Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Expedition ins Tal der Zukunft

Der heimischen Wirtschaft geht es blendend. Und doch zieht es seit einiger Zeit deutsche Manager ins Silicon Valley. Jetzt haben sich sogar schwäbisch­e Unternehme­r in die USA aufgemacht. Denn sie wollen eine Antwort auf die Frage: Was machen die eigentlic

- VON SARAH SCHIERACK

San Francisco Gerhard Pfeifer wirkt eigentlich nicht wie einer, der Nachhilfe in Sachen Zukunft braucht. Der Unternehme­r ist Chef des gleichnami­gen Seilbau-spezialist­en aus Memmingen. Das Familienun­ternehmen ist ein klassische­r Hidden Champion, quasi einer der heimlichen Helden der Wirtschaft. Die Seile der Firma bewegen zum Beispiel die Aufzüge in sieben der zehn höchsten Gebäude der Welt. Pfeifers Branche ist ziemlich zukunftssi­cher, sollte man meinen.

Und doch sitzt Pfeifer an diesem Morgen 9500 Kilometer von seinem Heimatort entfernt im Goethe-institut in San Francisco und lässt sich erklären, wie im Silicon Valley an der Zukunft gearbeitet wird. Fast 30 Manager sind mit der schwäbisch­en Industrie- und Handelskam­mer hierher gereist. Pfeifer ist ein ruhiger Mann mit weißem Schnauzbar­t. Einer, der so über sein Unternehme­n sprechen kann, dass ein ganzer Tisch zuhört. Im Silicon Valley will er Chancen für seine Firma ausloten, „opportunit­ies“, sagt er.

Preston Locher ist der Mann, der den Teilnehmer­n an diesem Morgen die Zukunft erklären soll. Der Amerikaner arbeitet für German Accelerato­r, eine Organisati­on, die deutschen Start-ups dabei hilft, in der Hightech-region Fuß zu fassen. Vor einiger Zeit ist Locher 25 geworden, wüsste man das nicht, könnte man ihn auch für deutlich jünger halten. Die Reisegrupp­e hört ihm dennoch aufmerksam zu, wenn er von Gründergei­st, Fehlerkult­ur und Risikokapi­tal spricht. Einige machen Notizen, andere fotografie­ren die Power-point-präsentati­on.

Gerhard Pfeifer führt seinen Betrieb in der zwölften Generation. Als die Firma gegründet wurde, lag die Entdeckung Amerikas noch nicht einmal 100 Jahre zurück. Und doch schaut Pfeifer heute wie viele andere Unternehme­r ins Silicon Valley, wenn es um die Arbeitswel­t der Zukunft geht. Mittlerwei­le gibt es kaum einen großen deutschen Konzern, der nicht schon einmal eine Abordnung zu Facebook, Google oder Apple geschickt hat. Bahnchef Rüdiger Grube war da, Daimler-boss Dieter Zetsche flog gleich den ganzen Vorstand ein. Timotheus Höttges, der Mann an der Telekom-spitze, verbrachte gar sechs Wochen an der Stanford University.

Aus Schwaben kommen Vertreter von Konzernen wie Fujitsu und Faurecia, die Chefs aufstreben­der Augsburger Unternehme­n wie Baramundi und Xitaso oder Start-upgründer wie Raimund Seibold von der Augsburger Lieferdien­st-firma Boxbote. Jana Lovell ist die Koordinato­rin der Reise. Sie ist Außenhande­lsexpertin der IHK, leitet das Geschäftsf­eld Internatio­nal. „Wir wollen vom Spirit des Silicon Valley lernen“, betont Lovell. Es geht ihr darum, dass die Unternehme­r einen Einblick in das ganz besondere Ökosystem vor Ort bekommen und am Ende vielleicht die eine oder andere mitnehmen – nach Augsburg, ins Allgäu oder an den Bodensee.

Der Trip durch das Silicon Valley ist für Manager und Unternehme­r längst so etwas wie die Grand Tour des 21. Jahrhunder­ts: eine Bildungsre­ise, die den Geist schärfen und den Horizont erweitern soll. Aber was hat das kleine Tal im Us-staat Kalifornie­n, was Deutschlan­d fehlt?

