Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Der Lichtjunge von Theresienstadt
Die Dokumentarfilmgruppe Rothenburg erhält den Marion-samuel-preis der Stiftung Erinnerung
Es sind die tiefen, persönlichen Erlebnisse und Erzählungen der Menschen, die in den Dokumentationen der Rothenburger Film-ag an der Oskar-von-miller-realschule nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Sie stellen die Nähe zu Ereignissen her, die sich während und nach der Ns-zeit in und um Rothenburg, aber auch in Dörfern Frankreichs, Griechenlands und im KZ Theresienstadt abspielten. Die Schülerinnen und Schüler richten ihre Scheinwerfer nicht auf die große Politik, sondern auf die Auswirkungen, die Krieg und Verfolgung im Mikrokosmos der Menschen hatten und haben.
Wie zum Beispiel auf das Leben von Salle Fischermann, eines Juden, der 1943 aus seiner Heimatstadt Kopenhagen nach Theresienstadt deportiert wurde. Die SS rekrutierte den 13-Jährigen dort als Lichtjungen und Kabelträger für ihren berüchtigten Propagandafilm „Theresienstadt“, der das Getto nicht als Hungerhölle, sondern als Wellnessort mit strickenden, jungen Frauen und zufrieden spielenden Kindern inszenierte.
„Wenn lang die Bilder schon verblassen“(2005) verwebt die Erzählungen Fischermanns über den tatsächlichen Kz-alltag sowie seine Erinnerungen an die Dreharbeiten mit den Originalaufnahmen des in Bruchstücken erhaltenen Propagandafilms.
Ein berührender Streifen, der nicht nur die Propagandamethoden der SS und die persönlichen Traumata sowie den Humor des Kzüberlebenden Fischermann zeigt, sondern den beteiligten 13- bis 16-jährigen Jugendlichen einen kreativen und biografischen Zugang zur Ns-zeit ermöglichte, der lange über die Dreharbeiten hinaus wirkt.
Die Stiftung Erinnerung des Augsburger Ehrenbürgers Walter und Ingrid Seinsch würdigte das Lebenswerk der Rothenburger Filmag mit dem Marion-samuel-preis. Ingrid Seinsch überreichte die mit 15000 Euro dotierte Auszeichnung im Beisein des Schirmherrn Oberbürgermeister Kurt Gribl und etwa 180 Gästen aus Rothenburg und Augsburg im Rokokosaal der Regierung von Schwaben.
Der Geschichtslehrer, Autor, Regisseur und Motor des Mammutprojekts, Thilo Pohle, nahm die Auszeichnung an. Seit 35 Jahren arbeitet der inzwischen pensionierte Rothenburger mit Schülerinnen und Schülern der Realschule. Insgesamt 180 Jugendliche recherchierten, drehten, schnitten und präsentierten ihre 40 Filme mit insgesamt über 200 Zeitzeugen in ganz Europa, Russland und den USA.
Der Eindruck, den ihre Arbeiten weltweit hinterlassen, zeigt sich an der Zahl der Übersetzungen: In 17 Sprachen wurden die Filme für die internationalen Präsentationen und Festivals übertragen. Stiftungsgründerin Ingrid Seinsch erklärte: „Ich freue mich sehr, dass der Preis in diesem Jahr an junge Menschen geht. Marion Samuel wäre stolz auf euch!“Walter Seinsch konnte an der Verleihung wie schon in den letzten drei Jahren aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen.