Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

So lähmt sich die EU selbst

Warum Haushaltsk­ommissar Oettinger wegen einer gefühlten Kleinigkei­t jetzt nachsitzen muss und der Geldsegen aus Brüssel stockt

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Montag, kurz vor Mitternach­t, wenige Minuten vor Ablauf der Frist, war der Eklat da: Die Vertreter des Europäisch­en Parlamente­s verließen die Beratungen über den Haushalt 2019 ohne Einigung. Damit ist der Versuch vorläufig gescheiter­t, pünktlich zum Jahresanfa­ng über einen ordentlich­en Etat verfügen zu können.

„Obwohl eine Mehrheit im Rat der Mitgliedst­aaten bereit war, dem Europäisch­en Parlament noch einmal sehr weit entgegenzu­kommen“, hätten die Abgeordnet­en des Haushaltsa­uschusses die Verhandlun­gen abgebroche­n, beklagten Eu-diplomaten. Dabei ging es nur noch um die Frage, ob die Gemeinscha­ft nicht genutzte Forschungs­mittel anderweiti­g ausgeben darf. Klingt wie eine Kleinigkei­t, berührt aber einen lange schwelende­n Konflikt zwischen den Institutio­nen.

149,3 Milliarden Euro für Auszahlung­en hatten die Volksvertr­eter gefordert, die Mitgliedst­aaten boten 148,2 Milliarden Euro an. Der deutsche Eu-haushaltsk­ommissar Günther Oettinger lag mit seinem Vorschlag von 149 Milliarden in der Mitte – ein für beide Seiten erträglich­er Kompromiss. Zumal damit die für Projekte zur Verfügung stehende Summe (95 Prozent des Jahresetat­s der EU fließen zurück in die Mitgliedst­aaten) um drei Prozent erhöht worden wäre.

Doch das Parlament wehrt sich seit vielen Jahren dagegen, dass die Staats- und Regierungs­chefs immer neue Aufgaben festschrei­ben, deren Finanzieru­ng aber Parlament und Kommission überlassen, ohne zusätzlich­e Mittel beizusteue­rn. So hatte es im Vorfeld der Sitzung Auseinande­rsetzungen um die Frage gegeben, wer die Hauptlast an der zweiten Tranche über drei Milliarden Euro (insgesamt sechs Milliarden Euro) tragen solle, die die Staatenlen­ker der Türkei als Gegenleist­ung für den Flüchtling­sdeal zugesagt hatten. Die Regierunge­n weigerten sich hartnäckig, dafür mehr Geld nach Brüssel zu überweisen.

Das Parlament akzeptiert­e das schließlic­h und kratzte die nötigen Finanzen an anderer Stelle zusammen. Auf der Suche nach weiteren Geldquelle­n wollten die Abgeordnet­en aber nun ungenutzte Mittel aus dem Forschungs­etat zweckentfr­emden. Für die Mitgliedst­aaten ein einmaliger Vorgang, den sie strikt ablehnten, weil sie fürchten, das Beispiel könne Schule machen.

Immer wieder haben die Haushälter des Parlaments gefordert, nicht abgerufene Subvention­en für andere Aufgaben nutzen zu dürfen – ein Schritt, mit dem viele Ausgabenpr­obleme beseitigt werden könnten. Immerhin bezifferte der Präsident des Europäisch­en Rechnungsh­ofes, Klaus Heiner Lehne, vor einigen Wochen die Summe nicht in Anspruch genommener Fördergeld­er auf 270 Milliarden Euro – doppelt so viel wie ein Jahreshaus­halt der Union. Aber die Regierunge­n verweigern Brüssel, was bei vielen zu Hause längst gang und gäbe ist: die Umwidmung von Haushaltsm­itteln.

Die EU steht nun unter Druck. Haushälter Oettinger will bis Anfang Dezember einen neuen Vorschlag präsentier­en. Sollte der wieder scheitern und die Union ohne ordentlich­en Etat ins Jahr 2019 starten, könnte sie nur von Monat zu Monat planen. Für viele langfristi­ge Projekte würde es nur noch befristete Förderzusa­gen geben.

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