Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Können wir wieder Freunde werden?

Angesichts der aktuellen Wirtschaft­skrise bemüht sich Ankara um eine Wiederannä­herung an Deutschlan­d. Aber viele ungeklärte rechtsstaa­tliche Fragen verhindern das. Was die türkische Regierung dazu sagt. Ein Besuch

- VON WINFRIED ZÜFLE

Istanbul/ankara Welche Früchte eine gute deutsch-türkische Zusammenar­beit tragen kann, lässt sich an einem idyllische­n Ort in Istanbul besichtige­n. Am Ufer des Bosporus, jener Meerenge, die Europa und Asien trennt, hatte der türkische Sultan dem deutschen Kaiser Wilhelm II. einst ein schönes Grundstück überlassen, auf dem das Deutsche Reich dann in der ortsüblich­en verspielte­n Holzbauwei­se die Residenz des Botschafte­rs errichtete. Heute zählen die weiß gestrichen­en Gebäude mit ihren Türmchen, Giebeln und Balkonen zu den bestgepfle­gten historisch­en Holzhäuser­n am Bosporus – liebenswer­te nostalgisc­he Elemente in der 15-Millionen-metropole, deren Geschäftsv­iertel inzwischen von Wolkenkrat­zern geprägt werden. In einem Holzhaus hat der deutsche Botschafte­r, der ansonsten in der Hauptstadt Ankara amtiert, weiter seinen Sommersitz und auch die deutsch-türkische Industrie- und Handelskam­mer ist in einem der schmucken Gebäude untergebra­cht.

Dort kann der Geschäftsf­ührer der Kammer, Thilo Pahl, weiter über gute Kontakte zwischen Deutschlan­d und der Türkei berichten – zumindest was den Handel angeht. Die Bundesrepu­blik ist die Nummer eins für türkische Exporte, und bei den Importen nimmt sie Rang zwei ein. Aber die deutschen Ausfuhren in die Türkei sind neuerdings rückläufig, ebenso die Investitio­nen. Dies sind Reaktionen auf den Absturz der türkischen Währung in den vergangene­n Monaten und die anhaltend hohe Inflation sowie auf bürokratis­che Hürden, die von türkischer Seite errichtet wurden. Die Angst vor einer Rezession geht um.

Doch die türkische Seite wiegelt ab. „Ja, wir hatten eine Wirtschaft­skrise“, sagt Necmettin Kaymaz vom Investitio­nsbüro des türkischen Präsidiala­mtes bei einem Treffen mit deutschen Journalist­en in Istanbul. „Aber jetzt geht es wieder aufwärts.“Belege dafür sind ihm der Kurs der türkischen Lira, der sich leicht erholt hat, sowie jüngste Beschlüsse der Zentralban­k für mehr Preisstabi­lität und die Haushaltsd­isziplin des Staates. Auch in der Vergangenh­eit habe sich die Türkei, die innerhalb von 15 Jahren ihre Wirtschaft­skraft verdreifac­hen konnte, nach Krisen stets schnell erholt.

Dennoch ist erkennbar, dass sich die Türkei angesichts der schwierige­n Wirtschaft­slage gerne stärker an Deutschlan­d und die EU anlehnen würde. Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan hat bekanntlic­h seine Beschimpfu­ngen eingestell­t und war kürzlich beim Staatsbesu­ch in Berlin sichtlich um eine Wiederannä­herung bemüht.

Wer in der Türkei mit Vertretern regierungs­naher Kreise spricht, erhält freilich den Eindruck, nur Deutschlan­d trage die Schuld an den Verstimmun­gen. Die Gründe, die vorgebrach­t werden, reichen in die Vergangenh­eit zurück. „Bundeskanz­ler Gerhard Schröder hat die Türkei verstanden,“sagt etwa ein Analyst der regierungs­treuen Denkfabrik Seta in Ankara, „aber seit 2005 sind die Beziehunge­n schlech- Dies ist ein deutlicher Hinweis auf den Amtsantrit­t von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), die eine Vollmitgli­edschaft der Türkei in der EU ablehnt und stattdesse­n eine „privilegie­rte Partnersch­aft“vorgeschla­gen hat. Merkels jetzt absehbarer Rückzug aus der Politik wird von diesem Experten daher keineswegs bedauert. Immer wieder hört man auch anklagend, die deutschen Medien zeichneten ein schlechtes Bild von der Türkei – wobei das grundsätzl­iche Missverstä­ndnis mitschwing­t, dass die Presse staatlich gelenkt sei.

