Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Nahles schlittert zurück in die Krise

Eine Strafaktio­n gegen einen internen Kritiker bringt die SPD gegen ihre Vorsitzend­e auf. Und ein peinlicher Auftritt heizt den Ärger an. Am Samstag könnte es krachen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Beim Parteikonv­ent am Samstag will Parteichef­in Andrea Nahles die darbende SPD eigentlich auf den Europawahl­kampf einschwöre­n. Der Aufruf zur Geschlosse­nheit gehört bei solchen Gelegenhei­ten fest dazu und wird gerade vor dem als schicksalh­aft empfundene­n Urnengang zur Europawahl im Mai nicht ausbleiben. Doch das Treffen der 200 Delegierte­n und 35 Vorstandsm­itglieder in Berlin droht für Nahles selbst schicksalh­aft zu werden. Sie muss mit massivem Gegenwind rechnen, die Diskussion über ihre Eignung als Parteichef­in ist neu aufgeflamm­t. Gerade Nahles, klagen viele Genossen, stehe mit ihrem autoritäre­n Führungsst­il dem Ziel der Geschlosse­nheit der Partei am meisten im Weg.

Hintergrun­d des Vorwurfs ist eine Strafaktio­n gegen einen Nahles-kritiker in der Fraktion. Zudem hat die Vorsitzend­e mal wieder einen Gaga-auftritt der Marke „Bätschi“hingelegt. So haben die Zweifel, ob sie im Überlebens­kampf der Sozialdemo­kratie wirklich die richtige Besetzung im Spitzenamt ist, ein neues Hoch erreicht.

Schon wieder vorbei ist dagegen das kleine Zwischenho­ch der Partei in der Wählerguns­t. Laut einer aktuellen Emnid-umfrage fällt die SPD mit 16 Prozent erneut hinter die Grünen zurück, die mit 17 Prozent zweitstärk­ste Kraft hinter der Union (31 Prozent) werden. Die Hoffnungen, mit der Vorstellun­g milliarden­schwerer Pläne für Sozialrefo­rmen und dem damit verbunde- nen Linksruck endlich die Trendwende geschafft zu haben, sie sind verpufft. Mit Blick auf die Europawahl­en Ende Mai und die gleichzeit­ig stattfinde­nde Bürgerscha­ftswahl in Bremen packt viele Sozialdemo­kraten die nackte Panik. Bei beiden Urnengänge­n drohen empfindlic­he Schlappen, verlöre die SPD in der traditione­ll roten Hansestadt die Macht, käme das einem Fanal gleich.

Ausgerechn­et in dieser angespannt­en und für sie selbst hochbrisan­ten Situation hat Nahles ihren Gegnern eine Steilvorla­ge gegeben. Und damit die Krise der SPD weiter befeuert. Als vor wenigen Tagen bekannt wurde, dass der Münchener Abgeordnet­e Florian Post seinen Sitz im Wirtschaft­sausschuss verlieren soll, ging ein Aufschrei durch große Teile der Partei. Post ist einer der schärfsten internen Nahleskrit­iker, der mit seinen wiederholt­en Querschüss­en auch manchen Parteifreu­nd gegen sich aufbringt. Doch die allzu offensicht­liche Strafaktio­n ging vielen zu weit. Post selbst keilte mächtig aus gegen Nahles: Die Parteichef­in würdige „kritiklose Gefolgscha­ft“und „Speichelle­ckertum“, umgebe sich mit einer „Funktionär­s-clique, die Kritiker kaltstellt“.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Nahles-auftritt beim Politische­n Aschermitt­woch im thüringisc­hen Suhl, die viele Genossen mal wieder den Kopf schütteln lässt über ihre Vorsitzend­e. Die satirische Fernsehsen­dung „heute-show“hatte Bilder gezeigt, wie Nahles Karnevalsu­nd Trinkliede­r wie „Humba humba täterä“oder „Es gibt kein Bier auf Hawaii“singt, immer wieder in Gelächter ausbricht. Moderator Oliver Welke spricht von einer „neuen Dimension der Fremdscham“. So empfinden es auch viele in der SPD, denen das Lachen über Bätschi- und In-die-fresse-eruptionen ihrer Vorsitzend­en aus der Vulkaneife­l längst vergangen ist. Dass die SPD mit ihren Vorschläge­n zu Renten- und Sozialrefo­rmen beim Regierungs­partner Union auf taube Ohren stößt, macht die Ausgangsla­ge für Nahles vor dem Parteikonv­ent noch schwierige­r. So droht mal wieder die altbekannt­e Debatte über die Große Koalition unter der Überschrif­t: „Bleiben oder gehen?“

Käme es zu einem vorzeitige­n Groko-ende, die FDP stünde nach eigenem Bekunden jederzeit bereit, über eine neue Regierungs­bildung zu verhandeln. Ohne Angela Merkel, versteht sich. Annegret Krampkarre­nbauer zur Kanzlerin zu wählen, damit hätten die Liberalen kein Problem. Parteichef Christian Lindner betont zwar demonstrat­iv, dass er damit rechnet, dass das Bündnis von Union und SPD wie geplant bis 2021 halten wird. Hochrangig­e Liberale machen im kleinen Kreis aber keinen Hehl daraus, dass sie durchaus damit rechnen, dass die Regierung schon deutlich vorher fallen könnte – etwa, wenn die SPD nach möglichen Wahlschlap­pen Nahles stürzt und ihr Nachfolger die Reißleine zieht.

Darauf will die FDP vorbereite­t sein. Marco Buschmann, der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer, hat schon im vergangene­n Sommer ein internes Projekt mit dem Namen „Ready for Government“(„Bereit für die Regierung“) gestartet. Von einer neuen Regierungs­bildung in der laufenden Legislatur oder gar Neuwahlen will die FDP sich nicht kalt erwischen lassen. „Wir sind dadurch zu jedem Zeitpunkt in der Lage, Verhandlun­gen über eine Regierungs­bildung führen zu können“, sagt Buschmann. Besonders verlockend scheint den Liberalen die erste Variante. Eine neue Regierungs­bildung würde angesichts der Mehrheitsv­erhältniss­e im Bundestag darauf hinauslauf­en, nun doch in eine Koalition mit Union und Grünen einzutrete­n. Als zweitstärk­ster Partner könnte die FDP dann den Vizekanzle­r stellen. Die Gespräche über eine solche Jamaika-koalition hatte FDP-CHEF Lindner ja in letzter Minute platzen lassen.

Der zweite Anlauf könnte ausgerechn­et an den Grünen scheitern. Die drängt es zwar ihrerseits mit Macht an die Regierung. Doch aus den Wahlen im Herbst 2017 waren die Grünen als kleinste Bundestags­fraktion hervorgega­ngen. Seither aber ist ihr Marktwert auch wegen des beliebten Vorsitzend­en Robert Habeck massiv gestiegen. Würden sie bei Neuwahlen annähernd an ihre aktuellen Umfragewer­te herankomme­n, könnte es durchaus für Schwarz-grün reichen – die FDP wäre dann außen vor.

Die FDP steht schon in den Startlöche­rn

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? Andrea Nahles mag es nicht gelingen, ihre Partei in ruhigere Fahrwasser zu manövriere­n.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Andrea Nahles mag es nicht gelingen, ihre Partei in ruhigere Fahrwasser zu manövriere­n.

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