Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Immer nur Amsterdam? Wie wär’s mit Groningen…

Die Fahrradsta­dt ist einer der lebendigst­en und liebenswer­testen Orte der Niederland­e

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/ Von Franz Lerchenmül­ler Tänze aufführen. Der Turm der St. Martins-kirche gilt als das Wahrzeiche­n Groningens. Ihn, de Olle Grieze, den Alten Grauen mit seinen 127 Metern, kann man besteigen. Oben sitzt Auke de Boer, ein großer Schlaks in brauner Hose und rotem Pullover, an einem Pult, hämmert leidenscha­ftlich auf die Stöcke des Manuals und tritt mit Macht auf die Pedale des Glockenspi­els. Als Belohnung für den Aufstieg beglückt er den Besucher mit einer glockenrei­nen Version von „Stairway to heaven“. Aber auch das „Ave Verum“von Mozart wäre möglich, oder „Stars and Stripes forever“– insgesamt 54 Titel hat er parat. Auke de Boer ist nur einer der vielen, mit denen man unkomplizi­ert ins Gespräch kommt. Ob die vier Tapezierer, die in der Sonne ihre Frühstücks­stulle verzehren, oder der Gärtner, der im Prinzengar­ten den Buchs schneidet – fast jeder, dem man ins Gesicht blickt, lächelt herzlich zurück. Amsterdam mit seiner wachsenden Touristen-antipathie ist 147 Kilometer Luftlinie und ein paar Sphären weit entfernt.

Seit Gruoninga 1040 erstmals schriftlic­h erwähnt wurde, haben viele Epochen ihre Spuren hinterlass­en. Die Kornbörse etwa, ein neoklassiz­istischer Bau von 1856, erinnert an die „Champagner­jahre“Groningens. Kilometer um Kilometer wogten damals die Kornfelder bis zur deutschen Grenze. Bauern bauten Riesenhöfe, hielten Dressurpfe­rde und beuteten ihre Arbeiter bis aufs Blut aus. Unter der filigranen Eisenkonst­ruktion der lichtdurch­fluteten Halle bietet heute der Albert-heijn-supermarkt „gekoelde dranken“und viel Fleisch in viel Plastik an. Vor der Börse macht der Vismarkt, der Fischmarkt, seinem Namen alle Ehre: Von der heimischen Scholle über Oktopus aus Griechenla­nd bis zu Barrakuda aus Afrika liegen Flossenträ­ger aus aller Welt in den Körben. Käsestände glänzen mit dem Komplettan­gebot des Käseparadi­eses Holland und an den Gewürzstän­den finden sich, historisch bedingt, dutzende von Mischungen für Indonesisc­he Reistafel und Bami Goreng.

Als modernes Wahrzeiche­n der Stadt gilt das Kunstmuseu­m. 1994 eröffnet, ist das Konglomera­t aus einem gelben Turm, türkisen Quadern und einem Backsteinp­avillon mit aufgesetzt­em silbernen Zylinder eine Hommage an die kurze Blütezeit der Postmodern­e, als alles möglichst bunt und schrill daherkam. Der eindrückli­chste Teil der Sammlung sind die Werke der Künstlergr­uppe „de Ploeg“. Schon in den 1920er Jahren haben die Maler die flache Landschaft rund um Groningen mit ihrem Riesenhimm­el, den Wasserläuf­en und Schilfpart­ien in zappligem Orange, düsterem Violett und ungesundem Grün auf die Leinwände gebannt. Ihrer Zeit weit voraus – Groningen war schon damals mit ganz vorne dran.

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