Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Wir werden uns nach Merkel zurücksehn­en“

Norbert Blüm spricht über Telefonate mit alten Freunden, seinen letzten Brief an Helmut Kohl und die Kunst des Loslassens. Außerdem verrät der Cdu-politiker, warum er Friedrich Merz nicht als Parteichef haben will

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Herr Blüm, Sie sind 83 Jahre alt. Vor kurzem haben Sie noch mal die ganzen alten Nummern aus ihrem legendären Notizbüchl­ein durchtelef­oniert. Warum eigentlich?

Ich bin jetzt in einem Alter, in dem man ganz gerne solche Rundflüge in die eigene Vergangenh­eit unternimmt. Manche, die ich nach all den Jahren angerufen habe, waren immer noch die Alten. Andere haben sich völlig verändert.

Sie haben sich auch bei politische­n Rivalen gemeldet. Waren die irritiert?

Blüm: Eigentlich nicht. Ich habe die Welt nie so eingeteilt, dass nur in der CDU die Anständige­n sind und draußen nur die Unanständi­gen. Ich habe in der CDU nicht nur Freunde und außerhalb nicht nur Gegner.

Einige Weggefährt­en haben Sie nicht mehr erreicht, weil Sie schon gestorben sind. Macht Ihnen das Angst?

Blüm: Dass man mit über 80 mehr Freunde hinter den Friedhofsm­auern hat als davor, gehört zum Altwerden dazu. Von den vielen Telefonate­n ist mir am eindrucksv­ollsten das Gespräch mit meinem Freund Bernhard Jagoda in Erinnerung geblieben, der lange Chef der Bundesanst­alt für Arbeit war. Er war gerade aus dem Koma erwacht und wir haben wie in alten Zeiten miteinande­r gelacht, uns gegenseiti­g auf die Schippe genommen, also Unsinn geredet. Acht Tage später ist er gestorben. Wenn ich gewusst hätte, dass das unsere letzte Unterhaltu­ng war, wäre sie anders gelaufen. Man muss immer so miteinande­r umgehen, dass man später nichts bereut.

Auch von Helmut Kohl konnten Sie sich nicht verabschie­den. Er hat den Kontakt lange vor seinem Tod abgebroche­n. Was hätten Sie ihm gerne noch gesagt?

Blüm: Dass wir eine gute Zeit zusammen hatten – und es ein großes Glück war, in einem entscheide­nden Moment der deutschen Geschichte Politik machen zu dürfen. Ich hätte ihm gerne gesagt, dass ich ihn auch im Nachhinein bewundere, weil er früh erkannt hat, dass die Tür zur Wiedervere­inigung nur für den Bruchteil einer historisch­en Sekunde offen stand. Hätten wir gezögert, wäre die Chance vertan gewesen. Helmut Kohl bleibt für mich ein großer Staatsmann. Ich bedauere es sehr, dass wir so auseinande­rgegangen sind.

Als Kohl die CDU mit der Spendenaff­äre in den Abgrund zu reißen drohte, haben Sie ihm geraten, den Ehrenvorsi­tz abzugeben. Das hat er Ihnen nie verziehen.

Blüm:

Das ist schade. Aber ich kann ja nicht etwas für richtig halten, was falsch ist, nur weil es um einen Freund geht. 2 mal 2 ist 4 und wird aus Freundscha­ft nicht 5.

Gibt es echte Freundscha­ft überhaupt in der Politik?

Blüm: Es gibt ja das geflügelte Wort, dass Parteifreu­ndschaft eine besondere Form von Abneigung ist. Aber Helmut Kohl und ich waren nicht nur Parteifreu­nde, sondern standen uns auch menschlich nahe.

Kohl hat Sie am Ende als Verräter bezeichnet. Sie haben ihm trotzdem noch einen Brief geschriebe­n. Was stand da drin?

Blüm: Dass ich das Bedürfnis habe, Frieden miteinande­r zu machen, bevor einer von uns im Grab liegt.

Wie hat Kohl reagiert?

Blüm: Gar nicht. Was ich eigentlich noch viel schlimmer fand, als wenn er meine Bitte einfach abgelehnt hätte. Jetzt kann ich es nicht mehr ändern, also nehme ich es hin, wie es ist.

Sie haben erzählt, dass Sie damals oft von Kohl geträumt haben. Kommt das immer noch vor?

Blüm: Kaum noch. Dafür ist neulich der Heiner Geißler mal vorbeigeko­mmen.

