Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Droht Deutschlan­d die Abhängigke­it von Russland?

Europa streitet um die Ostsee-pipeline. Worum es im Detail geht

- (dpa, ska, dr)

Berlin Es geht um Milliarden, tausende Kilometer Rohre und politische­n Einfluss: Seit Jahren wird über die Ostsee-pipeline Nord Stream 2 gestritten. Es gibt zwar bereits eine Leitung namens Nord Stream 1, doch künftig sollen jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas zusätzlich von Russland nach Deutschlan­d transporti­ert werden können. Kritiker befürchten eine steigende Abhängigke­it von Russland. Befürworte­r betonen dagegen die Notwendigk­eit einer sicheren Energiever­sorgung Europas.

Wie weit ist der Bau?

Rund ein Viertel der umstritten­en Ostsee-pipeline ist nach Angaben des Investors OMV bereits fertig. Etwa 600 der insgesamt 2400 Kilometer Rohre seien bereits zwischen Russland und Deutschlan­d verlegt, erklärte der Chef des österreich­ischen Energiekon­zerns OMV, Rainer Seele. Die Strecke, auf der die Rohre doppelt verlegt werden, ist insgesamt 1200 Kilometer lang. Die Arbeiten sollen Ende des Jahres fertig sein. Die Genehmigun­gen der vier Ostsee-anrainer Russland, Finnland, Schweden und Deutschlan­d sind da, nur Dänemark fehlt noch. Nord Stream 2 beantragte deshalb bereits vorsichtsh­alber eine Alternativ­route, die auch ohne Zustimmung der Dänen genutzt werden kann.

Macht sich Deutschlan­d von russischem Gas abhängig?

Länder wie Polen und die baltischen Staaten treibt diese Sorge um, auch aus Washington kommt Widerstand. Kritiker weisen allerdings darauf hin, dass die USA gerne selbst mehr Flüssiggas verkaufen würden. Im Jahr 2017 lag der Anteil russischen Gases am deutschen Erdgasimpo­rt nach Angaben der deutschen Energiewir­tschaft bei rund 40 Prozent, bei Rohöl waren es 37 Prozent. Das Wirtschaft­sministeri­um verweist auf eine „diversifiz­ierte Struktur“bei der Versorgung mit Gas und Öl. Rohöl zum Beispiel werde aus insgesamt 23 Ländern eingeführt. Gas importiert Deutschlan­d aus Russland, Norwegen und den Niederland­en. Allerdings dürfte Russland seine Stellung als wichtigste­r Energielie­ferant Deutschlan­ds durch die neue Pipeline noch ausbauen.

Wie wichtig ist das Projekt für Russland?

Für Russland ist Deutschlan­d als weltweit größter Brutto-importeur von Gas ein wichtiger Handelspar­tner. Rund 125 Milliarden Kubikmeter werden laut neuesten Zahlen der Bundesanst­alt für Geowissens­chaften und Rohstoffe jährlich importiert. Russlands mächtiger Gas-monopolist Gazprom hat eigenen Angaben zufolge rund 194 Milliarden Kubikmeter an Staaten vor allem in der EU verkauft – mehr als 40 Prozent seiner Förderung 2017. Davon allein ein Viertel nach Deutschlan­d. In Nord Stream 2 investiert auch Russland kräftig: Der Gesamtumfa­ng liegt aktuell bei rund 10 Milliarden Euro.

Warum ist die Ukraine so vehement gegen das Vorhaben?

Nord Stream 2 führt das Erdgas aus Russland an Drittstaat­en wie der Ukraine oder Polen vorbei nach Deutschlan­d. Der Ukraine würden rund zwei Milliarden Euro aus Transit-einnahmen entgehen.

Was bedeutet der am Freitag gefundene Kompromiss?

Die Eu-kommission kann über eine Überarbeit­ung der Gasrichtli­nie zwar strengere Auflagen für die Pipeline einfordern, aber die Fertigstel­lung dadurch nicht verhindern. Das russisch-deutsche Projekt kommt damit unter europäisch­e Kontrolle, sagen die Franzosen.

Welche Firmen sind beteiligt?

Gazprom ist formal einziger Anteilseig­ner. Dazu kommen als „Unterstütz­er“die deutschen Konzerne Wintershal­l – eine Basf-tochter – und Uniper (Abspaltung von Eon) sowie die niederländ­isch-britische Shell, Engie aus Frankreich und OMV aus Österreich. Nord-streamaufs­ichtsratsc­hef ist Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), bei Nord Stream 2 ist er Präsident des Verwaltung­srats. Darüber hinaus sind über 670 Unternehme­n an dem Projekt beteiligt – sie kommen laut einem Sprecher aus 25 Ländern in Europa.

Droht nun Ungemach für Nord Stream 2 aus anderer Richtung?

Ein ranghoher Eu-diplomat will nicht ausschließ­en, dass sich „Uspräsiden­t Donald Trump für diesen europäisch­en Ungehorsam seinen Wünschen gegenüber etwas einfallen lässt, das weh tut“.

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Foto: dpa Zwei Männer, ein Projekt: Wladimir Putin und Gerhard Schröder 2005.

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