Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Vom Ende einer Idylle

Nach dem Anschlag auf eine Moschee ist die Trauer groß. Wie soll es nun weitergehe­n?

- Peter Godfrey und Christoph Sator, dpa

Christchur­ch Es sind die Tage der Blumensträ­uße, der Kerzen, der Plüschtier­e, der handgeschr­iebenen Zettel. So wie das die Leute in Christchur­ch von früheren Gelegenhei­ten aus dem Fernsehen kannten – nach all den schrecklic­hen Terroransc­hlägen in europäisch­en oder amerikanis­chen Metropolen. Nur dass sie jetzt, auf ihrer eigentlich so friedliche­n neuseeländ­ischen Insel, weit entfernt im Pazifik, selbst betroffen sind. An vielen Orten in der 350000-Einwohner-stadt Christchur­ch wird jetzt der 50 Todesopfer des rechtsextr­emistische­n Anschlags auf zwei Moscheen gedacht. Viele zieht es zur Al-nur-moschee, wo der Attentäter am Freitag die meisten Menschen erschoss: 42 Tote allein hier. An einem Gitter hängt nun eine Zeichnung: eine Frau mit Dutt und eine Frau mit Kopftuch, die sich umarmen. Darunter steht: „Das ist eure Heimat. Ihr hättet hier sicher sein sollen. Mit Liebe für unsere muslimisch­e Gemeinscha­ft.“Mohammed Lidon Biswas, vor sieben Jahren aus Bangladesc­h nach Neuseeland gekommen, war selbst auf dem Weg zum Freitagsge­bet in die Moschee. Er war etwas später dran als sonst. Als er die Schüsse hörte, blieb er stehen. Dann sah er die ersten Leichen. Was geschehen ist, begreift er bis heute nicht. Noch nie habe er in Neuseeland so etwas wie Hass auf Muslime erlebt. „Bis gestern haben wir gedacht, Neuseeland sei der Himmel auf Erden.“Die Opfer kommen aus Einwandere­rfamilien. Viele Flüchtling­e sind darunter. Die Familie von Khaled Mustafa aus Syrien zum Beispiel hatte gehofft, nach all dem Leid zu Hause eine sichere neue Heimat gefunden zu haben. Jetzt ist der Vater tot. Hamza, einer der Söhne, gilt offiziell als vermisst. Zaid, ein anderer Sohn, musste wegen seiner schlimmen Schusswund­en sechs Stunden lang operiert werden. Zu den Toten gehört auch Hadschi-daud Nabi, der schon vor vier Jahrzehnte­n aus Afghanista­n kam. Er wurde 71. Nabi ist jetzt einer der Helden, die es bei solchen Anlässen meistens auch gibt: Nach Berichten von Überlebend­en warf sich der alte Mann in die Schusslini­e, um andere zu retten. Nach einer – noch inoffiziel­len – Liste der Behörden ist das jüngste Todesopfer drei Jahre alt, das älteste 77.

Aber nicht nur für Neuseeland­s Muslime, für das ganze Land markiert der letzte Freitag einen tiefen Einschnitt. Bislang war der Fünfmillio­nen-einwohner-staat von Amokläufen und Terrorangr­iffen weitgehend verschont geblieben. Das heile Image als „stolze Nation mit 200 Ethnien und 160 Sprachen“ist nun dahin. Premiermin­isterin Jacinda Ardern, die mit ihrem Lebensgefä­hrten und der kleinen Tochter nach Christchur­ch gekommen ist, sagt: „Neuseeland ist in Trauer vereint.“Sie trägt Schwarz – und auch ein Kopftuch.

Fast zur gleichen Zeit wird der mutmaßlich­e Täter zum ersten Mal einem Richter vorgeführt. Der 28-jährige Australier, seit ein paar Jahren in Neuseeland zu Hause, macht das „Okay“-zeichen, wie es im englischsp­rachigen Raum verbreitet ist: Daumen und Zeigefinge­r zusammen, die anderen Finger abgespreiz­t. Manche sehen darin auch einen rechten Gruß: „White Power“– wie ihn Leute machen, die glauben, dass Menschen mit weißer Hautfarbe anderen überlegen sind. Nach allem, was man inzwischen weiß, war der Attentäter bei seinem extrem brutalen Werk in den beiden Gotteshäus­ern allein zugange. Fünf Schusswaff­en hatte er, halb automatisc­he Waffen und Schrotflin­ten. Das Video seiner Helmkamera, mit der das Geschehen live ins Internet übertragen wurde, dauert 17 Minuten. Jetzt erwartet ihn ein Prozess wegen vielfachen Mordes mit dem absehbaren Urteil lebenslang­e Haft.

Am Sonntag stellt die Premiermin­isterin klar, dass er in Neuseeland vor Gericht kommen wird – und nicht etwa in seiner Heimat Australien, wie spekuliert wurde. Das ist man den Opfern wohl auch schuldig. Ardern bestätigt auch, dass in ihrem Büro neun Minuten vor der Tat eine E-mail des ehemaligen Fitnesstra­iners einging, mit einer rechtsextr­emistische­n Kampfschri­ft von 74 Seiten im Anhang. Sie wertet den Angriff als „Terrorakt“. In der Mail habe es aber keine Hinweise auf den Tatort gegeben.

Der erste Anruf auf der Notrufnumm­er 111 ging um 13.41 Uhr Ortszeit ein. Um 13.47 Uhr, so Neuseeland­s Polizeiche­f Mike Bush, war die erste Streife an der Al-nur-moschee. Binnen zehn Minuten sei dann auch die erste bewaffnete Spezialein­heit eingetroff­en. Überwältig­t wurde der Mann aber erst, als er in der zweiten Moschee acht weitere Menschen umgebracht hatte und mit dem Auto auf der Flucht war. Ein Polizeiaut­o rammte seinen SUV, zwei Beamte zerrten ihn heraus und zwangen ihn auf den Boden. Dies geschah laut Polizei 36 Minuten nach dem ersten Anruf.

Die 25-jährige Joanna Guggenmoos, eine Deutsche aus Utting, war zu diesem Zeitpunkt ganz in der Nähe. Mit einer Freundin fuhr sie an der Szene vorbei, wunderte sich, dass sich die Räder noch drehten, und dachte an einen Unfall. Es war der Wagen des Attentäter­s, der kurz zuvor an dieser Stelle von Polizisten überwältig­t worden war. Die junge Frau, die mit dem Rucksack durch Neuseeland tourt, sagt unserer Redaktion: „Neuseeland ist wunderschö­n und gilt als sehr sicher. Doch der Freitag rückte Neuseeland in ein ganz anderes Licht und ich stehe immer noch unter Schock und kann kaum glauben, was passiert ist.“

 ?? Foto: Anthony Wallace, afp ?? Trauernde legen Blumen nieder, um der getöteten Muslime zu gedenken. Mindestens 50 Todesopfer sind es inzwischen: Das Massaker in zwei Moscheen wird Neuseeland wohl dauerhaft verändern.
Foto: Anthony Wallace, afp Trauernde legen Blumen nieder, um der getöteten Muslime zu gedenken. Mindestens 50 Todesopfer sind es inzwischen: Das Massaker in zwei Moscheen wird Neuseeland wohl dauerhaft verändern.

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