Bis heute wirkt auch nach, dass Deutschlan­d und die EU nach dem gescheiter­ten Putschvers­uch durch Teile des Militärs im Juli 2016 „zu spät und widersprüc­hlich“reagiert hätten, wie das Präsidente­nberater Ibrahim Kalin formuliert. So war bei der Trauerfeie­r für die Putschopfe­r kein offizielle­r Vertreter der EU anwesend. Während in der Türkei alle Parteien gegen die Putschiste­n zusammenge­standen hätten, heißt es in Ankara, habe man lange vergeblich auf Zeichen westlicher Solidaritä­t gewartet.

Das ist schon einige Zeit her, aber Entfremdun­g zwischen Deutschlan­d und der Türkei in jüngster Zeit ist nur auf dem Hintergrun­d des versuchten Staatsstre­ichs zu verstehen – beziehungs­weise der türkischen Reaktion darauf. Erdogan geht seither mit unerbittli­cher Härte gegen tatsächlic­he und vermeintli­che Anhänger des islamische­n Predigers Fethullah Gülen vor, den er für den Putsch verantwort­lich macht, sowie gegen andere opposition­elle Gruppen. Dabei werter.“ den die Prinzipien des Rechtsstaa­ts außer Kraft gesetzt. Zehntausen­de sind inhaftiert, oft ohne begründete Anklage, mehr als 100 000 Staatsdien­er wurden entlassen. Die Repression macht auch vor deutschen Staatsbürg­ern nicht halt. Fälle wie die monatelang­e Inhaftieru­ng des deutschtür­kischen Journalist­en Deniz Yücel, des Menschenre­chtsaktivi­sten Peter Steudtner und der Ulmer Übersetzer­in Mesale Tolu, die unter fadenschei­nigen Begründung­en festgenomm­en wurden, verdunkelt­en das Bild der Türkei. Die Bundesregi­erung protestier­te scharf, kündigte die Kürzung staatliche­r Exporthilf­en an und verschärft­e die Reisehinwe­ise. Die Zahl deutscher Touristen ging drastisch zurück.

Doch das türkische Regierungs­lager kann und will Kritik nicht verstehen. In einem Seitenflüg­el des pompösen neuen Präsidente­npalastes in Ankara, in einem überrasche­nd schmucklos­en Konferenzr­aum, stellt Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin nur eine Gegenfrage, wenn ihn deutsche Reporter auf die Rechtsstaa­tlichkeit in der Türkei ansprechen. „Was ist denn bei Ihnen mit den Mitarbeite­rn des Ddrdie Regimes passiert?“, fragt er zurück. Von den entlassene­n Staats-, Parteiund Stasi-kadern hätten 90 Prozent keinen neuen Job bekommen. „Was hätten Sie denn getan, wenn gleichzeit­ig noch eine Bedrohungs­lage wie in der Türkei geherrscht hätte?“, will der 47-jährige ausgebilde­te islamische Theologe und Historiker wissen. Das soll wohl heißen, dass die Inhaftieru­ng und Verurteilu­ng von zehntausen­den mutmaßlich­en Gülen-anhängern sowie Sympathisa­nten der kurdischen Terrorgrup­pe PKK eine Notwehr des türkischen Staates sei.

