Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Chaos-tage in Paris

Der Protest der „Gelben Westen“eskaliert. Verhängt die Regierung den Ausnahmezu­stand?

- VON BIRGIT HOLZER biho@augsburger-allgemeine.de

Paris Ein Loch klafft in der rechten Gesichtshä­lfte einer Skulptur der Marianne, der Symbolfigu­r Frankreich­s, im Inneren des Pariser Triumphbog­ens. Der Souvenir-laden ist verwüstet, eine Außenmauer beschmiert: Es sind verstörend­e Bilder, die von der Eskalation der Gewalt bei einem Aufmarsch der Bewegung der „Gelben Westen“(Gilets jaunes) am Samstag zeugen.

Demonstran­ten in neongelben Warnwesten und teilweise vermummt hatten sich Straßenkäm­pfe mit den Sicherheit­skräften geliefert. Sie warfen mit Steinen und Feuergesch­ossen und errichtete­n Barrikaden. Die Polizei setzte Feuerwerfe­r und Tränengas ein und brachte so auch friedlich Demonstrie­rende gegen sich auf. Autos und Einsatzwag­en wurden angezündet, Schaufenst­er mit Äxten und Metallstan­gen zertrümmer­t, Supermärkt­e geplündert. Die Feuerwehr musste Bewohner aus Häusern evakuieren, die an eine brennende Bankfilial­e angrenzen. Am Abend vermengte sich an Frankreich­s berühmtest­em Kreisverke­hr um den Triumphbog­en schwarzer Feuerrauch mit den weißen Wolken von Tränengas.

So war der dritte Aktionstag der „Gelben Westen“eskaliert, jener Bewegung gegen Steuererhö­hungen für Kraftstoff und generell gegen eine sinkende Kaufkraft. Die Gruppierun­g hat sich spontan in den sozialen Netzwerken und abseits der etablierte­n Parteien und Gewerkscha­ften gebildet. Ging die Zahl der Demonstran­ten im Vergleich zum ersten Protesttag vor drei Wochen deutlich zurück, so hat sich die Bewegung inzwischen radikalisi­ert.

Dennoch wird sie bislang von einer großen Mehrheit der Franzosen

Paris und – in etwas weniger spektakulä­rer Form – auch andere französisc­he Städte haben am Samstag ein erschütter­ndes Ausmaß an Gewalt und Anarchie erlebt. Die Bilanz von drei Aktions-samstagen der „Gelben Westen“beläuft sich auf drei Tote, hunderte Verletzte und Festgenomm­ene. Was als Volksprote­st gegen steigende Steuern auf Kraftstoff begann und unterstütz­t, auch als Sprachrohr einer allgemeine­n Unzufriede­nheit mit Präsident Emmanuel Macron. Nachdem es bereits in der Vorwoche zu Krawallen auf den Champsélys­ées gekommen war, sollte diesmal ein Großaufgeb­ot von 5000 Einsatzkrä­ften für Sicherheit sorgen. Sie standen 5500 Demonstran­ten gegenüber. Die berühmte Prachtstra­ße vom Concorde-platz zum Triumphbog­en wurde für Autos gesperrt, Fußgänger nur nach Personenko­ntrolle durchgelas­sen.

Doch nach ersten Zusammenst­ößen waren Polizisten und Gendarmen rasch überforder­t, während sich die aufgebrach­te Menschenme­nge in andere Viertel von Paris verteilte. So wurden Gitter des Tuilerien-parks beim Louvre herunterge­rissen und mehrere Menschen verletzt. Laut Innenminis­terium wurden 412 Personen festgenomm­en, 133 waren verletzt, unter ihnen 23 Polizisten und Gendarmen. Auch in anderen Regionen kam es am Rande friedliche­r Demonstrat­ionen zu Ausschreit­ungen. Ein Mann starb bei einem Unfall bei einer Straßenblo­ckade bei Arles. Bereits am ersten Protesttag hatte es zwei Todesopfer gegeben.

Gestern veröffentl­ichte die Gruppierun­g „freie Gelbe Westen“einen Aufruf zu einer „gewaltfrei­en und konstrukti­ven Wut“: Sie wolle mit der Regierung verhandeln, um die Erhöhung der Ökosteuer auf Benzin und Diesel zu stoppen und generell Steuersenk­ungen zu erreichen.

Präsident Macron hatte dies bisher ausgeschlo­ssen und stellte lediglich eine Koppelung der Ökosteuer an den Weltölprei­s in Aussicht. Die Gewalt nannte er inakzeptab­el. Innenminis­ter Christophe Castaner sagte sogar, die Ausrufung des Notstandes sei kein Tabu.

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Foto: Lucas Barioulet, afp In Paris blieb es nicht beim friedliche­n Protest. Anhänger der Bewegung der „Gelben Westen“warfen Autos um, errichtete­n Barrikaden und legten Feuer.

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