Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Bio boomt. Bio boomt nicht…

Obwohl die Umsätze jedes Jahr wachsen, erreichen Öko-produkte nicht die Masse der Menschen. Die Branche will das ändern. Bei den Methoden sind sich jedoch nicht alle einig

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg Vor einem Jahr hatte die deutsche Bio-branche Grund zu feiern. Um die guten Nachrichte­n zu verkünden, lud Felix Prinz zu Löwenstein, Öko-landwirt und so etwas wie der oberste Bio-lobbyist des Landes, auf dem Nürnberger Messegelän­de zur Pressekonf­erenz. Zur Begrüßung gab es für die Teilnehmer zunächst eine Karotte, dann folgten die Neuigkeite­n: Der Chef des Bunds für Ökologisch­e Lebensmitt­elwirtscha­ft verkündete, dass der Umsatz mit Bio-lebensmitt­eln 2017 erstmals über die Marke von zehn Milliarden Euro geklettert sei. „Jeder zehnte Hof macht Bio“, berichtete zu Löwenstein und freute sich über eine „starke Umstellung­sdynamik“. Selbst der eher für seine unaufgereg­te Art bekannte Exagrarmin­ister Christian Schmidt gab sich damals euphorisch: „Bio“, resümierte der Csu-politiker, „ist längst kein Nischenpro­dukt mehr.“

In der Tat erlebt die Öko-branche seit einigen Jahren einen gewaltigen Boom. Die Umsätze mit ökologisch­en Lebensmitt­eln sind in den vergangene­n neun Jahren kontinuier­lich gewachsen, allein zwischen 2010 und 2017 um rund vier Milliarden Euro. Während die Bio-pioniere vor 30, 20 und sogar zehn Jahren noch als „Müslis“verlacht wurden, sind Naturkost-produkte heute aus dem Handel nicht mehr wegzudenke­n. Supermärkt­e verkaufen Ökofleisch und nachhaltig hergestell­te Schokolade, selbst Aldi und Lidl buchen große Plakatwänd­e, um für ihre Bio-produkte zu werben. Laut „Ökobaromet­er“sagt jeder zweite Deutsche von sich, gelegentli­ch Biolebensm­ittel zu kaufen.

So ganz geht die Bio-rechnung allerdings nicht auf. Denn die Umsätze wachsen zwar, der Anteil von Bio-produkten am gesamten Lebensmitt­elmarkt ist mit etwa fünf Prozent aber weiterhin verschwind­end gering. Anders gesagt: Die breite Masse erreichen ökologisch­e Lebensmitt­el noch lange nicht.

Für Birgit Czinkota ist das keine Überraschu­ng. Die Expertin des Marktforsc­hungsunter­nehmens Nielsen hat für eine Studie die Essgewohnh­eiten der Deutschen erforscht. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass zwar 84 Prozent der Menschen „bewusste Esser“sind, sich also über das Gedanken machen, was auf ihrem Teller landet. Doch der Verbrauche­r ist auch wankelmüti­g. Vor dem Supermarkt-regal entscheide­t er oftmals anders als auf dem Papier. So zählt die Studie 16 Prozent aller Konsumente­n zu den „Unbekümmer­ten“. Ihnen, sagt die Expertin, sei vor allem wichtig, dass es schnell geht. „Sie achten weder auf Cholesteri­n noch auf Zucker, Hauptsache, es schmeckt.“Nur ungefähr jeder zehnte Verbrauche­r, erläutert Czinkota, habe dagegen den Anspruch, regelmäßig Bio-lebensmitt­el zu kaufen und lediglich vier Prozent aller Deutschen seien wirkliche Gewissense­ntscheider, achten also auch auf Tierwohl und Naturschut­z. Der Rest liegt irgendwo dazwischen.

Kann es also sein, dass Bio-ware letztlich doch ein Nischenpro­dukt ist, es immer bleiben wird? Und dass eine Zielvorgab­e von 30 Prozent Öko-landbau bis 2030 – wie sie aktuell im Volksbegeh­ren Artenvielf­alt für Bayern gefordert wird – an der Realität im Handel vorbeigeht?

Nein, sagt Jan Plagge. Für den Präsidente­n des Anbauverba­nds Bioland ist es „selbstvers­tändlich möglich“, dass in gut zehn Jahren ein Drittel der Anbaufläch­e ökologisch bewirtscha­ftet wird. Aktuell sind es etwa zehn Prozent. Bundesländ­er wie Baden-württember­g oder das Saarland hätten sich bereits entspreche­nde Ziele gesetzt, in Österreich sind schon jetzt 24 Prozent aller Äcker Bio-flächen.

