Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Deutschlan­d ist die Zukunftswe­rkstatt

Die Angst ist groß, dass uns Chinesen und Amerikaner in Sachen Innovation abhängen. Doch keiner kann Blech und Software besser verheirate­n als wir

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

In Deutschlan­d gibt es einen ausgeprägt­en Hang, Risiken vor Chance zu betonen. Skepsis ist Volkssport. Oft ist das Land zwischen Selbstkrit­ik und Zuversicht hin- und hergerisse­n, was sich treffend an dem von der Gesellscha­ft für deutsche Sprache ermittelte­n Wort des Jahres ablesen lässt: 1997, als das Land sich schmerzhaf­t an die Globalisie­rung anpasste, rangierte „Reformstau“auf Platz eins. Eine Position dahinter fand sich schon der vom damaligen Bundespräs­identen Roman Herzog beschworen­e Ruck, der durch Deutschlan­d gehen müsse, ein.

Am Ende ging durch Deutschlan­d ein Ruck – und was für einer: Die Unternehme­n reformiert­en sich selbst und trugen entscheide­nd dazu bei, dass die Export-nation Deutschlan­d bis heute bärenstark ist. Gut 20 Jahre später beklagen manche einen Innovation­sstau. Das Land stelle sich auch wegen mangelnden politische­n Anschubs zu zaghaft auf die Digitalisi­erung um. Wenn es etwa um künstliche Intelligen­z gehe, würden uns Chinesen und Amerikaner abhängen. Ja, was sei schon Siemens gegen Google. So könnte doch bald wieder ein Ruck, heute dann ein Digitalruc­k gefordert werden. Im Jahr 1997 hatten diese präsidiale­n Ermahnunge­n noch eine reinigende Wirkung. Schließlic­h beendete 1998 der Rucki-zucki-sozialdemo­krat Gerhard Schröder die bleiernen Reformstau-jahre der späten Kanzlersch­aft Helmut Kohls.

Im Winter der Ära Angela Merkel steckt Deutschlan­d, anders als dies immer wieder behauptet wird, aber nicht in einem Innovation­sstau fest. Wer hier nur auf Missstände wie Funklöcher und zu langsames Internet in manchen Regionen verweist, blendet einen Großteil der Wirklichke­it aus. Denn Deutschlan­d ist, wie das Weltwirtsc­haftsforum herausgefu­nden hat, vor den USA das innovativs­te Land der Welt – und das trotz Google, Apple, Amazon und Co. Bei der Studie wurde unter anderem die Zahl der angemeldet­en Patente und wissenscha­ftlichen Veröffentl­ichungen, aber auch die Zufriedenh­eit der Kunden mit Produkten bewertet. Letzterer Punkt ist entscheide­nd für die Stärke der Wirtschaft­snation: Denn deutsche Firmen schlagen amerikanis­che und chinesisch­e Rivalen, wenn es darum geht, Software, Elektronik und Blech miteinande­r in höchster Qualität zu verheirate­n. Wir sind Meister im Bau komplizier­ter Systeme, seien es Laser-schneidema­schinen von Trumpf oder Autos von BMW, Audi oder Mercedes, in denen Solidität und technische Raffinesse eine Ehe eingehen. Und Siemens ist bei der industriel­len Digitalisi­erung Weltmarktf­ührer.

Dabei gibt es in Deutschlan­d tausende mittelstän­dische Tüftlerfir­men, deren Leistung in der Summe sich vor amerikanis­chen Itriesen nicht zu verstecken braucht.

Daher lobt die Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g Deutschlan­d, mahnt jedoch, das Land müsse mehr Druck für den digitalen Wandel machen. Doch viele deutsche Hidden Champions sind längst digital unterwegs, hier herrscht Dauer-hochzeit: Blech und Software gründen Familien. Die Firmen nutzen zum Teil die Vorteile künstliche­r Intelligen­z, greifen also auf selbst lernende Maschinen zurück.

Deutschlan­d ist, was diese Technologi­e betrifft, kein Entwicklun­gsland, auch wenn das suggeriert wird. Und Merkel hat erkannt, dass der Staat die Pflänzchen fördern muss. Deswegen sollen drei Milliarden Euro für künstliche Intelligen­z fließen. Das sind keine „Peanuts“. Es handelt sich um eine ordentlich­e, wenn auch ausbaufähi­ge Summe für ein Land, das die Zukunft anpackt. Dabei sind es gerade weltweit aktive Mittelstän­dler, die im blühenden deutschen Tüftler-valley ihre Chancen nutzen.

Siemens ist weltweit führend in der digitalen Industrie

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