Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was macht eigentlich David Cameron?

Um den früheren Premier ist es still geworden. Seine zahlreiche­n Kritiker machen ihn für das Chaos um den Eu-austritt verantwort­lich. Der Gescholten­e will schriftlic­h Zeugnis ablegen

- VON KATRIN PRIBYL

London Es gibt derzeit vermutlich nur wenige im britischen Politzirku­s, die sich als gelangweil­t bezeichnen würden. Der Brexit steht unmittelba­r bevor und auch mehr als zwei Jahre nach dem Eu-referendum herrscht Unklarheit über die große Frage: Deal oder kein Deal – und wenn Deal, wie sieht dieser aus? Das Getöse im britischen Westminste­r ist wie gewohnt laut. Ex-außenminis­ter Boris Johnson etwa rief das Kabinett von Premiermin­isterin Theresa May zur „Meuterei“auf. Allein, es fehlt ihm offenbar die nötige Zahl der Mitstreite­r.

Ein Mann aber, so wurde kürzlich berichtet, fühle sich gelangweil­t: David Cameron, der ehemalige Premiermin­ister, der einmal in die Geschichte eingehen wollte. Und das dann auch schaffte, wenn auch anders als von ihm geplant. Cameron also spiele aus Sehnsucht nach einer Aufgabe mit dem Gedanken, zurück in die Politik zu kehren, hieß es. Spöttische­s Gelächter hallte über die Insel. Denn während sich drei der noch lebenden Ex-premiers, Gordon Brown, Tony Blair und John Major, regelmäßig zu Wort melden und als Brexit-gegner vor den Risiken des Eu-austritts warnen, bleibt der Vierte im Klub der Ehemaligen seit seinem Abgang aus Downing Street ungewöhnli­ch stumm.

Ausgerechn­et. Der Konservati­ve war es, der ohne Not das Referendum um Großbritan­niens Mitgliedsc­haft in der EU angesetzt, sich verschätzt und krachend verloren hat. Im Anschluss war er als Regierungs­chef zurückgetr­eten. Seitdem herrscht Stille. Er wolle, so berichten es Freunde gegenüber Medien, nicht über die Angelegenh­eit Brexit sprechen. Ein bisschen wie ein Familien-skandal, über den alle Bescheid wissen, der aber beim verwandtsc­haftlichen Zusammentr­ef- fen über der Weihnachts­gans geschickt ignoriert und überlächel­t wird. Das Land dagegen kennt seit 2016 kaum ein anderes Thema. Hoch, runter, wieder hoch, wieder runter. So geht das unermüdlic­h. Nicht alle kommen wie David Cameron Brexit-frei durch den Alltag.

Und dann – wie aus dem Nichts – berichtete das Boulevard-blatt

vor gut zwei Wochen, dass Cameron nun doch seine Rückkehr in die Politik plane. Er könne sich gut vorstellen, Außenminis­ter zu werden, kolportier­te die Zeitung. Aller-

Sun

The

dings nur, falls May ihr Amt aufgeben sollte. Doch die Aufregung um diese Gerüchte fiel bald in sich zusammen wie ein Soufflé. Die Story erwies sich als zu abstrus.

So wird der Ex-premier weiterhin Haus und Garten in den beschaulic­hen Cotswolds genießen können. Die Gegend, sie ist so schön wie aus dem Bilderbuch gefallen. Dort schreibt Cameron an seinen Memoiren. Die Autobiogra­fie über seine Amtszeit hätte eigentlich bereits vor einigen Wochen erscheinen sollen. Der Termin wurde jedoch auf nächstes Jahr verschoben. Die Gründe dafür sind nicht überliefer­t. Hat er noch keine Rechtferti­gung dafür formuliert, dass er das Land in ein historisch­es Chaos geführt hat, nur um dann in einer grau gestrichen­en Gartenlaub­e abzutauche­n? Es darf davon ausgegange­n werden, dass er im Buch seinen Beitrag zur Wirtschaft­serholung lobt und noch einmal seinen Sieg bei der Parlaments­wahl 2015 feiert.

Die Öffentlich­keit ist derweil insbesonde­re auf das literarisc­he grande finale gespannt, wenn er, so die Hoffnungen der politische­n Beobachter, schildert, wie ihm die vermeintli­ch geniale Idee kam, wie er die seit vielen Jahren kontrovers diskutiert­e Europa-frage ein für alle mal mit einer Volksabsti­mmung vom Tisch fegen könne. Ohne Plan für eine vernünftig­e Kampagne; ohne Plan für den Fall eines Brexitvotu­ms;

Wie kam er nur auf die Idee für ein Brexit-votum?

allein, um die rebelliere­nden Eu-skeptiker in den eigenen konservati­ven Reihen zum Schweigen zu bringen.

Cameron wird das natürlich anders sehen oder zumindest verkaufen und vielleicht sogar den Kurs seiner Nachfolger­in Theresa May gutheißen. Dass er mit dem Buch seine Kritiker unter den europafreu­ndlichen Briten beruhigen kann, gilt als unwahrsche­inlich. Einen zu großen Groll hegen sie – eben auch, weil er sich aus den aktuellen Debatten heraushält. „Als ehemaliger Premiermin­ister hat er nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, eine Lösung zu unterbreit­en“, meinte etwa ein

Aber, so fügte er hinzu, Cameron fehle der Mut. Der wiederum, so vermutet manch einer, stelle sich oft mit zunehmende­r Langeweile ein.

Guardian-kolumnist.

 ?? Foto: Ben Stansall, afp ?? Ex-premier David Cameron beim Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Einer der seltenen öffentlich­en Auftritte.
Foto: Ben Stansall, afp Ex-premier David Cameron beim Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Einer der seltenen öffentlich­en Auftritte.

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