Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was tun, wenn der Impfstoff fehlt?

Mehr Menschen als im vergangene­n Jahr wollen sich gegen Grippe schützen. Jetzt ist ein dramatisch­er Engpass entstanden. Was ein Hausarzt Patienten rät

- VON SONJA KRELL UND DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Für herzkranke Patienten, Diabetiker und Menschen mit einer schweren chronische­n Bronchitis hat Dr. Jakob Berger noch eine Handvoll Impfstoff. „Die horte ich für absolute Risikopati­enten“, sagt der Hausarzt, der in Herbertsho­fen im Kreis Augsburg praktizier­t. Denn als er vor zehn Tagen Grippeimpf­stoff nachbestel­len wollte, wurde ihm mitgeteilt, dass er wohl keinen mehr erhält. In seiner über 40-jährigen Berufszeit habe er so etwas noch nie erlebt. In ganz Bayern herrscht ein dramatisch­er Engpass.

Ulrich Koczian hat in den vergangene­n Tagen viel telefonier­t. Der Inhaber der Augsburger Lindenapot­heke hat versucht, bei seinen Kollegen noch Grippeimpf­stoff zu bekommen. Doch denen geht es nicht anders, sagt Koczian, der zugleich Vizepräsid­ent der Landesapot­hekerkamme­r ist. „Die haben auch nichts.“Seit zehn Tagen ist der Grippeimpf­stoff in der Lindenapot­heke aus. So wie in vielen anderen Apotheken. „Die Lage ist überall in Bayern schwierig“, sagt Koczian.

Das Problem: Nachbestel­lungen sind jetzt nicht mehr möglich. Schließlic­h dauert die Produktion des Impfstoffs mehrere Monate. Die Zusammense­tzung variiert von Sai- zu Saison, je nachdem welche Virenstämm­e gerade aktiv sind. Daher muss immer im Voraus errechnet werden, wie viel Impfstoff für die nächste Saison nötig ist.

Der Bedarf für diese Saison wurde ganz offensicht­lich unterschät­zt. Es haben sich aber auch deutlich mehr Menschen impfen lassen, sagt Berger. Erstmals wird aber der Vierfach-grippeimpf­stoff auch von den gesetzlich­en Krankenkas­sen übernommen. Damit geht eine Forderung von Berger in Erfüllung. Schließlic­h soll der Vierfach-impfstoff einen besseren Schutz bieten. Nicht vergessen werden darf, dass im vergangene­n Winter die Grippewell­e besonders heftig gewütet hat. Auch das kann die Impfbereit­schaft der Menschen erhöht haben.

Um auf die Schnelle mehr Impfstoff zu bekommen, hat die Bayerische Landesarbe­itsgemeins­chaft Impfen, kurz LAGI, in einer Sondersitz­ung in München Maßnahmen beschlosse­n. So sollen alle an der Versorgung Beteiligte­n, vor allem Apotheken, Hersteller und Ärzte, ermitteln, ob und wo noch Impfdosen vorrätig sind. „Ärzte erhalten durch die Behörden die Möglichkei­t, angesichts dieser besonderen Situation untereinan­der Impfstoffe austausche­n zu dürfen.“Der Bayerische Apothekerv­erband hat zuletzt eine Tauschbörs­e eingericht­et.

Apotheker Koczian hat allerdings wenig Hoffnung, dass damit viele Patienten versorgt werden können. „Da gibt es nur ein paar einzelne Impfdosen.“Auch löst dies nach Koczians Worten nicht das grundsätzl­iche Problem, dass sich die Vorräte für Grippeimpf­stoff verknappen, sobald es auf den Winter zugeht. „Wir haben jedes Jahr das gleiche Theater.“Das liege vor allem am Bestellsys­tem: Üblicherwe­ise kalkuliere­n viele Ärzte vorsichtig, was ihren benötigten Impfstoff angeht. Denn bestellen sie mehr als sie tatsächlic­h verbrauche­n, laufen sie Gefahr, von den Krankenkas­sen in Regress genommen zu werden. „Man müsste das System ändern“, sagt der Augsburger Apotheker. Er sieht die Verantwort­ung bei den Krankenkas­sen und dem Gesundheit­sministeri­um. „Es ist doch kontraprod­uktiv, die Leute jedes Jahr zum Impfen zu animieren und dann fehlt der Impfstoff.“

Auch Hausarzt Berger macht die Politik verantwort­lich. Aber auch die Krankenkas­sen sind seines Erachtens mitschuldi­g. Er spricht von einer „Sparpoliti­k“: Über Jahre sei in den Markt für Grippeimpf­stoff von Seiten der Politik eingegriff­en worden. Die Aufträge für die Herson stellung des jeweiligen Impfstoffe­s sei in den vergangen Jahren ausgeschri­eben worden und nur ein, zwei Firmen seien zum Zug gekommen. Die Hausärzte haben nach Angaben von Berger gegen diese Praxis protestier­t. Mit Erfolg. In diesem Jahr sei es zu keiner Ausschreib­ung gekommen, mehr Firmen konnten Grippeimpf­stoff herstellen. Doch die Produktion ist aufwendig und teuer. Ganz offensicht­lich wurde für diese Saison viel zu wenig hergestell­t. Das muss sich ändern, fordert Berger: „Es müssen mehr Firmen mehr Grippeimpf­stoff produziere­n.“

Doch was sollen Patienten in der aktuellen Notsituati­on tun? Gerade Menschen mit Herzerkran­kungen, Schwangere­n, Diabetiker­n und Patienten mit einer chronische­n Bronchitis rät Berger zu einer Grippeschu­tzimpfung. Auch Menschen, die im Gesundheit­sbereich arbeiten, sollten sich impfen lassen. Ihnen empfiehlt er zunächst den Gang zu ihrem Hausarzt. Falls dieser keinen Impfstoff mehr hat, würde er alle Apotheken im Umfeld telefonisc­h kontaktier­en und dort nachfragen. Ist die Suche zunächst erfolglos, bleibt nur das Hoffen und Warten auf den Impfstoff. Nachschub kommt vielleicht bald. Schließlic­h soll auch im europäisch­en Ausland nachgefors­cht werden, wo noch Vorräte erhältlich sind.

Wer hat noch Impfdosen? Tauschbörs­e für Apotheker

 ?? Foto: Martin Schutt, dpa ?? Was Ärzte seit Jahren fordern, ist in diesem Jahr eingetrete­n: Es lassen sich deutlich mehr Menschen gegen Grippe impfen. Jetzt kam es aber zu einem dramatisch­en Engpass: Viele Arztpraxen und Apotheken in Bayern haben keinen Wirkstoff mehr.
Foto: Martin Schutt, dpa Was Ärzte seit Jahren fordern, ist in diesem Jahr eingetrete­n: Es lassen sich deutlich mehr Menschen gegen Grippe impfen. Jetzt kam es aber zu einem dramatisch­en Engpass: Viele Arztpraxen und Apotheken in Bayern haben keinen Wirkstoff mehr.

Newspapers in German

Newspapers from Germany