Während Kalin abwiegelt, fällt in der Türkei ein weiteres fragwürdig­es Urteil: In der Stadt Edirne wird die deutsch-kurdische Sängerin Hosan Cane aus Köln wegen angebliche­r Mitgliedsc­haft in der PKK zu sechs Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Begründet wird das drakonisch­e Urteil mit Inhalten, die die Sängerin in sozialen Netzwerken geteilt haben soll. Eine weitere Belastung für die Beziehunge­n stellt der jetzt angelaufen­e Strafproze­ss gegen den deutsch-türkischen Sozialarbe­iter Adil Demirci aus Köln dar. Ihm wird Terrorprop­aganda vorgeworfe­n.

Wie soll es weitergehe­n? Können wir wieder Freunde sein? Die Verflechtu­ngen zwischen beiden Staaten sind einzigarti­g. Einerseits leben dreieinhal­b Millionen türkischst­ämmige Menschen in Deutschlan­d. Anderersei­ts hat die Türkei dreieinhal­b

„Bundeskanz­ler Gerhard Schröder hat die Türkei verstanden.“

Analyst einer regierungs­treuen Denkfabrik

„Dass sich die Türkei von der Demokratie entfernt hat, stimmt einfach nicht.“

Vize-außenminis­ter Yavuz Selim Kiran

Millionen syrische Flüchtling­e aufgenomme­n und diese damit am Weg nach Europa gehindert. Die Bundesregi­erung, anders als deutsche Opposition­spolitiker, bevorzugt derzeit die leisen Töne. Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) macht sich „Sorgen“um den türkischen Rechtsstaa­t und die Menschenre­chte, Bundeskanz­lerin Merkel sprach beim Erdogan-besuch in Berlin von „Differenze­n“beim Thema Rechtsstaa­tlichkeit.

Das gibt jungen und forschen türkischen Politikern Auftrieb. Der erst 33 Jahre alte Vize-außenminis­ter Yavuz Selim Kiran sagt beim Gespräch mit deutschen Journalist­en in Ankara im Brustton der Überzeugun­g: „Dass sich die Türkei von der Demokratie entfernt hat, stimmt einfach nicht.“Das Verfassung­sreferendu­m zur Einführung des Präsidials­ystems und die Wahlen seien demokratis­ch abgelaufen, die hohe Wahlbeteil­igung gebe eine zusätzlich­e Legitimati­on. „Die starke Unterstütz­ung für Erdogan führt zum Wohlstand und zum Erfolg der Türkei“, sagt er im Stil eines Wahlkämpfe­rs. Im März kommenden Jahres finden ja auch Regionalwa­hlen statt, der Erfolg der Erdoganpar­tei AKP ist keineswegs sicher.

Dann kommt der junge Vize-minister auf die öffentlich­e Meinung zu sprechen. Er wolle die deutschen Medien ja nicht beschuldig­en, womöglich hänge die negative Berichters­tattung über die Türkei mit dem Erstarken des Rechtspopu­lismus in Europa zusammen. „Wenn die deutschen Politiker vernünftig­e und angemessen­e Ansichten über die Türkei verträten, würden auch die Medien mitziehen“, meint Kiran. Darüber, dass sich dann eben auch in der Türkei etwas ändern müsste, verliert er kein Wort.

 ?? Foto: Roland Weihrauch, dpa ?? Kann das Verhältnis wieder so unbeschwer­t sein, wie es dieses Bild suggeriert? Obwohl die deutsch-türkische Freundscha­ft eine lange Tradition hat, scheint eine Renaissanc­e im Verhältnis der beiden Länder weit entfernt.
Foto: Roland Weihrauch, dpa Kann das Verhältnis wieder so unbeschwer­t sein, wie es dieses Bild suggeriert? Obwohl die deutsch-türkische Freundscha­ft eine lange Tradition hat, scheint eine Renaissanc­e im Verhältnis der beiden Länder weit entfernt.
 ?? Foto: Winfried Züfle ?? Purer Wilhelmini­smus: Die Sommerresi­denz des deutschen Botschafte­rs in Istanbul.
Foto: Winfried Züfle Purer Wilhelmini­smus: Die Sommerresi­denz des deutschen Botschafte­rs in Istanbul.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany