade deutlich, wie das Prinzip Kettenreaktion funktioniert und dass die Trockenheit nun Auswirkungen hat, die im Sommer noch niemand auf dem Schirm hatte. Es dachte zum Beispiel kaum ein Verbraucher daran, dass er wegen der schweißtreibenden Temperaturen dann im Winter tiefer in die Tasche greifen wird müssen. Heizöl ist derzeit so teuer wie seit fünf Jahren nicht mehr. Obwohl die Weltmarktpreise für Rohöl zuletzt sogar leicht gesunken sind. Wie kommt das?
Wenig Regen und hohe Temperaturen über viele Monate hinweg führen dazu, dass von Deutschlands schiffbaren Flüssen stellenweise nur noch schmale Fahrrinnen übrig blieben. Besonders hart traf es eben auch den größten Strom im Land, den Rhein. Ein durchschnittliches Binnenschiff transportiert etwa dieselbe Menge wie 120 Tanklastwagen. Wegen des niedrigen Pegels können die Schiffe dort zum Teil seit Wochen nicht mehr voll beladen fahren, auf der Elbe schon seit Monaten nicht mehr. Wenn weniger transportiert wird, steigen die Kosten für die Logistik. Wer zum Beispiel eine Frachttonne Rohöl in den für Süddeutschland wichtigen Raffineriestandort Karlsruhe verschiffen will, muss dafür 75 Euro statt den sonst üblichen 15 Euro bezahlen. Sollte es nicht bald viel Regen geben, befürchten Experten sogar Lieferengpässe im Süden des Landes.
Niedrige Wasserstände schaden nicht nur der Schifffahrt. Auch auf viele Wasserkraftwerke in Deutschland hat der Wasserstand Einfluss, wenn auch noch keine gravierenden. Seit Juli liege die Stromproduktion hinter den Vorjahreswerten zurück, sagte der Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Wasserkraftwerke, Harald Uphoff.
Neben Flüssen und Bächen werden auch an Seen rekordverdächtig niedrige Pegelstände gemessen. Kürzlich gingen Bilder von der neuen Bodensee-insel durch die Medien. Diese besteht aus Sand, die der Alpenrhein in das Gewässer gespült hatte. Die Insel wird allerdings wieder verschwinden, wenn sie bei steigendem Wasserstand überspült wird. Und auf steigende Pegel warten viele Anlieger am Bodensee, unter anderem Hobbywassersportler. Es ist nicht die Insel die sie stört, aber an manchen Orten liegen die Stege auf dem Trockenen, sodass beispielsweise Ruderer ihre Boote nicht mehr zu Wasser lassen können. Das Training fällt aus.
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) meldet, dass derzeit rund 70 Prozent der Landesfläche von extremer Trockenheit betroffen sind. „1947 war bisher das Maß aller Dinge“, sagt Dwd-agrarmeteorologe Hans Helmut Schmitt. Auch 1921, 1976 und 1991 seien ungewöhnlich trockene Jahre gewesen. Wo sich 2018 tatsächlich einreiht, wird laut des Meteorologen aber erst Ende des Jahres endgültig feststehen. Schmitt fasst das Problem so zusammen: „Was die Wärme angeht, fahren auf der Überholspur – was den Regen angeht, auf der Standspur.“Die hohen Temperaturen verstärken den geringen Niederschlag, denn der wenige gefallene Regen verdunstet dadurch besonders schnell.
Besonders betroffen sind laut DWD das südliche Rheinlandpfalz, Brandenburg und Sachsenanhalt. Die Situation in Bayern schätzt Schmitt im Gegensatz dazu als „ganz gut“ein. Auch der Pressesprecher des Bayerischen Landesamts für Umwelt in Augsburg, Claus Hensold, bestätigt das. Er sagt: „Wir hatten das Glück, das es gerade Anfang des Jahres in Nordschwaben immer wieder geregnet hatte.“ Und dennoch: Gerade für die Tierwelt stellte und stellt das Wetter in der Region noch eine Gefahr dar. Bernd Horst vom Wasserwirtschaftsamt Donauwörth, dass für Nordschwaben zuständig ist, spricht von sehr niedrigen Ständen die sehr lange anhielten. Kritisch sei die Situation insbesondere im Juli und August gewesen. Er sagt: „Große Fischsterben wären da durchaus möglich gewesen.“Inzwischen hat sich wenigstens die Wassertemperatur normalisiert, sodass auch der damit zusammenhängende Sauerstoffgehalt im Wasser wieder stabil ist.
Während die Fische in den derzeit austrocknenden Bächen nicht in Gefahr sind, ist die Situation für viele Muschelpopulationen sehr kritisch. Matthias Hasenbein von der Muschelkoordinationsstelle Bayern erklärt: „Fische können bei Niedrigwasser in tiefere Gewässer ausweichen. Muscheln dagegen können sich höchsten ein paar Meter fortbewegen.“Hasenbein hofft auf viel Regen, sodass in den ausgetrockneten Bäche und Gräben endlich wieder Wasser fließt. Dieses Jahr sei das extremste gewesen, das er bisher beobachtet hatte, sagt der Muschelexperte. In Schwaben ist zum Beispiel der Nebelbach bei Höchstädt (Landkreis Dillingen) besonders betroffen. Es habe sogar Überlegungen gegeben, die Muscheln aus dem Bach zu evakuieren. Der Niedrigwasserinformationsdienstes des Bayerischen Landesamts geht in seinem aktuellen Lagebericht davon aus, dass sich an den Wasserständen im Freistaat kurzfristig nichts ändern wird. Trotz des Wetterumschwungs vergangene Woche.
Die deutschen Binnenschiffer nehmen sich jetzt übrigens ein Vorbild an der Landwirtschaft. Nach Dürre und Ernteausfällen im Sommer hatte die Bundesregierung den Landwirten finanzielle Hilfen in Millionenhöhe zugesagt. Bei extremen Veränderungen der Wasserstände und existenzbedrohenden Auswirkungen sollen auch an die Binnenschiffer Hilfszahlungen fließen, forderte deren Bundesverband. Bei Karlsruhe ist der Pegel des Rheins inzwischen sogar unter den Wert vom Herbst des Hitzejahres 2003 gefallen. Den Schiffern steht noch eine 1,5 Meter tiefe Fahrrinne zur Verfügung. Ohne Ladung brauchen die durchschnittlich großen Rheinschiffe rund 70 Zentimeter. Mehrere Fähren mussten ihren Betrieb einstellen. (mit dpa)
Wenig Wasser schadet auch den Tieren