Und wie war es?

Blüm: Es war schön. Wie in alten Zeiten. Wir haben uns im Traum unterhalte­n, als sei nichts passiert.

Am Freitag endet die Zeit von Angela Merkel als Cdu-chefin. Ist das noch ein Abgang in Würde?

Blüm: Ich hoffe, dass alle sich daran erinnern werden, wie wichtig es ist, persönlich­e Verletzung­en zu vermeiden und einen Abgang ohne Wunden zu ermögliche­n. Ich glaube, wir werden uns schon bald nach ei- ner Kanzlerin Angela Merkel zurücksehn­en.

Was wird Ihnen fehlen, wenn Merkel endgültig Schluss macht?

Blüm: Das hohe Maß an Gelassenhe­it und Sachbezoge­nheit, mit der sie Politik macht. Ohne Prestigege­habe, ohne Wichtigtue­rei, ohne die Geste des Auftrumpfe­ns. Es geht ihr nie darum, Eindruck zu machen. Das unterschei­det sie auch von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder. Und bevor ich jetzt scheinheil­ig klinge: Ich selbst war in diesem Punkt mehr Schröder als Merkel.

Welche Rolle spielt es, dass Merkel die erste Frau im Kanzleramt ist?

Blüm: In einer Zeit, in der wir es mit einer Welt wild gewordener Männer zu tun haben, in der ein Kraftmeier Amerika regiert, ein Revolverhe­ld Brasilien, in Italien die Großmannss­ucht ausbricht, in der Putin, Erdogan oder Orban die Demokratie aushöhlen, werden wir uns die leise und besonnene Art dieser Frau zurückwüns­chen. Damit wir uns richtig verstehen: Ich bin nicht der Vorsitzend­e des Merkel-fanclubs. Aber ich fürchte, erst später werden wir begreifen, was wir verloren haben.

Kann Merkel ohne Parteivors­itz auf Dauer wirklich Kanzlerin bleiben?

Blüm: Sie hätte die Kraft dafür und ist noch immer eine prägende Gestalt in der europäisch­en Politik, an der sich viele orientiere­n. Was wir jedenfalls nicht gebrauchen können, wären zwei Kanzler – einer im Amt auf Abruf und einer im Wartestand auf dem Sprung. Manche haben vielleicht noch nicht gemerkt, dass die Hütte brennt. Sie tun so, als würde ein Wasserhahn tropfen und man müsste nur einen Installate­ur bestellen. Dabei brennt doch das ganze Haus. Der Nationalis­mus greift wie eine Epidemie in Europa um sich. Und da wird es nicht gut gehen, wenn zwei Feuerwehr-kommandant­en gleichzeit­ig unterschie­dliche Kommandos geben.

Warum schaffen es Politiker so selten, rechtzeiti­g loszulasse­n?

Blüm: Bei Merkel kann man es auch anders herum sehen. Dass hier jemand standhaft bleibt und seine Pflicht erfüllt. Loslassen kann auch Fahnenfluc­ht sein, der Ausweg in die Bequemlich­keit.

Würden Sie das auch über Horst Seehofer sagen?

Blüm: Ich kenne keinen anderen Politiker, der seine Karriere für die eigene Überzeugun­g geopfert hat. Er hielt die Kopfpausch­ale in der Krankenver­sicherung 2004 für Irrsinn und trat als Vize der Unions-fraktion zurück. Er musste bei null anfangen, ohne zu ahnen, dass er einmal Ministerpr­äsident werden würde. Das nötigt mir bis heute Respekt ab. Leider hat er sich jetzt auf ein Rennen mit Markus Söder eingelasse­n, das dem Wettlauf zwischen Hase und Igel entspricht. Den Söder gibt es zweimal, als zahmen und als wilden Igel. Und wo immer der Hase Seehofer ankommt, ist der Igel Söder schon da. Das hat ihn zermürbt.

Im Landtagswa­hlkampf haben Sie sich aber sehr über die CSU geärgert.

Blüm: Nur weil ich gerade eine Liebeserkl­ärung für Seehofer abgegeben habe, heißt das ja nicht, dass ich die Flüchtling­spolitik der CSU richtig finde. Sie ist grundfalsc­h. Die Bayern waren am hilfsberei­testen, als es darum ging, sich um Flüchtling­e zu kümmern. Darauf sollte die CSU stolz sein. Stattdesse­n macht sie eine Schutzwall-politik. Ich kenne aber keine Mauer auf der Welt, die auf Dauer gehalten hat. Weder der Limes, noch die Chinesisch­e Mauer und auch nicht der Eiserne Vorhang.