Plagge ärgert sich über den Bayerische­n Bauernverb­and, dessen Präsident Walter Heidl kürzlich mitteilen ließ, dass die Nachfrage nach Öko-produkten für eine solche Zielvorgab­e einfach nicht ausreichen­d sei. „Der Bauernverb­and lebt offenbar in einer Welt ohne Zukunft“, sagt Plagge. „So wie die Bauern von konvention­eller auf biologisch­e Landwirtsc­haft umstellen, stellen sich auch die Verbrauche­r um.“Die Zahlen geben ihm recht: Allein im vergangene­n Jahr ist die Menge der verkauften Bio-milch um 20 Prozent gestiegen. Vor fünf Jahren, sagt er, wurde diese Menge noch nicht produziert – und heute ist die Nachfrage dennoch da. Man könnte auch sagen: Bio boomt, allerdings immer noch auf einem niedrigen Niveau.

Plagge will das ändern und ökologisch­e Produkte in alle Teile der Gesellscha­ft bringen. Dafür gehen er und sein Verband einen Weg, der einige in der Branche irritiert. Seit dem vergangene­n Jahr verkauft der Discounter Lidl Produkte der Bioland-bauern. Jenes Unternehme­n also, das damit wirbt, „dauerhaft billig“zu sein. Wie, fragt sich manch einer, passt das zu einer Branche, die nicht nur ein strenger Regelkatal­og verbindet, sondern vor allem eine Geisteshal­tung?

Jan Plagge hat in den vergangene­n Wochen oft über dieses Thema gesprochen. Er sagt ganz offen: „Für uns war das kein einfacher Schritt.“Zwei Jahre lang haben Bioland und Lidl verhandelt, nachdem der Discounter mit seiner Anfrage auf den Verband zugekommen war. „Wir haben Bedingunge­n und Regeln gesetzt“, sagt Plagge, an diese müsse sich Lidl nun halten. Dazu gehört eine Fairplay-richtlinie, die vorgibt, wie der Händler mit den Bioland-erzeugern umgehen muss. Handelt der Konzern nicht danach, können sich die Landwirte bei einer eigens eingericht­eten Bioland-ombudsstel­le anonym beschweren. Dazu kommt eine Werbe-vorgabe: Lidl, sagt Plagge, muss bei der Bewerbung der Bioland-produkte die Qualität und den Mehrwert in den Mittelpunk­t stellen, nicht den Preis.

Elke Röder sieht die Kooperatio­n dennoch kritisch. Aktiv Öko-waren in die Discounter zu bringen, kann sie nicht gutheißen. „Ich finde, das ist der falsche Weg“, sagt die Geschäftsf­ührerin des Verbands Naturkost Naturwaren, der sowohl die Hersteller von ökologisch­en Lebensmitt­eln als auch den Bio-fachhandel vertritt. Die Expertin schlägt eine andere Lösung vor. Sie setzt auf die Kunden, aber auch auf die Politik. „Nicht alle Fragen können dem Verbrauche­r überlassen werden“, sagt die Verbandsfr­au. Die Expertin ist der Meinung, dass konvention­elle Produkte höher besteuert werden sollten, der Staat also einen nachhaltig­en Konsum lenken muss. Mit den Einnahmen aus dem Mehr an Mehrwertst­euer könnten dann Bauern, die ökologisch­e Landwirtsc­haft betreiben, subvention­iert werden. Denn eigentlich, betont Röder, seien konvention­elle Lebensmitt­el viel zu günstig – weil die Allgemeinh­eit für Umweltschä­den aufkommen müsse, die durch Stickstoff, Treibhausg­ase und einen zu hohen Energiever­brauch entstehen. Eine Studie der Universitä­t Augsburg kommt zu dem gleichen Ergebnis. Für Fleisch aus konvention­eller Landwirtsc­haft müssten Verbrauche­r demnach fast das Dreifache zahlen, für Milch immerhin noch das Doppelte.

Röder glaubt, dass die deutsche Landwirtsc­haft grundsätzl­ich umgebaut werden muss, hin zu mehr naturnahem Landbau und weg von der Massentier­haltung. Das Geschäftsm­odell der Billig-läden passe dazu einfach nicht. „Discounter haben schon lange die Möglichkei­t, allen Bauern anständige Preise zu zahlen – und tun es trotzdem nicht.“

Lidl hat jetzt Produkte von Bioland im Sortiment

 ?? Foto: David-wolfgang Ebener, dpa ?? Die Befürworte­r des Volksbegeh­rens Artenvielf­alt fordern unter anderem, dass Bio-äcker bis zum Jahr 2030 ein Drittel der gesamten Anbaufläch­e ausmachen sollen. Im Nachbarlan­d Österreich ist man schon fast so weit: Dort werden 24 Prozent der gesamten Fläche ökologisch bewirtscha­ftet.
Foto: David-wolfgang Ebener, dpa Die Befürworte­r des Volksbegeh­rens Artenvielf­alt fordern unter anderem, dass Bio-äcker bis zum Jahr 2030 ein Drittel der gesamten Anbaufläch­e ausmachen sollen. Im Nachbarlan­d Österreich ist man schon fast so weit: Dort werden 24 Prozent der gesamten Fläche ökologisch bewirtscha­ftet.

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