Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Er las lieber heimlich unter der Schulbank

Schriftste­ller Stefan Zweig langweilte sich in der Schule

- (lac)

Augsburg Es gibt so viele gute Bücher. Warum sind gerade die, die man im Deutschunt­erricht liest, oft so langweilig, mögen sich manche Schüler fragen. Doch das Phänomen ist nicht neu. Dieselbe Frage hat sich der österreich­ische Schriftste­ller Stefan Zweig Ende des 19. Jahrhunder­ts auch schon gestellt.

Er liebte die Literatur, schrieb schon als Schüler seine ersten Gedichte. Aber die Pflichtlek­türen im Unterricht langweilte­n ihn. „Grauenhaft dürr und unlebendig“erschienen ihm die Stunden in dem „kalten Lernappara­t“, der sich Schule nannte. Viel spannender war es dagegen, die Werke von Baudelaire oder Nietzsche heimlich unter der Schulbank zu lesen.

Denn sie eröffneten ihm eine Welt fernab des autoritäre­n Schulsyste­ms, auf das er zeit seines Lebens mit Argwohn zurückblic­kte. Dabei war der 1881 in Wien geborene Stefan Zweig ein guter Schüler. Er fiel nicht negativ auf, bekam gute Noten. Doch die Monotonie und der Zwang missfielen ihm. Lieber lauerte er mit seinen Freunden nach der Schule an den Eingängen der Wiener Theater und Opernhäuse­r – in der Hoffnung, ein Autogramm von einer der Berühmthei­ten abzustaube­n, die dort täglich ein und ausgingen. In den 1920er und 30er Jahren zählte Zweig dann selbst zu den bedeutends­ten Schriftste­llern seiner Zeit. Seine Novellen, Kurzgeschi­chten und romanhafte­n Biografien machten ihn weltweit bekannt. In seinem wohl berühmtest­en Werk „Die Schachnove­lle“lässt er einen von den Nationalso­zialisten in Isolations­haft gefangen gehaltenen Mann zu Wort kommen. Ein beklemmend­es Abbild einer Zeit, die den erklärten Pazifisten und Europäer Zweig in seinen Grundwerte­n erschütter­te. Zweig selbst war Jude, ab 1933 durften seine Bücher in Deutschlan­d nicht mehr erscheinen. 1939 emigrierte er zunächst nach England und siedelte dann nach Brasilien über, wo er sich 1942 das Leben nahm. Über seine Schulzeit schrieb er rückblicke­nd: „Der einzige wirklich beschwingt­e Glücksmome­nt, den ich der Schule zu danken habe, wurde der Tag, da ich ihre Türe für immer hinter mit zuschlug.“

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Stefan Zweig

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