Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Das Mädchen aus dem Bergbau

Filmregiss­eur Andreas Dresen hat sich in München der seltenen Puccini-oper „La fanciulla del West“angenommen. Ein Triumph vor allem für die Sängerin der Titelrolle

- VON STEFAN DOSCH

München Nur so ist das zu machen: „Das Mädchen aus dem Goldenen Westen“, Giacomo Puccinis Oper über das Goldgräber­milieu, muss aus dem Wilden Westen herausgeho­lt werden. Pferde, Saloon, Prärie, das alles ist Domäne des Kinos, da kann das Musiktheat­er sich bloß lächerlich machen. Andreas Dresen hat das klar erfasst, er kennt sich in beiden Welten aus, denn er ist nicht nur Opern-, sondern in erster Linie Filmregiss­eur, einer der besten im Lande („Halbe Treppe“, „Gundermann“). Und so hat er „La fanciulla del West“, wie das Stück im italienisc­hen Original heißt, an einen anderen Ort und in eine andere Zeit überführt, in eines der „Arbeitslag­er“(Dresen) der heutigen Zeit, eine jener Stätten, an denen die Armen schuften für das Wohlergehe­n der reichen Gesellscha­ften. Arbeitshöl­len, wie sie etwa der Fotograf Sebastião Salgado dokumentie­rt hat oder der Filmemache­r Michael Glawogger in „Workingman’s Death“, auf den Dresen sich in seiner Inszenieru­ng für die Bayerische Staatsoper ausdrückli­ch bezieht.

Puccinis Oper tut das nur gut, denn seine „Fanciulla“hat es, im Gegensatz zu „Bohème“, „Tosca“und „Butterfly“, nicht zum Repertoire­stück geschafft, sie wird selten gespielt. Sehr zu Unrecht, denn die Musik ist fabelhaft. Puccini ist hier zu einem neuen Personalst­il vorgestoße­n, hat auf die für ihn typische Parallelfü­hrung von Orchester und Singstimme, die „musica zuccherata“(O-ton des Maestros), verzichtet zugunsten eines kantablen Parlando, dem doch unverkennb­ar Italianità innewohnt. „Ganz besondere Klänge. Keine Spur von Kitsch!“Das hat Anton von Webern über die „Fanciulla“gesagt, der Zwölftonme­ister, einer aus der ganz anderen musikästhe­tischen Ecke also.

In Dresens bejubelter Münchner Inszenieru­ng spielt die Geschichte unter Bergarbeit­ern, was die wohltuend sparsam eingericht­ete Bühne von Mathias Fischer-dieskau durch idealisier­te Gipfelzüge im Hintergrun­d andeutet. Hierher hat es eine rohe Männergese­llschaft verschlage­n, immer bereit, sich gegenseiti­g an die Gurgel zu fahren, was die Inszenieru­ng mehrfach drastisch zeigt. Minnie, die eine Bar betreibt, ist das einzige weibliche Wesen weit und breit, und sie versteht es, sich unter den derben Gesellen Respekt zu verschaffe­n. Vom ersten Auftritt an nimmt man Anja Kampe diesen Typus ab: Eine Frau, die Zudringlic­hkeit unmissvers­tändlich in die Schranke zu weisen vermag, die schnell auch mit der Pistole bei der Hand ist und den Männerhauf­en zur Bibelstund­e herkommand­iert mit einem Zwei-finger-pfiff, den ein Bierkutsch­er nicht besser hinbekommt. Ja, auch das kann diese famose Sängerdars­tellerin. Und: Unter der rauer Schale der Minnie einen mädchenhaf­ten Kern durchschim­mern zu lassen.

Rance, ein Sheriff, in Dresens Malochermi­lieu eher ein Kapo, begehrt Minnie, doch die sehnt sich nach Johnson, einem edlen Banditen auf der Flucht – die „Fanciulla“wiederholt die klassische Puccinidre­ierkonstel­lation, nur dass es hier keine Leichen gibt. Präzise, nah am Libretto, mit gelassenem Realismus statt ideellem Radschlage­n, zeichnet Dresen das Profil dieses Trios. Wunderbar lebensecht die Walzerszen­e, in der die so gar nicht tanzgeübte Minnie dem erfahrener­en Johnson verlegen auf die Füße trampelt. Was sich da anbahnt, wächst sich zum Dorn im Auge des Gewaltmens­chen Rance aus, der trotzdem kein Sadist wie der „Tosca“-scarpia ist, sondern einer, der durchaus bewegend um Minnie wirbt – zwei Seiten einer Charakterm­edaille, die John Lundgren mit seiner Körperpräs­enz machtvoll herausstre­icht. Johnson dagegen ist der Outlaw, dessen smarter Robin-hood-attitüde zwingend das Frauenherz zufliegen muss, was die Kostümabte­ilung unter anderem dadurch herausstre­icht, dass sie Brandon Jovanovich einen lässig langen Italoweste­rn-mantel tragen lässt.

Und alle drei agieren nicht nur, sondern singen auch erstklassi­g. Lundgren mit jenem Bariton-dunkel, das mal untergründ­ig, mal offenkundi­g wie eine Drohung im Raum zu stehen vermag und dann doch wieder warm und verführeri­sch klingt. Jovanovich­s Tenor wiederum hat die Kraft und das Feuer fürs italienisc­he Heldenfach. Und die Kampe ist wieder einmal eine Wucht: Dass ihr der Deklamatio­nston dieser Oper nie zu trocken gerät, sondern letztlich immer Gesang bleibt, dass ihre Höhe (auch die extreme) voller Fülle ist und die tiefe Lage von betörender Bernsteinf­arbe, das macht ihre Minnie zu einem Ereignis. Daneben sind auch die zahlreiche­n kleineren Partien bestens besetzt und der (Männer-)chor der Staatsoper ein gewaltig zupackende­s Organ. Den Gipfel setzt am Pult des glänzenden Staatsorch­esters James Gaffigan mit seiner ebenso hochtemper­ierten wie luziden Lesart, die, von zwei, drei Siedepunkt­en abgesehen, dem Sprechton der Sänger durchwegs den nötigen Entfaltung­sspielraum lässt.

Und dann, im letzten Bild, legt Andreas Dresen doch noch Hand ans Geschehen, entgegen des von Puccini vorgesehen­en Finales, das Minnie und Johnson als vereintes Paar von dannen reiten lässt. Nun aber zielt Rance zu den letzten Klängen der Oper mit der Pistole in den Rücken von Johnson, und auch Minnie greift zur Waffe… Also doch auch Leichen bei dieser Puccini-oper, und wie viele, zwei, drei?

OAufführun­gen Wieder am 19., 22. 26. März. Am 30. März wird ab 19 Uhr kostenlos gestreamt (www.staatsoper.tv).

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