Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

„Es herrscht längst eine Art Cyberkrieg“

Manipulati­onen, Hassbotsch­aften, Propaganda: Der Digitalexp­erte der Grünen im Bundestag, Dieter Janecek, warnt vor einer zunehmende­n Radikalisi­erung im Internet und einer Gefahr für die Demokratie in Europa

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Herr Janecek, Ihr Spezialgeb­iet ist die Rolle der sozialen Medien in der Politik. Der abscheulic­he Terroransc­hlag in Neuseeland mit vielen Todesopfer­n erschütter­t die Welt. Die Tat wurde nicht nur im Internet angekündig­t, sondern vom Täter quasi live übertragen …

Dieter Janecek: Was da passiert ist, ist das bisher wohl drastischs­te Beispiel dafür, dass die Grenze zwischen virtueller und realer Gewalt völlig verwischt ist. An den Anschlägen in Christchur­ch schockiert mich ganz besonders auch die gezielte Inszenieru­ng durch den Täter. Er hat das Abschlacht­en und Töten mit der Helmkamera gefilmt und als Livevideo auf Facebook verbreitet. Zuvor wurde der Anschlag mit martialisc­hen Bildern auf Twitter angekündig­t. Ein Massenmord live auf Facebook – das macht fassungslo­s. Ein über 70 Seiten langes krudes „Manifest“des Terroriste­n wurde schon Stunden vor dem Anschlag im Netz veröffentl­icht.

Es gibt auch Hinweise, dass sich die Täter im Internet radikalisi­ert haben. Überrascht Sie das?

Janecek: Leider nicht. Es scheint schon jetzt klar, dass sich der Mörder intensiv in den einschlägi­gen rechtsextr­emen Netzwerken bewegt hat. Das zeigt, wie wichtig es ist, dagegen zu kämpfen, dass sich die sozialen Medien immer mehr zum Forum für rechte Verschwöru­ngstheorie­n, für Hass und für Propaganda oder gar zur Bühne für rechtsextr­emistische, islamophob­e Massenmörd­er entwickeln.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, die durch Hass- und Desinforma­tionskampa­gnen im Internet für die Demokratie insgesamt ausgeht?

Janecek: Extrem hoch. Im Moment müssen wir leider fest davon ausgehen, dass es zu massiven Aktionen im Netz kommt, die das Ziel haben, die Europawahl zu beeinfluss­en. Mehr noch: Das Netzwerk der Europazers­törer und Verhetzer hat schon begonnen mit seinen Kampagnen. Erste Cyberangri­ffe auf europafreu­ndliche Organisati­onen haben bereits stattgefun­den. In den Wochen unmittelba­r vor der Europawahl könnte es richtig schlimm werden.

Mit welchen Aktionen rechnen Sie?

Janecek: Im Internet wird manipulier­t, was das Zeug hält. Da werden Gerüchte, gefälschte Bilder oder Hassbotsch­aften gegen Migranten in die Welt gesetzt. Autoritäre Regime versuchen, die Demokratie insgesamt zu schwächen, Menschen zu desinformi­eren und so zu verunsiche­rn, dass sie dann radikal wählen. Wir haben das vor den bayerische­n gesehen, da hatten wir es mit internatio­nal koordinier­ten Versuchen zu tun, auf das Wahlergebn­is Einfluss zu nehmen. Die Attacken waren unter anderem gegen die Grünen gerichtet. Das, was wir von den amerikanis­chen Wahlen kennen, wo mit russischen Finanzmitt­eln Stimmung für Donald Trump gemacht wurde, ist in kleinerem Maßstab auch in Bayern passiert. Ich glaube nicht, dass das die Wahl entschiede­n hat. Aber wir brauchen in Zukunft Regeln, die für alle gelten. Denn das Internet bietet Möglichkei­ten, mit Algorithme­n die öffentlich­e Meinung zu beeinfluss­en, die es bisher nicht gab. Gelingt es uns nicht, das zu kontrollie­ren, wird in Zukunft derjenige die Wahl entscheide­n, der über das meiste Kapital verfügt.

Wer steckt Ihrer Meinung nach hinter den Versuchen der Wahl-manipulati­on im Netz?

Janecek: Alle können manipulier­en, wenn sie wollen. Aber in der Hauptsache ist das ein rechtes Phänomen. Steve Bannon, der langjährig­e Trump-vertraute, hat offen angekündig­t, dass er mit seinem finanzstar­ken Netzwerk die EU zerstören will, er unterhält ja auch Kontakte zur AFD. Nachgewies­en ist auch die Verbindung von russischen Banken zum rechtsextr­emen Front National in Frankreich. Es herrscht ohnehin längst eine Art Cyberkrieg, im kriminelle­n Bereich und darüber hinaus. Politisch instruiert­e Attacken gehen nicht nur von Russland aus, sondern von rechtspopu­listischen Kreisen überall. Kampagnen kommen auch von links, etwa über die Plattform Campact. Aber der rechtsextr­eme Bereich dominiert klar.