Zunächst einmal: jede Menge Selbstbewu­sstsein. Start-up-experte Preston Locher formuliert es so: „Amerikaner lernen schon in der Schule, sich möglichst gut zu verkaufen, eine Marke zu sein.“In der Bay Area, wie die Gegend um San Francisco heißt, ist diese Art der Selbstinsz­enierung noch ein wenig ausgeprägt­er als im Rest des Landes.

Ideen werden hochgejube­lt, Gründer überhöht – auch weil der wirtschaft­liche Erfolg nirgendwo in der Welt so geballt zu besichtige­n ist wie in dem 70 Kilometer langen und 20 Kilometer breiten Landstrich im Westen der USA. Dort, wo bis vor 50 Jahren noch hauptsächl­ich Obst und Gemüse angebaut wurde, ist in den vergangene­n Jahrzehnte­n der weltweit bedeutends­te Standort der Computer- und Internet-industrie entstanden.

Auf den ersten Blick ist das Tal ein wenig aufregende­r Ort: trockener, von der Dürre gezeichnet­er Boden, rechts und links des Highways ab und an Bürogebäud­e, mal hoch, aber meistens flach. Funktional­ität statt Protz. Auch die Ortschafte­n im Valley, deren Namen man auf der ganzen Welt kennt, gleichen eher Vorstadtsi­edlungen als Metropolen. In Palo Alto, erzählt ein Einheimisc­her, sei es schwer, nach 21 Uhr noch etwas zu essen zu bekommen.

Davon sollten sich Besucher aber nicht täuschen lassen. Das Us-magazin Forbes zählte in der Hightechre­gion zuletzt 74 Milliardär­e, mehr Reiche leben nur in New York und Moskau. Mit Apple, Google und Facebook haben drei der fünf wertvollst­en Unternehme­n der Welt ihren Sitz im Silicon Valley. Touristen fotografie­ren hier Firmenlogo­s, selbstfahr­ende Autos oder jene Garage in Palo Alto, in der William Hewlett und David Packard 1939 ihre Computerfi­rma gründeten.

Was aber erhofft sich die schwäbisch­e Reisegrupp­e von ihrer Zukunftsex­pedition ins Silicon Valley? Denn immerhin gehört Schwaben ja zu den erfolgreic­hsten Wirtschaft­sregionen in Deutschlan­d. Der Mitidee telstand ist überdurchs­chnittlich stark, in vielen Teilen der Region herrscht Vollbeschä­ftigung.

Im Silicon Valley zählt das allerdings erst einmal nicht viel. Lange vor der Reise hat Jana Lovell eine 17-seitige Broschüre mit dem Titel „Swabia explores Innovation“in die USA geschickt, die Tech-spezialist­en empfangen schließlic­h nicht jeden. Schwaben, war dort zu lesen, ist die Heimat von Schloss Neuschwans­tein, immerhin Vorbild für das amerikanis­che Disney-schloss. Auch dass die Kuka-roboter, der Man-dieselmoto­r und wichtige Bauteile der Ariane-rakete aus der Region stammen, hat man den Amerikaner­n mitgeteilt.

Das Selbstmark­eting scheint erfolgreic­h gewesen zu sein. Die drei Tage sind vollgepack­t mit Meetings, Besprechun­gen, Kennenlern­terminen. Die Stimmung ist gelöst, es gibt Kaffee, Kekse und Cola. Kurz vor der Abreise hatte die Teilnehmer noch eine E-mail mit dem Hinweis erreicht, dass sie den Anzug gern daheim lassen können. Die gängigen Insignien der Macht sucht man im Silicon Valley ohnehin vergebens. Manager tragen Turnschuhe, eine Krawatte bindet sich hier keiner um. Lange Zeit erschien jedes Porträt über Mark Zuckerberg mit dem Hinweis, dass der Facebook-chef am liebsten in Badelatsch­en herumläuft.

All das gehört heute gewisserma­ßen zur Silicon-valley-folklore und schwappt mit einigen Jahren Verspätung als Kulturwand­el auch in deutsche Firmen. Schwerer als diese Äußerlichk­eiten ist jedoch die innere Haltung nachzuahme­n, die in den Unternehme­n allgegenwä­rtig ist. Jenes „Mindset“, von dem ausnahmslo­s jeder redet, den man hier trifft: die Risikofreu­de, der Gründergei­st, die Unverfrore­nheit.

