Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Socken mit Löchern gleich wegwerfen?
Müll wird immer sortenrein getrennt. Das Geschirr wird gleich nach dem Essen abgewaschen. Nach dem Zähneputzen wird nichts mehr gegessen – die Liste der Dinge, die man im Alltag laufend erledigen und beachten muss, ist lang. Halb soziale Konvention, halb Notwendigkeit für das gelingende Zusammenleben, sind viele dieser Regeln ja gar nicht zu verdammen. Aber Aufgaben nach vorherbestimmten Regeln abzuarbeiten ist etwas für Computer, nicht für Menschen. Das Leben ist kein Algorithmus. Und der Mensch braucht ab und zu das Abweichen von der Regel, sonst geht ihm bald der Saft aus.
Socken mit Löchern sind kein modisches oder politisches Statement. Sie sind manchmal peinlich, manchmal lustig – je nach Perspektive. Paul Wolfowitz zum Beispiel hat als Präsident der Weltbank einmal die sehr berühmte türkische Selimiye-mosche in Edirne besucht. Nach dem obligaten Schuheausziehen waren in beiden seiner grauen Wollsocken daumennagelgroße Löcher zu sehen. Die Häme, die weltweit über den armen Mann ausgegossen wurde, hatte natürlich sehr viel mit seiner hervorgehobenen Stellung zu tun. Trotzdem war sie ungerecht – und sagte viel mehr über ihre Urheber aus. Viel eher müsste es heißen: „Der Weltbank-präsident – einfach auch nur ein Mensch.“
Socken sind Verbrauchsware, sind sie defekt, landen sie natürlich früher oder später in der Tonne. Aber im Getriebe des Alltags wandern sie halt immer wieder mal zurück auf den Wäschestapel, in die Waschmaschine und den Schrank. Und beim nächsten Mal anziehen ist man zu faul, ein neues Paar zu holen, ist ja schließlich nur ein kleines Loch, dessen Anblick im Schuh niemand belästigt …
Alle Sockenbügler, die das nicht aushalten, dürfen es natürlich anders halten.