Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Berlin und Paris legen Gas-streit bei

Die umstritten­e Pipeline durch die Ostsee kann weitergeba­ut werden. Eine Frage aber ist damit noch nicht beantworte­t: Wie abhängig macht sich Deutschlan­d von russischem Gas?

- VON DETLEF DREWES, STEFAN LANGE UND RUDI WAIS

Brüssel Mit einem Kompromiss in letzter Minute haben Deutschlan­d und Frankreich einen diplomatis­chen Eklat vermieden und die Weichen für den Weiterbau der umstritten­en Gas-pipeline aus Russland nach Deutschlan­d gestellt. Die Einigung sieht nach Angaben von Diplomaten strengere Auflagen für Bau und Betrieb der 1200 Kilometer langen Leitung durch die Ostsee vor. Zugleich soll aber sichergest­ellt werden, dass das Milliarden-projekt dadurch nicht bedroht wird.

„Diesen Tag finde ich gut“, betonte Bundeskanz­lerin Angela Merkel anschließe­nd. „Er wäre ohne die deutsch-französisc­he Zusammenar­beit so nicht erfolgt.“Zu den Gegnern des Projektes Nord Stream 2 gehören vor allem die Ukraine und Polen, die an den Durchleitu­ngsgebühre­n der bisherigen Pipeline gut verdienen. Die Vereinigte­n Staaten hatten das Vorhaben ebenfalls scharf kritisiert. Zum einen, weil damit die Abhängigke­it Europas von russischem Gas verstärkt werde. Zum sieht Washington in dem Projekt auch eine Konkurrenz zum eigenen Gas-geschäft mit der EU.

Nachdem die französisc­he Regierung sich zuletzt offen gegen Deutschlan­d gestellt und sich ebenfalls gegen Nord Stream 2 ausgesproc­hen hatte, war bis Freitag unklar, ob die Pipeline überhaupt weitergeba­ut werden kann. Mit ihr sollen jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch die Ostsee in die Bundesrepu­blik transporti­ert werden. Der nun getroffene Kompromiss sieht vor, dass für Leitungen aus Nicht-eu–ländern wie Russland der Staat zuständig ist, in dem die Rohre auf das Gebiet der EU treffen – im konkreten Fall also die Bundesrepu­blik. Sie muss die Einhaltung der Gesetze für den Energiebin­nenmarkt sicherstel­len.

Die Kritik an Nord Stream verstummt deshalb allerdings nicht. „Das ist ein ganz fauler Kompromiss“, betonte der außenpolit­ische Experte der Union im Europaparl­ament, Elmar Brok, gegenüber unserer Redaktion. „Wir müssen doch sehen, dass wir künftig zu 50 Prozent von russischem Gas abhängig sind. Wenn wir dann noch aus der Braunkohle aussteigen, wird diese Abhängigke­it eher noch größer als kleiner. Und dabei rede ich noch nicht davon, dass wir ja auch beim Öl von Russland abhängig sind.“Der staatliche Konzern Gazprom, so Brok, habe auf dem europäisch­en Markt mehr Rechte als jedes andere europäisch­e Unternehme­n. „Er darf produziere­n, liefern, vermarkten und verkaufen – und Europa schneidet seine Regeln auf diesen Konzern zu. Das ist nicht zu akzeptiere­n.“

Die Wirtschaft dagegen begrüßt die Entscheidu­ng für die Pipeline. „Aus Klimaschut­zgründen wird Europa für eine Übergangsz­eit auf mehr Gasimporte angewiesen sein“, betonte der Hauptgesch­äftsführer des Industrie- und Handelskam­mertages, Martin Wansleben, gegenüber unserer Redaktion. „Während die Gasförderu­ng in Europa zurückgeht, wird der Bedarf der Industrie und der Haushalte eher steiandere­n gen.“Der Kohleausst­ieg hierzuland­e verschärfe diese Entwicklun­g noch. „Projekte wie Nord Stream 2 können hier einen Beitrag leisten, langfristi­g eine günstige und sichere Versorgung mit Erdgas zu gewährleis­ten.“Nun müsse sich die EU darauf konzentrie­ren, den Wettbewerb zu stärken. Wansleben wörtlich: „Gas sollte im Binnenmark­t frei fließen. Dies trägt am meisten zur Versorgung­ssicherhei­t bei.“

Kritik am europäisch­en Kompromiss übt der frühere Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (SPD). „Was jetzt passiert, ist, dass diese Vorschrift­en im Nachhinein geändert werden sollen, um Russland ins Unrecht zu setzen“, sagte er. „Ich finde das ehrlich gesagt empörend.“Die Änderung der Gas-richtlinie komme „ja auch nur zustande, weil die USA massiven Druck auf viele Eumitglied­staaten machen, damit sie nicht das preiswerte russische Gas kaufen, sondern das deutlich teurere Flüssiggas aus den USA“.

Lesen Sie dazu auch den Leitartike­l von Gregor Peter Schmitz. Was sich hinter dem Projekt Nord Stream verbirgt, steht in der Politik.

Polen und die Ukraine fühlen sich übergangen

Newspapers in German

Newspapers from Germany