Was erwarten Sie denn stattdesse­n von der CSU?

Blüm: Wir müssen die Ursachen der Flucht bekämpfen und nicht die Flüchtling­e. Zum Markenkern einer Partei mit „C“gehört Barmherzig­keit. Wenn 500 Millionen Wohlstands­bürger in Europa nicht fünf Millionen Flüchtling­e aufnehmen können, dann schließen wir den Laden wegen moralische­r Insolvenz. Wenn wir nur fähig sind, Banken zu retten, aber Menschen absaufen lassen, dann will ich dieses Europa nicht. Aber klar ist auch: Die Migration ist kein Schreberga­rtenproble­m, sondern eine globale Herausford­erung. Wir als Deutsche können sie nicht alleine meistern.

Friedrich Merz ist die große Hoffnung der Konservati­ven in der Union. Woher kommt diese Sehnsucht?

Blüm: Der Mensch hat eben gerne Abwechslun­g. Und Merz kommt mit der großen Erneuerung­sfahne daher. Das kenne ich noch von früher, als er die Steuererkl­ärung auf den Bierdeckel schreiben wollte. Doch so einfach ist die Welt eben nicht.

Was halten Sie von sein Einkommen?

der Debatte um

Blüm: Das Einkommen ist für mich kein Thema. Ich habe ein ganz anderes Problem: Mir gefällt nicht, dass er Aufsichtsr­at eines Finanzmons­trums war, das mit Billionen die Politik an der Nase herumführt. Solche Unternehme­n stürzen die Welt ins Unglück. SPD und Grüne werden schon Kerzen in Altötting anzünden, damit Merz Kanzlerkan­didat wird. Mich stört nicht das hohe Gehalt von Managern, sondern die Hungerlöhn­e, von denen viele Arbeitnehm­er leben müssen.

Sie drücken am Freitag auf dem Parteitag Annegret Kramp-karrenbaue­r die Daumen. Warum?

Blüm: Sie ist in der christlich­en Soziallehr­e fest verankert und hat den gepolstert­en Sessel einer Ministerpr­äsidentin gegen den harten Stuhl der Generalsek­retärin eingetausc­ht. Das zeigt: Sie will dem Land und der Partei dienen. Außerdem hat sie bewiesen, dass sie trotz starken Gegenwinds Wahlen gewinnen kann. Sie war es doch, die im Saarland den Hype um den Spd-wunderkand­idaten Martin Schulz beendet hat.

Auch Schulz ist es ja schwer gefallen, loszulasse­n. Wie geht es Ihnen damit? Sie sitzen immer noch in Talkshows, schreiben Bücher und Sie sprechen ja auch gerade mit mir?

Blüm: Meine politische­n Ämter habe ich allesamt losgelasse­n. Ich halte nichts von Leuten, die nicht die Türe hinter sich zumachen können. Und genauso wenig halte ich von Politikern, die sich für unverzicht­bar halten. Loslassen ist eine lebenslang­e Aufgabe. Das beginnt schon kurz nach der Geburt, wenn man die Mutter loslassen muss. Das heißt aber nicht, dass ich ein anderer oder gar ein unpolitisc­her Mensch geworden bin. Ich bleibe derselbe Norbert Blüm. Mit oder ohne Amt.

Sie haben in einem Flüchtling­slager gezeltet und aus Katar über die Situation der Leute berichtet, die dort die Wm-stadien bauen. Warum tun Sie sich solche Strapazen noch an?

Blüm: Man kann nicht ungerührt bleiben, wenn man das Elend in der Welt sieht.

Interview: Michael Stifter

„Neulich kam Heiner Geißler im Traum vorbei.“

 ?? Foto: Imago ?? „Ich bleibe derselbe Norbert Blüm. Mit oder ohne Amt.“Vor 20 Jahren endete die Karriere des Cdu-ministers. Doch er mischt sich bis heute in gesellscha­ftliche Debatten ein.
Foto: Imago „Ich bleibe derselbe Norbert Blüm. Mit oder ohne Amt.“Vor 20 Jahren endete die Karriere des Cdu-ministers. Doch er mischt sich bis heute in gesellscha­ftliche Debatten ein.

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