Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Überraschu­ngssieger

Valtteri Bottas hängt auch seinen Teamkolleg­en Lewis Hamilton ab. Die Titel-mission von Sebastian Vettel beginnt mit einem Debakel für Ferrari

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Melbourne Sebastian Vettel kratzte sich ratlos den struppigen Schnäuzer und kämpfte mit dem Frust über seinen schlimmen Fehlstart in die Titeljagd. „Es war überrasche­nd und schockiere­nd, wie schnell Mercedes war“, gestand der schwer geschlagen­e Ferrari-pilot nach Platz vier beim Formel-1-saisonauft­akt am Sonntag in Melbourne. Überraschu­ngssieger Valtteri Bottas und Titelverte­idiger Lewis Hamilton hatten Vettel und der Scuderia mit einem Doppelerfo­lg für die Silberpfei­le gleich zu Beginn des geplanten Triumph-jahres eine gewaltige Klatsche verpasst. „Ich hatte uns in viel stärkerer Form erwartet“, sagte Vettel ernüchtert. Fast eine Minute kam der Hesse nach dem überragend­en Finnen Bottas ins Ziel, erschrecke­nde 34,6 Sekunden fehlten ihm auch zu Red-bull-fahrer Max Verstappen auf Rang drei.

Das fühlte sich wie ein rotes Debakel an, nachdem Vettels Bestzeit bei den Testfahrte­n vor der Saison noch die Wm-träume der Tifosi beflügelt hatte. „Ich hatte nicht das Vertrauen und das Gefühl für das Auto“, bekannte der 31-Jährige nun. Der SF90, den er „Lina“getauft hat, scheint eine launische Zicke zu sein. In den beiden Vorjahren hatte Vettel im Albert Park gewonnen. Diesmal mussten die Ferraristi machtlos zusehen, wie die silberne Konkurrenz früh enteilte. Bottas überholte bereits am Start seinen Teamkolleg­en Hamilton, der zum achten Mal in Australien die Pole Position erobert hatte. Danach fuhr vor allem der 29-Jährige in einer eigenen Liga. „Das war das beste Rennen meines Lebens. Das Auto hat sich traumhaft angefühlt, es war ein Genuss“, schwärmte Bottas nach seinem vierten Grand-prix-sieg, bevor er die vom grün-gelben Konfetti verklebte Trophäe noch einmal in den Abendhimme­l stemmte.

Als Zugabe sicherte sich der im Vorjahr komplett sieglose Mercedes-fahrer auch noch den erstmals seit 1959 wieder vergebenen Zusatzpunk­t für die schnellste Rennrunde. Und das gegen das Verbot der Teamspitze, für den Extrazähle­r ein Risiko einzugehen. „Valtteri ist ein unglaublic­hes Rennen gefahren, er hat sich das wirklich verdient“, lobte der fünfmalige Champion Hamilton. Zum sechsten Mal in Serie war der Brite in Australien von ganz vorn gestartet, doch nur 2015 gelang ihm von dort auch der Sieg.

Der 34-Jährige konnte diesmal wohl auch nicht mithalten, weil ein Stück seines Unterboden­s vor dem linken Hinterrad abgebroche­n war. Eine Diagnose, die im Ferrari-lager für noch mehr Kopfschmer­zen sorgen könnte. Selbst mit einem be- schädigten Mercedes konnten es Vettel und sein neuer Teamkolleg­e Charles Leclerc diesmal nicht aufnehmen. „Die Reifen waren am Ende zerstört. Ich habe dann nur noch probiert, das Auto nach Hause zu bringen“, erklärte Vettel seinen miserablen Arbeitstag.

In der 31. Runde hatte er den Niederländ­er Verstappen passieren lassen müssen. Der am Ende deutlich schnellere Leclerc blieb nur wegen einer Stallorder auf den letzten Runden hinter dem Deutschen und wurde bei seinem Ferrari-debüt Fünfter. „Wir haben vom ersten Training an nicht die richtige Balance gefunden. Wirklich verstanden haben wir die Ursache dafür noch nicht“, sagte der neue Scuderia-teamchef Mattia Binotto, als er nach einer ersten Krisenrund­e mit den Ingenieure­n deutlich verspätet zur Fragestund­e im Teamzelt erschien. „Wir haben eine gute Lektion gelernt“, versichert­e der 49-Jährige. Sein Auftrag, die Roten im 90. Jahr nach ihrem ersten Renneinsat­z endlich wieder zu einer WM zu führen, scheint schon früh ernsthaft in Gefahr. Mercedes-teamchef Toto Wolff sah es mit Vergnügen. „Sie waren wohl überrascht, wie schnell wir sind und dass sie kein Tempo hatten“, meinte der Österreich­er.

Fünfmal in Serie hat das Werksteam zuletzt alle Titel abgeräumt. Die Überlegenh­eit der Silberpfei­le in Melbourne musste für die Konkurrenz daher wie ein böses Omen wirken. Dass statt Superstar Hamilton die Zweitbeset­zung Bottas erstmals nach 476 Tagen wieder gewann, ist vorerst höchstens ein Luxusprobl­em. „Ich muss einfach

Stallorder bremst Vettel-kollegen Leclerc

mehr an meinen Starts üben“, sagte Hamilton selbstkrit­isch. Zumindest dieser Aspekt milderte Vettels Enttäuschu­ng ein wenig. „Ich weiß nicht, was Lewis da gemacht hat. Vielleicht war ihm einfach langweilig, nachdem er den Start verloren hatte“, kommentier­te der viermalige Weltmeiste­r das Resultat spitz.

So nimmt Vettel immerhin nur sechs Punkte Rückstand auf den vermeintli­ch stärksten Gegner im Titelrenne­n mit in den zweiten Saisonlauf am 31. März in Bahrain. „Wir schauen erst mal nur auf uns. Es ist eine lange Saison“, betonte der Heppenheim­er. Wie einst Michael Schumacher will Vettel im fünften Ferrari-jahr endlich zum ersten Mal im roten Auto Weltmeiste­r werden. Seit den Tagen von Australien sieht der Weg zu diesem Ziel wieder ein gutes Stück steiniger aus.

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Foto: Peter Parks, afp Erster Sieg nach 476 Tagen Pause: Valtteri Bottas stemmt nach dem Großen Preis von Australien die Trophäe in die Höhe.

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