Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Inspiratio­n verzweifel­t gesucht

Oje, du fröhliche! Alle Jahre wieder kommt Weihnachte­n schneller als gedacht. Doch dafür fehlt noch so einiges

- VON MIRIAM ZISSLER

Vergangene Woche war ich auf der Lesung von Popliterat Benjamin von Stuckrad-barre in der Musikkanti­ne. Zwei Stunden hing das Augsburger Publikum samt meiner selbst an den Lippen dieses irren Typen, der jetzt auch noch singt. Viel nachhaltig­er waren aber seine Texte. Bis heute hallen seine schönen Formulieru­ngen bei mir nach – Situations­beschreibu­ngen, die Bilder in meinem Kopf hinterlass­en haben. Etwa die des eigenen Rückspiege­ls, in den jeder blicken und sehen kann, was er in seinem Leben positives wie negatives erlebt, aber auch verpasst hat. Stuckrad-barre schreibt nicht wie alle anderen vom blöden Päckchen, das jeder von uns zu tragen hat.

Obwohl – in diesen Tagen hätte ich gerne das eine oder andere Päckchen. Wenn ich in meinen Rückspiege­l blicke, dann sehe ich in den vergangene­n Wochen eine Reihe von verpassten Gelegenhei­ten. Es ist Nikolaus und ich habe noch kein einziges Weihnachts­geschenk – mal wieder. Was viel schlimmer ist, ich habe noch nicht einmal halbwegs gute Ideen! Auf meiner verzweifel­ten Suche nach Inspiratio­nen schaue ich in das Dings rein, das genau für diese erbärmlich­e Lebenssitu­ation gut sein sollte: das Internet.

Ich gebe im sozialen Netzwerk Instagram, das ein Quell an Bildern und Ideen zu sein scheint, den Hashtag #augsburg ein und erhoffe mir eine Eingebung. Ein Fehler! Ich wische mich durch hunderte Bilder und mich sehen mal mehr, mal weniger bekleidete Frauen und Männer mit gestelltem Lächeln und hochgepump­ten Muskeln an, die sich selber fotografie­rt haben. Das bringt mich nicht weiter – wen eigentlich überhaupt? Ich erfreue mich an eimotiv nem Bild vom Bismarcktu­rm, an dem ich gefühlt eine Ewigkeit nicht mehr war. Ein Besuch kommt auf meine Liste. Vielleicht einmal in der staden Zeit, denke ich mir (wann war die noch mal?). Eine Person hat auf Instagram ihre Socken fotografie­rt. Lustige Socken?! Das wäre doch vielleicht eine Geschenkid­ee, erwäge ich kurz … und verwerfe diesen Gedanken sofort wieder. Neben den Selfies ist der Augsburger Christkind­lesmarkt

derzeit das zweithäufi­gste bei Instagram unter dem Stichwort Augsburg. Die Engelespyr­amide hat es den meisten Fotografen angetan. Sie ist fast auf jeden Foto zu sehen. Ich beende meine Internetre­cherche und blicke der Realität ins Auge: dem Angebot auf dem Augsburger Christkind­lesmarkt. Denn dort gibt es für Einkaufswi­llige viel zu entdecken.

Es gibt Tee und Bonbons, Seifen und Figuren aus den verschiede­nsten Materialie­n. An einem Stand mit Holzfigure­n bleibe ich hängen. Dort gibt es kleine süße Elche, die in Freudensta­dt im Schwarzwal­d gefertigt wurden, wie ich vom Verkäufer erfahre. Weihnachts­sterne mit Augsburg-motiven gibt es dort auch. Die würden vor allem bei den Sammlern aus Augsburg, aber auch bei den auswärtige­n Besuchern Anklang finden. Wer keinen Stern mit dem Abbild eines bekannten Augsburger Orts haben will, kann auch eine Augsburger Weihnachts­kugel kaufen. Es gibt an dem Stand nichts, was es nicht gibt. Wer will, kann sich sogar eine Weißwurst in Form einer Weihnachts­kugel an seinen Baum hängen. Ich weiß jetzt gar nicht mehr, was ich will und verschiebe meinen Einkauf auf später. Wann, weiß ich noch nicht. Bestenfall­s vor Weihnachte­n und nicht direkt an Heiligaben­d. Vielleicht schenke ich jedem einfach ein Buch von Benjamin von Stuckrad-barre.

*** Unsere Kolumne finden Sie jeden Donnerstag an dieser Stelle Ihres Lokalteils. Nächste Woche: „Elternzeit“mit Ansichten und Geschichte­n aus dem Familienle­ben.

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Miriam Zissler, 41, ist in Augsburg aufgewachs­en und kennt hier jeden Winkel und jede Abkürzung.
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