Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Salvini will die Armee schicken“

Palermos Bürgermeis­ter Leoluca Orlando wurde früher von der Mafia verfolgt – heute attackiert ihn Italiens Innenminis­ter für seine Haltung

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Sie sind als Bürgermeis­ter von Palermo für einen Kurzbesuch nach Deutschlan­d gekommen, weil der Film „Palermo flüstert“in seiner digitalen Fassung erstmals im Kino gezeigt wurde. Sie spielen im Film selbst mit, einen Uhrmacher. Was verbinden Sie mit dem Film?

Leoluca werden Orlando: wir daran Durch erinnert, diesen Film wie wichtig Stadt in Europa, die Zeit die ist. sich Es kulturell gibt keine so stark den letzten verändert 40 Jahren. hat wie Palermo in 1985 wurden Sie das erste Mal Bürgermeis­ter von Palermo. Was war damals die wichtigste Aufgabe für Sie?

Orlando: Frei von der Regierung der Mafia zu werden. Damals gab es in Palermo nicht nur die Mafia, damals

regierte die Mafia Palermo.

Und wie sieht das heute aus?

Orlando: Heute können wir sagen, dass es die Mafia so, wie es sie in New York, auch in Palermo gibt. Sie regiert die Stadt nicht mehr. Das ist ein großer Unterschie­d. Es war eine lange Reise bis dorthin. Wir haben 40 Jahre benötigt. Zeitweise standen Sie als Politiker unter strengstem Personensc­hutz, weil die Mafia Sie umbringen wollte. Hat sich das geändert?

Orlando: Wenn ich früher auf Reisen war, warteten am Flughafen drei gepanzerte Wagen, eine Ambulanz und ein Helikopter. Nach Deutschlan­d konnte ich nur unter falschem Namen reisen. Wissen Sie, wie ich damals hieß?

Verraten Sie es mir.

Orlando: Mein Name war Brusca, ein Mafiaboss. Ich wollte von der Polizei wissen: Warum Brusca? Die Antwort war: Niemand wundert sich, wenn 30 Polizisten auf einen Mafiaboss warten. Heute bin ich als Leoluca Orlando nach München gekommen. Wie hat sich in Palermo die Veränderun­g bemerkbar gemacht?

Orlando: Palermo ist nicht mehr die Stadt der 1980er Jahre. Im Januar kam ein offizielle­r Bericht heraus, der festgestel­lt hat, dass Palermo heute die sicherste Stadt in ganz Italien ist. Und da habe ich mir dann gedacht: Mission ausgeführt. Aber wenn man Sie reden hört, spricht immer noch ein Mensch mit einer Mission. Vor 40 Jahren war es der Kampf gegen die Mafia…

Orlando: Ich war damals nicht im

Kampf auch damals gegen schon die im Mafia, Kampf ich für war die Menschenre­chte. Die Mafia respektier­te weder die Gesetze noch die Menschenre­chte. Heute sind Migranten für uns eine gute Gelegenhei­t und Möglichkei­t, unsere Menschenre­chte zu fördern. Ich sage bewusst: unsere Menschenre­chte und nicht die Menschenre­chte der Migranten.

Wofür steht Palermo heute?

Orlando: Heute steht Palermo für den Respekt vor den Menschenre­chten. Wie gehen Sie in Palermo mit Migranten um?

Orlando: Wenn Sie mich fragen, wie viele Migranten in Palermo leben, antworte ich nicht 90000, sondern keine. Wir haben keine Migranten in Palermo. Ich mache keinen Unterschie­d zwischen denjenigen, die in Palermo geboren sind, und denen, die nicht dort geboren sind. Wenn Sie nach Palermo kommen, werden Sie Palermitan­er sein.

Das ist das Geheimnis für eine sichere

Stadt. Diesen Zusammenha­ng müssen Sie erklären.

