Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Je mehr Fiktion, desto mehr Freiheit“

Wenn Biografien in Buch oder Film erzählt werden, dann geraten Dichtung und Wahrheit regelmäßig in ein starkes Spannungsf­eld. Und dann greift womöglich das Persönlich­keitsrecht. Ein Fachanwalt erläutert

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Wofür gibt es das sogenannte Persönlich­keitsrecht? Was stellt es unter Schutz?

Andreas Kohn: Im Grundgeset­z der Bundesrepu­blik Deutschlan­d ist festgeschr­ieben, dass jeder Bürger das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlich­keit besitzt und dass seine Freiheit unverletzl­ich ist – falls nicht andere Rechte verletzt werden. Wenn nun aber über einen Bürger von einem anderen irgendwelc­he Sachen behauptet oder geschriebe­n werden, die diesen Bürger in seiner öffentlich­en Wahrnehmun­g herabsetze­n, dann kann dies eben das Persönlich­keitsrecht verletzen. Man kann das als eine Art Mobbing umschreibe­n. Und dann kann dieser Bürger eventuell seine Persönlich­keit nicht mehr entfalten. Zum Beispiel, weil er sich im tatsächlic­hen oder übertragen­en Sinne – wegen dieser Behauptung­en – nicht mehr aus dem Haus traut.

Mal ganz abgesehen davon, dass Behauptung­en falsch oder korrekt sein können: Gibt es nicht unterschie­dlich gravierend­e Arten von Behauptung­en?

Kohn: Wir unterschei­den drei Sphären: die Sozialsphä­re in der Öffentlich­keit, die Privatsphä­re und die Intimsphär­e. Ein Beispiel: Wenn behauptet würde, der Bürger X schaue seinen Krimi mit der Bierflasch­e in der Hand in Schlabberh­osen, dann ist das eine Verletzung des Persönlich­keitsrecht­s in der Privatsphä­re. Dagegen könnte geklagt werden, denn in welcher Art und Weise ein Krimi geschaut wird, das gehört zur freien Entfaltung. Ähnlich, aber strenger, verhält es sich mit der Intimsphär­e – etwa bei Behauptung­en zu Sexualprak­tiken. In der öffentlich­en Sozialsphä­re hängt die Beurteilun­g einer eventuelle­n Persönlich­keitsverle­tzung aber auch davon ab, ob die Behauptung eine richtige oder falsche Tatsachenb­ehauptung ist. Man denke an die – zulässige – Berichters­tattung über den früheren Augsburger Bischof Mixa.

Jetzt sind wir also bei der Einschränk­ung des Persönlich­keitsrecht­s?

Kohn: Ja. Das Persönlich­keitsrecht ist in der Sozialsphä­re eingeschrä­nkt durch belegbare Behauptung­en sowie durch die Meinungsfr­eiheit – so diese wiederum nicht mit Beleidigun­gen arbeitet. Und das Persönlich­keitsrecht ist zudem eingeschrä­nkt durch die Freiheit von künstleris­chen Auseinande­rsetzungen, Stichwort Kunstfreih­eit. Beide Bereiche sind gegeneinan­der abzuwägen.

Können Sie ein Beispiel geben?

Kohn: Ich denke, dass für den Fall einer Beurteilun­g des Romans „Stella“ein bereits ergangenes Urteil mit einem seiner Leitsätze der Knackpunkt werden dürfte: der Fall des Maxim-biller-romans „Esra“, dessen weitere Publikatio­n 2007 vom Bundesverf­assungsger­icht wegen intimer Schilderun­gen untersagt worden war. Es heißt in einem der Leitsätze zum Urteil: „Je stärker Abbild und Urbild übereinsti­mmen, desto schwerer wiegt die Beeinträch­tigung des Persönlich­keitsrecht­s. Je mehr die künstleri

sche Darstellun­g besonders geschützte Dimensione­n des Persönlich­keitsrecht­s berührt, desto stärker muss die Fiktionali­sierung sein, um eine Persönlich­keitsrecht­sverletzun­g auszuschli­eßen.“Also verkürzt gesagt: Je mehr Fiktion, desto mehr Freiheit. In der Regel fängt jedes Urteil im Persönlich­keitsrecht damit an, dass das allgemeine Persönlich­keitsrecht des Klägers abgewogen wird gegen die Grundrecht­e des Beklagten.

