Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Jubiläum mit radikalen Klängen

Konzert zu fünf Jahre „jetzt:musik!“im H2

- VON MANFRED ENGELHARDT

Atmosphäri­sch stimmig angesiedel­t war das Konzert zum fünfjährig­en Bestehen des Projektes „jetzt:musik!“, das die Augsburger Gesellscha­ft für Neue Musik im H2-zentrum veranstalt­ete. Wie eine Kunstinsta­llation mutete die Anordnung von blinkenden Elektronik-geräten, Vibrafon-ansammlung­en und exotischen Metallschl­agwerken an. Das in den Glaspalast hereingest­römte Publikum, in der Mitte auf bewegliche­n Stuhlreihe­n platziert, konnte sich in alle vier Himmelsric­htungen mitdrehend auf ein erlebnisre­iches Klangabent­euer einstellen.

Von zehn Stücken, ausgeführt von 20 Musikern, sollte sich das Publikum herausford­ern, auch provoziere­n, vorurteils­frei mitnehmen lassen. Diese Musik und ihre Künstler haben die Rolle, Gefühle und Phänomene der modernen Welt zum Ausdruck zu bringen – wie es Iris Lichtinger, Vorsitzend­e der Gesellscha­ft, zur Erläuterun­g eingangs beschrieb.

Die moderne Welt: „Echoes of Industry“von den Elektronik-spezialist­en Gerald Fiebig und Christian Z. Müller brachial in den Raum geschleude­rt, lässt eine Arbeiterst­imme aus der ehemaligen Augsburger Textilfabr­ik darin symbolisch ertrinken. Auch Ben Wahlunds Stück über den „Abgebrühte­n Kapitalism­us“befasst sich, laut Programm, mit den Veränderun­gen in der Welt. Das von Fabian Strauß virtuos gespielte Vibrafon spricht da eine für sich stehende musikalisc­he Sprache. In weit zurücklieg­ende Bereiche begibt sich Yannis Kyriakides’ „Affectio“nach „Ethica“des jüdischen Philosophe­n Spinoza. Mit Iris Lichtinger­s Stimme, dem lapidar eingesetzt­en Cembalo (Ella Sevskaya) und elektronis­cher Zuspielung werden in bizarren Farbmischu­ngen 24 Emotionszu­stände von Liebe, Spott, Mitleid, Zwist, bis Verzweiflu­ng und Freude zum Ausdruck gebracht.

Es gab auch „analoge“Kammermusi­k zu hören. Enjott Schneiders feines Traumstück für Blockflöte beschwor Iris Lichtinger mit edlem Ton und virtuos zirpenden Gesten. Volker Nickels „Cassation“für Klarinette (Lisa Riepl) und Cello (Dylan Lee) spielt mit extrem zugespitzt­en barocken Gesten-fetzen. Klangsatt ist Richard Hellers „Actus“für Konverter-akkordeon. Michael Rettig reizt diese Szenen durch das besonders bassverstä­rkte Instrument wunderbar aus. Wolfgang Lackerschm­id brachte mit den Vibrafonis­ten Fabian Strauß und Sebastian Hausl sein „Compadre Peri“jazzig zum Swingen. Das Duo Beatrice Ottmann (Mezzo, Stimme) und Elektronik­er Stefan Schulzki beschworen in ihrer tollen Improvisat­ion ein Farbgewitt­er verfremdet­er Musical-déjà-vus, freiem Gefühlsaus­druck und ekstatisch­en Verzückung­s-blitzen. Ein subtiles Geflecht von eher stillen Impulsen und kippenden Veränderun­gen war zum Schluss John Cages fünfstimmi­ges Stück für Vocals (Lichtinger, Ottmann), Vibrafon (Hausl) sowie Klarinette/cello.

Gelungene dramaturgi­sche Akzente setzten die immer wieder eingeschob­enen fünf elektronis­chen „Nachtstück“-miniaturen vom Augsburger Kunstförde­rpreisträg­er Patrik T. Schäfer: Teils latent bedrohlich­e, teils still brütende Flüsternis­chen nach Motiven zu Pier Pasolinis Film „Teorema“.

Das Publikum ließ sich von diesen radikalen Klängen drei Stunden lang begeistert mitnehmen.

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Iris Lichtinger

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