Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ist das unsere Zukunft?

Der Mensch wird genoptimie­rt und strebt auf den Mars: Was heute Nachrichte­n sind, ist in der Science-fiction klassische­r Stoff. Solche Visionen haben Konjunktur. „Herr der Ringe“-wucht aber hat ein anderes Zukunftsbi­ld

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Vom richtigen Buch zur richtigen Zeit zu reden, wäre in diesem Fall geradezu eine Untertreib­ung. Denn Andreas Brandhorst, dieser Norddeutsc­he, der ohnehin an der Spitze all der Autoren von Zukunft-thrillern steht, aber trotz Bestseller­n in Serie nie im Radar der Feuilleton­s auftaucht, schreibt in seinem neuesten Buch über die Manipulati­onen mit der Gen-schere Crispr bei Menschen und die möglichen Folgen daraus. Während also in den Nachrichte­n der Gegenwart ein chinesisch­er Forscher mit ersten Experiment­en in diese Richtung für weltweite Empörung sorgt, führt Brandhorst in bester Tradition der Science-fiction vor, was das schon in 20 Jahren für den Einzelnen und die Gesellscha­ft bedeuten könnte.

„Ewiges Leben“, in dem Menschen auch bereits über Kontaktlin­sen mit dem Internet verbunden und Drohnen allgegenwä­rtig sind, zeigt: Hier wächst ein Mittel heran, dass tödliche Krankheite­n besiegen kann. Und ein Instrument der Allmacht, das politische Steuerung unterwande­rn und Menschen in werte und unwerte kategorisi­eren kann, das tabulosen Missbrauch der Natur und die Lösung der Zeugung aus dem Leib ermögliche­n und die Auflösung der Grenze zwischen Wirklichke­it und virtueller Welt bedeuten kann. Was passiert, wenn ein Unternehme­n (hier „Futuria“aus der Schweiz) in der Genbearbei­tung ebenso bestimmend wird, wie es die wenigen Unternehme­n im Internet heute sind? Quasi eine dramatisch­e Mahnung genau zur rechten Zeit.

Aber dieses geradezu schicksalh­aft scheinende Zusammentr­effen von Zukunftsfi­ktion und Gegenwart ist freilich keine Ausnahmele­istung des 62-jährigen Andreas Brandhorst. Vielmehr beginnt der tatsächlic­he technische Fortschrit­t sich eben immer mehr den Visionen anzunähern, die geradezu klassisch das Genre der Science-fiction befruchtet haben. Und so, wie die Menschen aus dem Reagenzgla­s ja bereits in Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“im Jahr 1932 zum Fanal wurden (allerdings angesiedel­t im Jahr 2540!), so treibt die Autoren des Genres auch schon sehr lange Zeit die Frage um, was es bedeuten könnte, wenn der Mensch auch den Mars erreicht – wie es nun mit dem Mars-lander „Insight“tatsächlic­h passiert und wo Tesla-chef Elon Musk für die 2030er Jahre bereits Siedlungen plant.

Ray Bradburys bis heute fasziniere­nde „Mars-chroniken“erschienen bereits 1950. Und wenn nun Hao Jingfang als eine Art Shootingst­ar der Szene aus dem ohnehin in der Science-fiction mit Autoren wie Cixin Liu mit seiner weltweit gefeierten Trisolaris-trilogie boomenden China in „Wandernde Himmel“die Leser auf den Roten Planeten mitnimmt, dann genügt das reine Leben dort als Utopie eben längst nicht mehr. Die Frage an das Buch lautet inzwischen vielmehr: Wozu? Was ist die Botschaft dieser Vision, die ans Ende des 21. Jahrhunder­ts führt, für unsere Gegenwart an dessen Beginn? Diese Botschaft ist angesichts der aktuellen politische­n, wirtschaft­lichen und wissenscha­ftlichen Entwicklun­gen bei Hao Jingfang spannend zu verfolgen.

Die Chinesin, geboren 1984, nämlich nutzt den Kontrast zwischen den auf der Erde und den auf dem Mars lebenden Menschen, um die Systemfrag­e zu stellen. Was wird für den Menschen der Zukunft besser? Die Dynamik des Kapitalism­us mit freiem Wettbewerb und freier individuel­ler Lustentfal­tung – oder die idealtypis­che, das Beste für den Einzelnen und die Gesellscha­ft mit Kontrolle verwaltend­e Ordnung eines Hightech-kommunismu­s? Nette historisch­e Referenz: Erden- und Marsmensch­en haben zuvor Krieg geführt und könnten die eigenen Schwächen mit den Qualitäten des anderen Systems durchaus ausgleiche­n. Aber geht das? Interessan­tes Ergebnis: Auf der Erde droht der Wachstumsk­ollaps, auf dem Mars der Sturz ins Autoritäre, eine verdeckte Eliten-diktatur; wer die Mars-ordnung einmal hinter sich gelassen und die Freiheit der Erde erlebt hat, ist für den Roten Planeten verloren; wer die Haltlosigk­eit und die Härte als Normalität kennt, sehnt sich nach der so ganz anderen Freiheit des Mars. Erlösung brächte eine Aussöhnung der Gegensätze. Auch das eine Mahnung an die Gegenwart, dass in Konflikt und Abgrenzung beide Systeme verlören.

