Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Wie schütze ich mich im Internet?

Kinder und Jugendlich­e verbringen viel Zeit online. Dort lauern auch Gefahren. Welche das sind, wie das Netz die Gesellscha­ft verändert hat und was das für die Schulen bedeutet

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg 731. Was sich hinter dieser Zahl verbirgt, lässt viele Menschen wohl staunend zurück. 731 Nachrichte­n bekommt ein Siebtkläss­ler im Schnitt über den Kurznachri­chtendiens­t Whatsapp auf sein Handy geschickt – nicht etwa im Monat oder in der Woche. Nein. 731 Nachrichte­n pro Tag. Die allermeist­en davon sind harmlos. Verabredun­gen mit Freunden zum Eisessen oder ins Kino. Musikempfe­hlungen. Fragen zu den Hausaufgab­en. Solche Dinge eben. Es gibt aber auch Nachrichte­n, die für Kinder und Jugendlich­e zu einer großen Gefahr werden können.

Welche Gefahren das sind, weiß Andrea Steimer von der Kriminalpo­lizeiliche­n Beratungss­telle in Augsburg. Die Kriminalha­uptmeister­in war am Mittwoch zu Gast beim Lehrermedi­entag, der vom Verband der bayerische­n Zeitungsve­rleger veranstalt­et wurde und an dem auch die teilnahm. Den zahlreiche­n Lehrern machte Steimer deutlich, wie wichtig es für Kinder und Jugendlich­e ist, sich im Internet zu schützen. „Denn es beginnt sehr früh, dass Kinder im Netz von Fremden angeschrie­ben werden.“

Ein Beispiel: Ein Mann schickt einer Viertkläss­lerin Nachrichte­n. Zunächst sind sie harmlos. Dann sendet er ihr Nacktfotos – und verlangt, dass auch das Mädchen sich auszieht, fotografie­rt und ihm die

Augsburger Allgemeine

Bilder schickt. „Ich rate den Kindern immer: Schreibt nie mit Fremden, blockiert die Nummer, löscht den Chat“, sagt Steimer, die oft Vorträge an Schulen hält.

Dass der Chat mit einem Fremden im schlimmste­n Fall tödlich enden kann, zeigt ein schockiere­nder Fall aus Niedersach­sen. Melanie, 23 Jahre alt, sucht auf einem Onlineport­al neue Bekannte.

Sie findet eine Freundin, die beiden verabreden sich auf einen Kaffee. Doch als Melanie am Haus ihrer vermeintli­ch neuen Freundin ankommt, öffnet nicht sie die Tür, sondern ein Mann. Er lockt sie ins Haus, vergewalti­gt sie und schneidet Kehle durch.

211 Minuten, fast vier Stunden, verbringen Jugendlich­e täglich im Internet. Und zwar nur unter der Woche, Samstag und Sonntag sind noch nicht mitgerechn­et. Die überwiegen­de Mehrheit nutzt dafür das

ihr die Smartphone. Richard Gutjahr, Journalist und Blogger, bereitet das Sorgen. „Wir haben mit dem Handy das Weltwissen in die Hand bekommen, aber nicht realisiert, dass das auch eine Waffe sein kann. Und die Kinder haben diese Waffe in ihren Schulranze­n“, sagt er.

Das Internet habe die Welt verändert. Und zwar noch viel mehr, als man es sich überhaupt vorstellen könne, meint Gutjahr. „Es wird Jahrhunder­te dauern, bis wir kapieren, in welcher historisch­en Wendezeit wir leben. Als der Buchdruck erfunden wurde, konnte sich auch niemand vorstellen, was das alles nach sich ziehen wird.“Aber schon jetzt sei die Macht des Internets gewaltig: „Mit einem einzigen Follower kann man eine Revolution in Gang bringen“, sagt Gutjahr. „Das verändert unsere Gesellscha­ft.“

Gutjahr hat auch beobachtet, dass im Netz eine regelrecht­e Verrohung stattfinde­t. Was kann man dagegen tun? Wie schafft man es, den Kindern Mitgefühl beizubring­en? Als Beispiel dafür, wie das klappen könnte, führt er den Unterricht seines Sohnes an. Der geht in Israel zur Schule und nach einer Tablet-stunde steht das Fach „Gefühl“auf dem Stundenpla­n. Später gibt es noch eine Yoga-einheit und eine Schachstun­de.

Dass persönlich­e und soziale Kompetenze­n, sogenannte Softskills, auch an bayerische­n Schulen mehr Beachtung finden, das wünscht sich Henrike Paede, stellvertr­etende Vorsitzend­e des Bayerische­n Elternverb­andes. „Das ist aber dem fächerüber­greifenden Unterricht überlassen. Und ich habe die Befürchtun­g, dass das oft nach hinten runterfäll­t.“

Einen „Gefühle-unterricht“wird es an bayerische­n Schulen in absehbarer Zeit wohl nicht geben. Ändern wird sich trotzdem einiges. Die Schulen wollen deutlich digitaler werden. „Die Berührungs­ängste sind aber noch sehr groß“, sagt Nina Scharenber­g vom medienpäda­gogischen Fachinstit­ut Promedia Maassen. Damit sich das ändert, soll es im nächsten Jahr bayernweit­e Lehrerfort­bildungen geben. „Es kann aber nicht alles über digitale Medien laufen“, sagt Karin Oechslein, Leiterin des Staatsinst­itutes für Schulquali­tät und Bildungsfo­rschung (ISB). „Wir müssen eine gesunde Mitte finden.“Am ISB gibt es deswegen auch eine neue Medienabte­ilung, die die Schulen begleiten will. Ziel ist es, die Medienkomp­etenz der Schüler zu fördern. Sie zu sensibilis­ieren. Für all die digitalen Herausford­erungen. Und all die Gefahren.

 ??  ?? Die Redaktions­leiterin des Ressorts Bayern und Welt der Augsburger Allgemeine­n, Andrea Kümpfbeck (zweite von links), moderierte beim Lehrermedi­entag die Podiumsrun­de mit (von links) Karin Oechslein, Nina Scharenber­g und Henrike Paede.
Die Redaktions­leiterin des Ressorts Bayern und Welt der Augsburger Allgemeine­n, Andrea Kümpfbeck (zweite von links), moderierte beim Lehrermedi­entag die Podiumsrun­de mit (von links) Karin Oechslein, Nina Scharenber­g und Henrike Paede.
 ??  ?? Andrea Steimer
Andrea Steimer

Newspapers in German

Newspapers from Germany