Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
So profitiert die CDU von Friedrich Merz
Seit der frühere Fraktionschef seine Kandidatur erklärt hat, wirkt die sonst so biedere Partei wie neu belebt. Aber wird er auch ihr Vorsitzender?
Neulich im Schwarzwald. In Bad Krozingen sitzen die Mitglieder des Kreisverbandes zusammen und reden sich die Köpfe heiß, wer die CDU denn in die Zeit nach Angela Merkel führen soll. Aus einer Laune heraus lässt der Kreisvorsitzende daraufhin abstimmen. Für Annegret Kramp-karrenbauer, die Generalsekretärin, plädieren vielleicht 20 Mitglieder, für den früheren Fraktionschef Friedrich Merz weit über 100. Für Gesundheitsminister Jens Spahn heben sich nur zwei Hände.
So eindeutig wie in Bad Krozingen ist das Meinungsbild nicht überall. Eine knappe Woche vor dem Parteitag in Hamburg liefern sich Merz und Kramp-karrenbauer ein knappes Rennen, das vielleicht erst auf der Zielgeraden entschieden wird – durch eine besonders mitreißende Rede vor den gut 1000 Delegierten beispielsweise. Und wer auch immer sich am Ende durchsetzt, eine Richtungsentscheidung trifft die Partei in jedem Fall: Mit Merz, dem Idol der Konservativen, wird die CDU ein Stück zurück nach rechts rücken, sich wieder stärker von Sozialdemokraten und Grünen abgrenzen und auch im Auftritt forscher und fordernder werden. Kontrahentin Krampkarrenbauer dagegen ist ihrer Mentorin Merkel viel ähnlicher, als sie es im Moment aussehen lassen will: unprätentiös in Stil und Ton, beweglich in der Sache und vor allem im Streit um die Flüchtlingspolitik deutlich näher bei der Kanzlerin als ihre beiden Mitbewerber.
Mit der Generalsekretärin würde sich die CDU für die bequemste Variante entscheiden. Angela Merkel könnte Regierungschefin bleiben – und die SPD in der Koalition. Friedrich Merz zu wählen verlangt dagegen Mut und Risikofreude: Kann das funktionieren mit ihm und ihr? Greift er über kurz oder lang selbst nach der Kanzlerschaft? Seine Kandidatur ist bei allen persönlichen Ambitionen und Animositäten ja auch eine Reaktion auf die Lethargie, die Unentschlossenheit und die programmatische Dürre der letzten Merkel-jahre. Kaum vorstellbar, dass er die Kanzlerin als neuer starker Mann der Partei einfach weitermachen ließe wie bisher. Kaum vorstellbar auch, dass die SPD einfach so weitermachen könnte. Für sie ist Merz, das nur nebenbei, Chance und Gefahr zugleich. Auf der einen Seite böte eine stärker ins Konservative gewendete CDU den Sozialdemokraten die Möglichkeit, sich an ihr zu reiben und wieder neues Profil zu gewinnen. Auf der anderen Seite könnte die SPD auf Dauer kaum in einer Koalition bleiben, in der Friedrich Merz den Takt vorgibt, sei es als Parteichef, sei es als Kanzler.
Entsprechend schwer tut sich die CDU mit der Entscheidung. Lange Zeit als biederer Kanzlerwahlverein verhöhnt, diskutiert sie nun zwar mit großer Leidenschaft die V-frage. Was aus dieser Entscheidung folgt, wird ihr allerdings nur langsam klar. Bei Umfragewerten von weit unter 30 Prozent für die Union ist es mit dem Auswechseln der Parteivorsitzenden ja nicht getan. CDU wie CSU haben noch kein Rezept, um frustrierte Wähler von der AFD zurückzuholen, ihre Ministerriege verströmt von wenigen Ausnahmen abgesehen den spröden Charme eines Beamtenkongresses – und auch die Aussichten für die Landtagswahlen im nächsten Jahr sind alles andere als rosig.
Hätten alle Mitglieder die Wahl: Merz käme vermutlich als klarer Favorit nach Hamburg. Die Delegierten eines Parteitages aber ticken häufig anders, unter ihnen sind viele Abgeordnete und Funktionäre, die um ihre Ämter oder Mandate fürchten, ihre Lust am Risiko ist gering und ihre Experimentierfreude naturgemäß auch. Sie sollten nur eines nicht vergessen: So frisch und lebendig, wie die CDU gerade wirkt, wirkt sie nur, weil Friedrich Merz zurück ist.
Die Lust am Risiko ist gering