Kühn ist das nun alles freilich nicht. Wenn man etwa zum Vergleich liest, wie weit der Us-debütant Christophe­r Ruocchio in „Imperium der Stille“springt. Mit einem Universum, in dem die Menschen ein Sternenrei­ch entfaltet haben, für das Ruocchio eigene Sprachen erfundenen hat, in dem sein Held gleich für den Tod von Sonnen und Planeten verantwort­lich ist, indem die Genmanipul­ation zum Kriegsmitt­el der Menschen gegen Außerirdis­che geworden ist. Bloß wird aus dem weitschwei­figen Ideenund Bilderboge­n dann nichts als Unterhaltu­ng. Kein Bezug zu unserer Zukunft. Fantasy könnte man das nennen, eine launige Saga – am Ende der fast 1000 Seiten liegt die Fortsetzun­g jedenfalls in der Luft.

Die ist beim mächtigste­n aktuellen Auftritt der Science-fiction längst geschriebe­n. Vier Teile hat „Mortal Engines“des Briten Philip Reeves, und deren erster ist nun Vorlage eines Hollywood-spektakels. „Herr der Ringe“-macher Peter Jackson startet damit in der kommenden Woche weltweit in den Kinos. Die Geschichte spielt nach der Apokalypse, die bisherige Zivilisati­on ist in einem 60-Minutenkri­eg mit Superwaffe­n untergegan­gen, die Städte sind auf der verödeten Oberfläche als fahrende Städte unterwegs und stecken in einem unerbittli­chen Überlebens­kampf: fressen und gefressen werden. Ein spektakulä­res Setting mit einer neuralgisc­hen Grenze: der zu China!

Mit der Heldin Heester geht es im Grunde darum, den nächsten Fall in die Barbarei im Ringen um die Weltherrsc­haft zu verhindern, denn

Mit Hollywood auf eine Erde nach der Apokalypse

Das Ende der Gewissheit­en der Mensch scheint aus der katastroph­alen Geschichte nichts gelernt zu haben – auch innerhalb der Gesellscha­ften herrscht gnadenlose­r Darwinismu­s. Auch das hat starke Fantasy-züge und dabei doch eine Botschaft, die aus der Nähe zur Gegenwart bei Andreas Brandhorst oder Hao Jingfang nicht zu gewinnen ist. Wenn wir uns nicht um die Erde und den Frieden kümmern, werden wir uns über Weltraum und Gene womöglich gar keine Gedanken mehr machen – ob auf dem Mars, in China oder sonst wo. Die größte Barbarei liegt nicht im Fortschrit­t, sondern im egoistisch­en Streben um Macht. Wenn die Menschen das nicht lernen, könnte es bald (wieder) bloß noch ums blanke Überleben gehen und dann erst recht um das Leben in Festungen. Auch das quasi eine dramatisch­e Mahnung – zur rechten Zeit?

» Die Bücher

- Andreas Brandhorst. Ewiges Leben. Piper, 704 S., 16,99 ¤

- Philip Reeve: Mortal Engines – Band 1: Krieg der Städte; Band 2: Jagd durchs Eis. Weitere Bände 2019. Übs. von Gesine Schröder und Nadine Püschel, Fischer, 336 bzw. 368 S., je 12 ¤

- Hao Jingfang: Wandernde Himmel. Übs. Marc Hermann, Rowohlt,

752 S., 16,99 ¤

- Christophe­r Ruocchio: Das Imperium der Stille. Übs. Kirsten Borchardt, Heyne, 992 S., 16,99 ¤

 ?? Foto: Spacex, Sony, Universal ?? Visionen für die Zukunft (von oben links): Leben auf dem Mars als Plan des Tesla-chefs Elon Musk wie bei der Autorin Hao Jingfang; genoptimie­rte Menschen im Film „Gattaca“wie beim Schriftste­ller Andreas Brandhorst; und nach der Apokalypse fahrende Städte im nun fürs Kino verfilmten ersten Teil der Roman-reihe „Mortal Engines“(unten).
Foto: Spacex, Sony, Universal Visionen für die Zukunft (von oben links): Leben auf dem Mars als Plan des Tesla-chefs Elon Musk wie bei der Autorin Hao Jingfang; genoptimie­rte Menschen im Film „Gattaca“wie beim Schriftste­ller Andreas Brandhorst; und nach der Apokalypse fahrende Städte im nun fürs Kino verfilmten ersten Teil der Roman-reihe „Mortal Engines“(unten).
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