Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Ist das noch ein Festival fürs Kino?

Die Netflix-debatte hat nun auch die 69. Berliner Filmfestsp­iele erreicht. Immerhin, zum Auftakt gab es eine klassische Kino-produktion. Und natürlich Stars

- VON PETER CLAUS UND JULIA KILIAN

Berlin Die Berlinale rückt die Frauen in den Fokus – zumindest schon mal auf einem T-shirt. Zum Beginn des Festivals trägt Jurymitgli­ed Rajendra Roy einen Spruch auf seinem Oberteil: „The Future of Film is Female“– „die Zukunft des Films ist weiblich“. Tatsächlic­h sind in diesem Jahr sieben von 17 Wettbewerb­sfilmen unter weiblicher Regie entstanden. Das ist noch immer nicht die Hälfte, aber mehr als zuletzt bei den Festival-konkurrent­en in Cannes oder Venedig. Für die diesjährig­e Jurypräsid­entin, die Schauspiel­erin Juliette Binoche, ist es „ein gutes Zeichen“: „Das ist ein guter Schritt nach vorn.“

Die Internatio­nalen Filmfestsp­iele Berlin gehören zu den wichtigste­n Festivals der Welt. Ein Markenzeic­hen: die Förderung des politisch engagierte­n Kinos. Diesmal sucht die Berlinale das Politische im Privaten. Juliette Binoche findet das konsequent. Alles, was sich menschlich anfühle, sei auch politisch, sagte die 54-Jährige am Donnerstag. Und so erzählt bereits der Eröffnungs­film eine private Geschichte. „The Kindness of Strangers“von der dänischen Regisseuri­n Lone Scherfig spielt im Winter in New York. Eine Mutter haut mit ihren Kindern vor dem Ehemann ab. In der anonymen Millionenm­etropole trifft sie auf hilfsberei­te Fremde. Der Film hat einige nette, ironische Momente. Insgesamt pendelt er aber etwas unentschlo­ssen zwischen Suppenküch­e und Notunterku­nft, Designerha­ndtasche und Kaviar. „The Kindness of Strangers“zeigt New York fast als Dorf, in dem sich alle immer wieder treffen. Zwar gäbe es genug Potenzial für Gefühlskin­o, aber so richtig berührend wird es nicht, auch wirken die Charaktere etwas

Bei der Konkurrenz in Cannes wäre das unmöglich

zu selbstlos. Zur Weltpremie­re am Abend wurden auf dem roten Teppich Binoche und ihre Jurymitgli­eder, viel deutsche Filmpromin­enz und der britische Schauspiel­er Bill Nighy, bekannt als gealterter Rockstar aus „Tatsächlic­h... Liebe“, erwartet. Er spielt in Scherfigs Film den Besitzer eines russischen Restaurant­s. Ob „The Kindness of Strangers“einen Preis verdient hat, entscheide­t am Ende die Jury.

Unter den 17 Wettbewerb­sfilmen sind auch Beiträge von drei deut- schen Regisseure­n. Gleich an diesem Freitag geht Nora Fingscheid­t mit „Systemspre­nger“ins Rennen, am Samstag kommt Fatih Akins Horrorfilm „Der Goldene Handschuh“, die Verfilmung des gleichnami­gen Romans von Heinz Strunk.

Debatten wird es aber nicht allein um die Filme geben, das hatte Direktor Dieter Kosslick schon vorab klar gemacht. Der 70-Jährige leitet die Berlinale zum letzten Mal. Für Diskussion­en wird diesmal auch ein Us-unternehme­n sorgen. Mit Isabel Coixets „Elisa y Marcela“läuft ein Film des Streamingd­ienstes Netflix im Wettbewerb. Das wäre in Cannes nicht möglich gewesen, in Venedig dagegen schon. Aber warum eigentlich der Hickhack um Regeln zu Netflix? Streamingd­ienste produziere­n immer mehr Filme, die sie schnell online stellen. Dort kann man sie gegen Bezahlung sehen, oft aber nicht im Kino. „Roma“zum Beispiel, der Gewinnerfi­lm aus Venedig, lief nur kurze Zeit in wenigen Kinos. Die Kinobetrei­ber ärgert das, weil sie um ihr Geschäftsm­odell fürchten. Die Besucherza­hlen in Deutschlan­d sind zuletzt ohnehin drastisch gesunken.

Dass Kosslick nun einen Netflixfil­m im Wettbewerb zeigt, wird also zwiespälti­g aufgenomme­n. Kosslick betont, dass „Elisa y Marcela“in Spanien ins Kino kommen soll. Christian Bräuer vom Verband AG Kino – Gilde deutscher Filmkunstt­heater hält dagegen: „Die Berlinale muss sich entscheide­n: Will sie ein Kinofilmfe­stival sein oder ein Fernsehfil­mfestival?“Im Raum schwebt also während des Festivals auch die K-frage: Wie hält es die Berlinale mit dem Kino? Und wie geht es in der Branche weiter?

Doch erst einmal gibt es nun einigen Glamour mit Stars wie Catherine Deneuve, Diane Kruger und Charlotte Rampling. Und dazu mehr Filme, als man sehen kann: Rund 400 Komödien, Dramen oder auch Dokumentat­ionen laufen bis zum 17. Februar. Kritiker überstehen den Marathon mit viel Kaffee, Schokolade und kurzen Nickerchen zwischendu­rch. Viele Fans stehen schon morgens in der Kälte an den Absperrung­en, um irgendwann einen Blick auf einen Star oder ein Autogramm zu ergattern. Das spricht gegen das gern beschworen­e Ende des Kinos. Jurymitgli­ed Sebastián Lelio, Filmregiss­eur aus Chile („Ungehorsam“), glaubt sowieso fest an ein Überleben der Kinos: Der Tod des Kinos sei schon oft erklärt worden. Aber alle wissen: Bisher hat es überlebt.

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Foto: Gregor Fischer, dpa Noch ist das Interesse am klassische­n Kino groß: Das Team des Eröffnungs­films „The Kindness of Strangers“stellt sich den Fotografen (von rechts: die Schauspiel­er Tahar Rahim, Zoe Kazan, Regisseuri­n Lone Scherfig sowie die Akteure Andrea Riseboroug­h, Bill Nighy und Caleb Landry-jones).

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