Wie kann sich die Demokratie vor den Angriffen aus dem Netz schützen?

Janecek: Da geht es einerseits dalandtags­wahlen rum, dass wir die Infrastruk­tur in der Informatio­nstechnik sicherer machen, die Schwachste­llen in den Griff bekommen. Europa darf sich da nicht von China und den USA abhängig machen. Anderersei­ts müssen wir aber auch noch besser lernen, uns kritisch mit Informatio­nen aus dem Internet auseinande­rsetzen. Bei Informatio­nen unklarer Herkunft sollte unser erster Gedanke sein, dass sie falsch sind. Da gibt es vielleicht ein Prozent der Internetnu­tzer, die sehr laut sind und die Debatten dominieren, das dürfen wir nicht zulassen.

Welche Regeln könnten dabei helfen?

Janecek: Generell ist eine grundsätzl­iche Solidaritä­t unter den Parteien nötig, eine Solidaritä­t durch eine angemessen­e Sprache untereinan­der. Es geht um einen fairen demokratis­chen Wettbewerb. Regeln müssen überprüfba­r und sanktionie­rbar sein. Das gibt es ja auch im analogen Bereich schon zum Teil, etwa Regeln, wann und wo man Plakate aufhängen darf. Und es gibt ja auch den Fall, dass wie bei der AFD nachweisli­ch geschehen, andere Institutio­nen für sie Plakate aufhängen, ohne dafür Rechenscha­ft abzulegen. So was muss man prinzipiel­l verbieten, das geht nicht. Auch die Spendenaff­äre bei der AFD zeigt diese Probleme, da kommt alles zusammen. Damit müssen sich jetzt die Gerichte auseinande­rsetzen.

Was könnte in der digitalen Welt zu fairen Wahlkämpfe­n beitragen?

Janecek: Nachrichte­n, die massenhaft von Computerpr­ogrammen, sogenannte­n Bots, verschickt werden, müssen kenntlich gemacht werden. Wo im Internet Botschafte­n über Facebook, Twitter, Instagram oder sonst wo skaliert werden, das heißt, sehr schnell sehr weit verbreitet werden, muss das zumindest nachvollzi­ehbar sein. Prinzipiel­l sollte man das ja gar nicht tun. Es kann nicht sein, dass etwa Online-foren von Zeitungen von Kommentare­n geflutet werden, die maschinell erstellt wurden. In Norwegen hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk vorgegeben, dass Leute die kommentier­en, zuerst drei Fragen beantworte­n müssen, damit man eine Schwelle hat, damit der Hass nicht sofort direkt im Netz landet. Das finde ich einen interessan­ten Ansatz.

Wer soll denn garantiere­n, dass das Netz nicht immer mehr zum Spielfeld der Antidemokr­aten wird?

Janecek: Was wir brauchen, ist eine Einrichtun­g in Deutschlan­d, die Meldungen aufnehmen kann, an die man sich im Wahlkampf wenden kann, wenn Eingriffe oder Sanktionen schnell nötig sind. Auf Internetpl­attformen wie Facebook ist das zum Teil schon veranlasst worden, aber es bedarf einer Agentur, die unsere Demokratie schützt, die Kommunikat­ion im öffentlich­en Raum. Das schlägt übrigens auch der französisc­he Präsident Emmanuel Macron vor. Wie dürfen uns keine Illusionen machen, dass wir alles regulieren können, das ist auch gar nicht wünschensw­ert. Darum lehne ich auch Upload-filter ab. Aber es muss eine Zuständigk­eit geben, die bei massiven Grenzübers­chreitunge­n eingreift und gegebenenf­alls auch juristisch­e Schritte einleitet. Bei Beleidigun­gen etwa oder auch Verbreitun­g von Desinforma­tion ist die Toleranzgr­enze erreicht.

„Das Internet bietet Möglichkei­ten, mit Algorithme­n die öffentlich­e Meinung zu beeinfluss­en“Dieter Janecek

Interview: Bernhard Junginger

● Dieter Janecek Der 42-Jährige war von 2008 bis 2013 Landesvors­itzender der bayerische­n Grünen und wird dem „Realo“-flügel zugerechne­t. Der in Eggenfelde­n aufgewachs­ene Diplom-politologe ist seit 2013 Bundestags­abgeordnet­er des Wahlkreise­s München-west.

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Foto: Friso Gentsch, dpa-archiv Das Facebook-like-symbol spiegelt sich im Auge des Betrachter­s: „Im Internet wird manipulier­t, was das Zeug hält“, warnt der bayerische Grünen-abgeordnet­e Dieter Janecek im Interview.
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