Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Was tun, wenn der Impfstoff fehlt?
Mehr Menschen als im vergangenen Jahr wollen sich gegen Grippe schützen. Jetzt ist ein dramatischer Engpass entstanden. Was ein Hausarzt Patienten rät
Augsburg Für herzkranke Patienten, Diabetiker und Menschen mit einer schweren chronischen Bronchitis hat Dr. Jakob Berger noch eine Handvoll Impfstoff. „Die horte ich für absolute Risikopatienten“, sagt der Hausarzt, der in Herbertshofen im Kreis Augsburg praktiziert. Denn als er vor zehn Tagen Grippeimpfstoff nachbestellen wollte, wurde ihm mitgeteilt, dass er wohl keinen mehr erhält. In seiner über 40-jährigen Berufszeit habe er so etwas noch nie erlebt. In ganz Bayern herrscht ein dramatischer Engpass.
Ulrich Koczian hat in den vergangenen Tagen viel telefoniert. Der Inhaber der Augsburger Lindenapotheke hat versucht, bei seinen Kollegen noch Grippeimpfstoff zu bekommen. Doch denen geht es nicht anders, sagt Koczian, der zugleich Vizepräsident der Landesapothekerkammer ist. „Die haben auch nichts.“Seit zehn Tagen ist der Grippeimpfstoff in der Lindenapotheke aus. So wie in vielen anderen Apotheken. „Die Lage ist überall in Bayern schwierig“, sagt Koczian.
Das Problem: Nachbestellungen sind jetzt nicht mehr möglich. Schließlich dauert die Produktion des Impfstoffs mehrere Monate. Die Zusammensetzung variiert von Sai- zu Saison, je nachdem welche Virenstämme gerade aktiv sind. Daher muss immer im Voraus errechnet werden, wie viel Impfstoff für die nächste Saison nötig ist.
Der Bedarf für diese Saison wurde ganz offensichtlich unterschätzt. Es haben sich aber auch deutlich mehr Menschen impfen lassen, sagt Berger. Erstmals wird aber der Vierfach-grippeimpfstoff auch von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Damit geht eine Forderung von Berger in Erfüllung. Schließlich soll der Vierfach-impfstoff einen besseren Schutz bieten. Nicht vergessen werden darf, dass im vergangenen Winter die Grippewelle besonders heftig gewütet hat. Auch das kann die Impfbereitschaft der Menschen erhöht haben.
Um auf die Schnelle mehr Impfstoff zu bekommen, hat die Bayerische Landesarbeitsgemeinschaft Impfen, kurz LAGI, in einer Sondersitzung in München Maßnahmen beschlossen. So sollen alle an der Versorgung Beteiligten, vor allem Apotheken, Hersteller und Ärzte, ermitteln, ob und wo noch Impfdosen vorrätig sind. „Ärzte erhalten durch die Behörden die Möglichkeit, angesichts dieser besonderen Situation untereinander Impfstoffe austauschen zu dürfen.“Der Bayerische Apothekerverband hat zuletzt eine Tauschbörse eingerichtet.
Apotheker Koczian hat allerdings wenig Hoffnung, dass damit viele Patienten versorgt werden können. „Da gibt es nur ein paar einzelne Impfdosen.“Auch löst dies nach Koczians Worten nicht das grundsätzliche Problem, dass sich die Vorräte für Grippeimpfstoff verknappen, sobald es auf den Winter zugeht. „Wir haben jedes Jahr das gleiche Theater.“Das liege vor allem am Bestellsystem: Üblicherweise kalkulieren viele Ärzte vorsichtig, was ihren benötigten Impfstoff angeht. Denn bestellen sie mehr als sie tatsächlich verbrauchen, laufen sie Gefahr, von den Krankenkassen in Regress genommen zu werden. „Man müsste das System ändern“, sagt der Augsburger Apotheker. Er sieht die Verantwortung bei den Krankenkassen und dem Gesundheitsministerium. „Es ist doch kontraproduktiv, die Leute jedes Jahr zum Impfen zu animieren und dann fehlt der Impfstoff.“
Auch Hausarzt Berger macht die Politik verantwortlich. Aber auch die Krankenkassen sind seines Erachtens mitschuldig. Er spricht von einer „Sparpolitik“: Über Jahre sei in den Markt für Grippeimpfstoff von Seiten der Politik eingegriffen worden. Die Aufträge für die Herson stellung des jeweiligen Impfstoffes sei in den vergangen Jahren ausgeschrieben worden und nur ein, zwei Firmen seien zum Zug gekommen. Die Hausärzte haben nach Angaben von Berger gegen diese Praxis protestiert. Mit Erfolg. In diesem Jahr sei es zu keiner Ausschreibung gekommen, mehr Firmen konnten Grippeimpfstoff herstellen. Doch die Produktion ist aufwendig und teuer. Ganz offensichtlich wurde für diese Saison viel zu wenig hergestellt. Das muss sich ändern, fordert Berger: „Es müssen mehr Firmen mehr Grippeimpfstoff produzieren.“
Doch was sollen Patienten in der aktuellen Notsituation tun? Gerade Menschen mit Herzerkrankungen, Schwangeren, Diabetikern und Patienten mit einer chronischen Bronchitis rät Berger zu einer Grippeschutzimpfung. Auch Menschen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, sollten sich impfen lassen. Ihnen empfiehlt er zunächst den Gang zu ihrem Hausarzt. Falls dieser keinen Impfstoff mehr hat, würde er alle Apotheken im Umfeld telefonisch kontaktieren und dort nachfragen. Ist die Suche zunächst erfolglos, bleibt nur das Hoffen und Warten auf den Impfstoff. Nachschub kommt vielleicht bald. Schließlich soll auch im europäischen Ausland nachgeforscht werden, wo noch Vorräte erhältlich sind.
Wer hat noch Impfdosen? Tauschbörse für Apotheker