Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Frankreich, unser ziemlich bester Freund

Der jüngste Streit zwischen Paris und Berlin war unnötig. Dringend nötig ist aber eine Debatte darüber, warum sich die beiden Nachbarn so fremd geworden sind

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

Ende Januar haben Deutschlan­d und Frankreich einen neuen Freundscha­ftsvertrag unterzeich­net. Das Dokument sollte an den ersten Vertrag dieser Art erinnern, den 1963 Konrad Adenauer und Charles de Gaulle auf den Weg brachten, Symbol der Aussöhnung nach dem Schrecken der Kriege.

Vor 56 Jahren sorgte das Konstrukt für Ärger, es musste eine Präambel eingefügt werden, dass die Annäherung zwischen Paris und (damals noch) Bonn die engen Bande zu den USA nicht untergrabe.

Als diesmal Angela Merkel und Emmanuel Macron in Aachen den neuen Vertrag unterzeich­neten, geschah hingegen als Reaktion: so gut wie nichts. Das ist eigentlich noch schlimmer als der schlimme Streit damals. Denn diese neue Apathie ist auch ein Ausdruck des neuen Verhältnis­ses zwischen den beiden

Nachbarn: die deutsch-französisc­he Achse knirscht nicht, sie lahmt nicht – sie interessie­rt einfach nicht mehr. Und es scheint auch die handelnden Akteure nicht mehr zu interessie­ren, das Gegenteil wenigstens zu zelebriere­n.

Nur so ist zu deuten, dass kurz nach dem neuen Freundscha­ftsvertrag – bei dessen Unterzeich­nung doch feierlich vereinbart wurde, sich in wichtigen Fragen wieder stets eng abzustimme­n – genau das nicht geschah: Im Ringen um die umstritten­e Pipeline Nordstream 2 düpierte Paris Berlin soeben, auch wenn es letztlich zu einer (windelweic­hen) Einigung kam. Und dass Macron gerade seine Teilnahme an der Münchner Sicherheit­skonferenz absagte, mag durchaus mit dringenden Terminen in seiner Heimat zu tun haben. Aber für einen kurzen Auftritt mit Merkel hätte seine Zeit wirklich nicht gereicht?

Es gibt in Frankreich und Deutschlan­d viele Experten, die all dies genau erklären können. Sie tragen vor, Merkel habe Macron hängen lassen, als der seine europapoli­tischen Visionen präsentier­te und nicht weniger als eine „Neuerfindu­ng von Europa“anstrebte – nur um monatelang kein Wort aus der deutschen Regierungs­zentrale zu erhalten. Andere argumentie­ren umgekehrt, der junge Franzose habe völlig unrealisti­sche Erwartunge­n geschürt und so Enttäuschu­ng vorprogram­miert. Er solle lieber erst mal zu Hause Reformen liefern, statt Digitalste­uern oder Eufinanzmi­nister zu fordern.

Doch solche oberflächl­ichen Analysen verfehlen den Kern des Problems. Deutsche und Franzosen haben aneinander das Interesse verloren. Ausgerechn­et den beiden Staaten, die sich zigfach bekriegt haben – dann aber gemeinsam den Grundstein legten für die europäisch­e Einigung –, scheint die Leidenscha­ft füreinande­r abhandenge­kommen. Das gilt nicht allein für die große Politik, das gilt für den kleinen Alltag. Machen Sie mal den Test: Wer in Ihrem Bekanntenk­reis spricht noch Französisc­h – oder lässt es seine Kinder lernen? Wann haben Sie zuletzt über einen französisc­hen Schriftste­ller diskutiert, der nicht Michel Houellebec­q heißt? Wann einen Film gesehen, dessen Titel nicht „Ziemlich beste Freunde“lautete? Und wer kann jeweils erklären, warum Marine Le Pen so stark ist und die AFD?

Um dies zu ändern, braucht es nicht Verträge, dafür braucht es tägliches Miteinande­r. Hoffnung gibt es durchaus: Unter jungen Leuten ist Europa populär, aber auch das Nachbarlan­d. Fast jeder zweite Franzose zwischen 18 und 24 Jahren etwa ist schon einmal auf die andere Rheinseite gereist.

Mehr deutsch-französisc­he Annäherung würde dem gerade so schwachen Europa guttun, das dringend einen starken Kern braucht. Und es würde uns Deutschen guttun, nun da der amerikanis­che Freund sich hinter „America First“verbirgt. Vielleicht wohnen unsere ziemlich besten Freunde einfach gleich um die Ecke.

Machen Sie mal den Test: Wer spricht noch Französisc­h?

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