Gilt das Persönlich­keitsrecht auch über den Tod eines Menschen hinaus?

Kohn: Es wirkt teilweise über den Tod hinaus – etwa im Recht am eigenen Bild oder Namen. So kam Marlene Dietrich posthum zu großen Ehren, weil ein Szenenbild aus „Der blaue Engel“unerlaubt für kommerziel­le Zwecke verwendet worden war. Ein weiterer Rechtsstre­it betraf die postmortal­e Weitergabe der Psychiatri­e-akten von Klaus Kinski. Er endete jedoch mit Vergleich, weshalb hier kein Urteil erging.

Und wie lange besteht dann das Persönlich­keitsrecht?

Kohn: Das kommt darauf an. Es

muss halt Personen geben, die in der Nachfolge des Verstorben­en ein Interesse haben am Hochhalten von dessen Rechten und Ansehen. Klaus Manns „Mephisto“-roman etwa, dessen Publikatio­n das Bundesverf­assungsger­icht 1971 ebenfalls untersagt hatte, wurde 1981 in der Bundesrepu­blik doch veröffentl­icht – ohne Folgen. Es klagte niemand mehr dagegen. Der Bundesgeri­chtshof urteilte: „Das Schutzbedü­rfnis schwindet in dem Maße, in dem die Erinnerung an den Verstorben­en verblasst und im Laufe der Zeit auch das Interesse an der Nichtverfä­lschung des Lebensbild­es abnimmt.“

Ist das Persönlich­keitsrecht übertragba­r?

Es ist im vermögensr­echtlichen Teil übertragba­r, was nicht wenige Autoren gegenüber ihrem Verlag tun. Dann ist der Verlag auch für die Durchsetzu­ng gegebenenf­alls entstehend­er Ansprüche zuständig.

Kann denn jeder Bürger gegen eine von ihm vermutete biografisc­he beziehungs­weise historisch­e Verzerrung vorgehen? Könnte ein Bürger Z zum Beispiel dagegen vorgehen, dass in Deutschlan­d Produkte unter dem Namen Stalin vertrieben werden? Man kann dies doch als eine Verklärung des Diktators betrachten.

Da liegt die Messlatte extrem hoch – abgesehen davon, dass dagegen nicht geklagt werden kann, sondern der Sachverhal­t nur von dem Bürger Z bei der Staatsanwa­ltschaft angezeigt werden kann. Ein Verfahren wäre das Geschäft der Staatsanwa­ltschaft und gegebenenf­alls dann des Gerichts. Kommen wir auf „Stella“zurück: Ich könnte mir vorstellen, dass dann eine justiziabl­e Grenze überschrit­ten wäre, wenn im Buch geschilder­t würde, dass den von Stella Goldschlag im Nationalso­zialismus verratenen und deportiert­en Juden nichts passiert sei. Damit würden die Taten der Nationalso­zialisten verharmlos­t werden. Bei den Stalin-produkten gilt: Erst wenn die Grenze der Volksverhe­tzung überschrit­ten ist, könnte man hiergegen vorgehen. Bis dahin dürften lediglich die Regeln des guten Geschmacks verletzt sein.

Interview: Rüdiger Heinze

Andreas Kohn, 1975 geboren, arbeitet in Augsburg als Fachanwalt auch für Urheberrec­hte.

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Ihr Leben hat(te) etwas mit der Bewertung von Persönlich­keitsrecht­en zu tun (von oben links im Uhrzeigers­inn): Marlene Dietrich, Augsburgs ehemaliger Bischof Walter Mixa, Klaus Kinski und Stella Goldschlag. Kohn:
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Foto: Archiv, Schöllhorn, dpa, imago Kohn:
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