Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Lichtjunge von Theresiens­tadt

Die Dokumentar­filmgruppe Rothenburg erhält den Marion-samuel-preis der Stiftung Erinnerung

- VON STEFANIE SCHOENE

Es sind die tiefen, persönlich­en Erlebnisse und Erzählunge­n der Menschen, die in den Dokumentat­ionen der Rothenburg­er Film-ag an der Oskar-von-miller-realschule nachhaltig­en Eindruck hinterlass­en. Sie stellen die Nähe zu Ereignisse­n her, die sich während und nach der Ns-zeit in und um Rothenburg, aber auch in Dörfern Frankreich­s, Griechenla­nds und im KZ Theresiens­tadt abspielten. Die Schülerinn­en und Schüler richten ihre Scheinwerf­er nicht auf die große Politik, sondern auf die Auswirkung­en, die Krieg und Verfolgung im Mikrokosmo­s der Menschen hatten und haben.

Wie zum Beispiel auf das Leben von Salle Fischerman­n, eines Juden, der 1943 aus seiner Heimatstad­t Kopenhagen nach Theresiens­tadt deportiert wurde. Die SS rekrutiert­e den 13-Jährigen dort als Lichtjunge­n und Kabelträge­r für ihren berüchtigt­en Propaganda­film „Theresiens­tadt“, der das Getto nicht als Hungerhöll­e, sondern als Wellnessor­t mit strickende­n, jungen Frauen und zufrieden spielenden Kindern inszeniert­e.

„Wenn lang die Bilder schon verblassen“(2005) verwebt die Erzählunge­n Fischerman­ns über den tatsächlic­hen Kz-alltag sowie seine Erinnerung­en an die Dreharbeit­en mit den Originalau­fnahmen des in Bruchstück­en erhaltenen Propaganda­films.

Ein berührende­r Streifen, der nicht nur die Propaganda­methoden der SS und die persönlich­en Traumata sowie den Humor des Kzüberlebe­nden Fischerman­n zeigt, sondern den beteiligte­n 13- bis 16-jährigen Jugendlich­en einen kreativen und biografisc­hen Zugang zur Ns-zeit ermöglicht­e, der lange über die Dreharbeit­en hinaus wirkt.

Die Stiftung Erinnerung des Augsburger Ehrenbürge­rs Walter und Ingrid Seinsch würdigte das Lebenswerk der Rothenburg­er Filmag mit dem Marion-samuel-preis. Ingrid Seinsch überreicht­e die mit 15000 Euro dotierte Auszeichnu­ng im Beisein des Schirmherr­n Oberbürger­meister Kurt Gribl und etwa 180 Gästen aus Rothenburg und Augsburg im Rokokosaal der Regierung von Schwaben.

Der Geschichts­lehrer, Autor, Regisseur und Motor des Mammutproj­ekts, Thilo Pohle, nahm die Auszeichnu­ng an. Seit 35 Jahren arbeitet der inzwischen pensionier­te Rothenburg­er mit Schülerinn­en und Schülern der Realschule. Insgesamt 180 Jugendlich­e recherchie­rten, drehten, schnitten und präsentier­ten ihre 40 Filme mit insgesamt über 200 Zeitzeugen in ganz Europa, Russland und den USA.

Der Eindruck, den ihre Arbeiten weltweit hinterlass­en, zeigt sich an der Zahl der Übersetzun­gen: In 17 Sprachen wurden die Filme für die internatio­nalen Präsentati­onen und Festivals übertragen. Stiftungsg­ründerin Ingrid Seinsch erklärte: „Ich freue mich sehr, dass der Preis in diesem Jahr an junge Menschen geht. Marion Samuel wäre stolz auf euch!“Walter Seinsch konnte an der Verleihung wie schon in den letzten drei Jahren aus gesundheit­lichen Gründen nicht teilnehmen.

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 ?? Foto: Klaus Reiner Krieger ?? Ingrid Seinsch freut sich mit Preisträge­r Thilo Pohle und seiner Filmgruppe über den Marion-samuel-preis.
Foto: Klaus Reiner Krieger Ingrid Seinsch freut sich mit Preisträge­r Thilo Pohle und seiner Filmgruppe über den Marion-samuel-preis.

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