Orlando: Wenn nach Palermo zum Beispiel Muslime kommen, die gefährlich sind, melden sich andere Muslime in Palermo und warnen die Stadt. Die Muslime schützen ihre Stadt, sie fühlen sich als Bürger Palermos. So etwas passiert in Brüssel und in Paris nicht. Mit Ihrer Haltung zu Flüchtling­en stehen Sie in maximalem Gegensatz zur aktuellen italienisc­hen Regierung.

Orlando: Innenminis­ter Matteo Salvini hat mir gegenüber schon gesagt, dass er die Armee schicken wird. Aber die Soldaten habe ich noch nicht gesehen. Salvini ist so nervös. Ich sage, dass das neue Salvini-gesetz gegenüber Migranten gegen unsere Verfassung verstößt. Ich bin Uni-professor für Verfassung­srecht, ich weiß, wovon ich spreche. Es ist meine Pflicht, gegen ein solches nichtverfa­ssungskonf­ormes Gesetz Politik zu machen. Als das Gesetz am 21. Dezember in Kraft getreten ist, habe ich meinen Mitarbeite­rn in der Stadtverwa­ltung einen Brief geschriebe­n

und ihnen mitgeteilt, dass sie die Salvini-gesetze, die den Menschenre­chten widersprec­hen, innerhalb der Stadt nicht ausführen müssen.

Und wie fiel die Reaktion darauf aus?

Orlando: Anfangs ist das von den Medien wie ein normaler Verwaltung­sakt wahrgenomm­en worden. Niemand hat etwas geschriebe­n. Nach zehn Tagen, am 2. Januar, hatte ich meinen einzigen freien Tag in der Weihnachts­zeit. An diesem Tag hat Salvini gesagt, dass er die Armee schicken wird, dass ich umstürzler­isch sei, ein Terrorist.

Und was haben Sie gemacht?

Orlando: Ich habe eine Pressekonf­erenz organisier­t und dort gesagt, dass nicht ich ein Umstürzler bin, sondern die Regierung, die gegen die Verfassung arbeitet. In Deutschlan­d könnte ich das Gesetz vor dem Verfassung­sgericht prüfen lassen. In Italien funktionie­rt das anders. Ich kann dort nicht direkt vor das Verfassung­sgericht. Wenn mich die Regierung anzeigen sollte, wäre das über den Prozess möglich. Also werde ich mich bedanken, wenn Salvini mich anzeigen sollte. Sie sagen, dass Sie 40 Jahre benötigt haben, um Palermo zu verändern. Geht das nicht auch schneller?

Orlando: Popupliste­n sagen, dass sie die Dinge sofort ändern können. Aber Populisten haben keinen Respekt vor der Zeit. Wer sagt, dass er Dinge sofort ändern kann, ist ein Betrüger. Palermo Foto: dpa ist eine Alternativ­e zum Populismus. Der Populismus von Salvini ist eine Perversion rechtsorie­ntierter Politik, der Populismus der Fünf-sterne ist eine Perversion linksorien­tierter Politik. Ich glaube, dass diese Regierung implodiere­n wird. Sie selbst waren in Ihrer Laufbahn in sieben verschiede­nen Parteien Mitglied. Wie ist das zu erklären?

Orlando: Wenn eine Partei versucht, meine Werte kaputt zu machen, dann tut es mir leid, dann gehe ich. Parteien sind Instrument­e, sie müssen nützlich sein. Ich bin gegen eine Zugehörigk­eit. Meine Frage lautet: Wer bist du? Deswegen bin ich auch gegen die Mafia. Dort findet sich die Idee der Zugehörigk­eit in Reinkultur. Deswegen bin ich gegen den Nazismus, auch dort findet sich die Zugehörigk­eitskultur. Zum Schluss möchte ich noch eines sagen: Palermo ist eine rassistisc­he Stadt.

Wie bitte?

Orlando: Ja, Palermo ist eine rassistisc­he Stadt. Dort lebt nur eine einzige Rasse, die menschlich­e Rasse

(lacht). Wir machen keinen Unterschie­d zwischen Rassen. Wer das macht, bereitet einen Genozid vor.

Interview: Richard Mayr

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