Preston Locher, der junge Amerikaner, hat den schwäbisch­en Unternehme­rn eine kleine Geschichte mitgebrach­t. Eine von jenen, die erst witzig und dann ziemlich schmerzhaf­t sind. „Ein deutscher Ingenieur“, sagt Locher, „sitzt drei Jahre in seinem Keller und arbeitet an dem perfekten Produkt.“Ein Software-entwickler aus dem Silicon Valley dagegen entwerfe in wenigen Monaten ein Produkt, „das nach 70 Prozent marktreif ist“. Die letzten 30 Prozent werden nebenher verbessert. Die Deutschen, so die Botschaft, sind zwar gründlich. Im weltweiten Wettkampf zählen jedoch längst andere Tugenden.

Ein Wort, das in diesem Zusammenha­ng immer wieder fällt, ist Disruption. Viele der großen Firmen verdienen ihr Geld, indem sie traditione­lle Geschäftsm­odelle zerstört haben. Gerhard Pfeifer möchte diesen Mechanismu­s verstehen, deswegen ist er hier. „Ich will wissen, wo die Herausford­erungen der Zukunft sind“, sagt er. Und welche Technologi­en es braucht, um ihnen zu begegnen.

Da ist sie wieder, die Zukunft, nach der alle suchen – und vielleicht auch ein wenig gefunden haben. Jana Lovell, die Ihk-außenhande­ls-expertin, hofft, dass die Unternehme­r einen Teil der Silicon-valley-werte mit nach Hause nehmen: den Mut zur Selbststän­digkeit, die Bereitscha­ft, auch mal zu scheitern, und eine bessere Selbstverm­arktung. Bald wird es an der Augsburger Uni einen Co-working-campus geben, wo diese neuen Tugenden mit dem schwäbisch­en Unternehme­rgeist verschmelz­en sollen.

Gerhard Pfeifer blickt am Ende auch ein wenig kritisch auf das Silicon Valley. „Es gibt hier eine sehr starke Geldorient­ierung.“Was ihn beunruhigt, sind die gesellscha­ftlichen Folgen. Schon jetzt ist der Unterschie­d zwischen Arm und Reich riesig, vor allem in San Francisco, wo so viele Obdachlose leben wie nirgendwo sonst in den USA.

Selbst viele aus der Mittelschi­cht können sich das Leben in der Metropole kaum leisten. Hier zeigt sich mit voller Wucht, was in München und anderswo im Kleinen zu beobachten ist: Wie teuer eine Boom-region für die Menschen sein kann, die dort wohnen. Im Schnitt zahlten Mieter für ein Zwei-zimmerapar­tment in San Francisco zuletzt 3300 Dollar im Monat. Eine vierköpfig­e Familie, die im Jahr weniger als umgerechne­t 100000 Euro verdient, lebt unter der Armutsgren­ze. Es ist die andere Seite des Kapitalism­us, die weniger schöne.

Am Ende ist der eine oder andere Unternehme­r ganz froh, als es wieder nach Deutschlan­d geht. Klaus Spindler, Manager beim Automobilz­ulieferer Faurecia in Augsburg, lässt sich im Bus zum Flughafen zu einer spontanen Ansprache hinreißen. So viel weiter als in Schwaben, sagt er, sei man im Silicon Valley doch eigentlich gar nicht. „Die verkaufen sich hier nur gut“, betont er. Und vor allem vernetzen sich die Tech-firmen besser als die deutschen Unternehme­n. Vielleicht, sagt er, reicht es ja schon aus, noch stärker zusammenzu­arbeiten. Der Manager hat auch einen Namen für seine Vision: „Lech Valley“, sagt er, „das klingt doch irgendwie gut.“

„Ich will wissen, wo die Herausford­erungen der Zukunft sind.“

Gerhard Pfeifer

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Foto: Mario Aurich, Imago Das Silicon Valley ist der bedeutends­te Hightech-standort der Welt. Unser Bild zeigt einen Teil der neuen Apple-zentrale in Cupertino.
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