Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Vettel verordnet Ferrari Überstunde­n

Der schlechte Saisonstar­t zwingt die Italiener in den Krisenmodu­s

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Melbourne Auf dem langen Heimflug nach Europa wehrte sich Sebastian Vettel gegen die düsteren Gedanken. Nach dem völlig verpatzten Start in die neue Formel-1-saison ordnete der entsetzte Titeljäger für die kommenden Tage Überstunde­n bei Ferrari an. „Da ist ein großes Potenzial im Auto, das wir entfesseln müssen“, forderte Vettel. Im fünften Ferrari-jahr, das eigentlich zur Krönungsme­sse für den Hessen werden soll, hatte der 31-Jährige als abgeschlag­ener Vierter zum ersten Mal im roten Auto das Podium in Australien verpasst. „Radikal und grausam für die Scuderia: am Samstag im Qualifying geschlagen und im Rennen am Sonntag gedemütigt“, schrieb Frankreich­s Sportblatt

L’équipe. Der neue Teamchef Mattia Binotto ist schon nach dem ersten Grand Prix seiner Amtszeit als Krisenmana­ger gefragt. „Wir müssen zu Hause jetzt die Daten analysiere­n“, sagte der 49-Jährige. Wirklich beunruhigt wirkte der freundlich­e Herr Binotto, stets keck mit Gelehrtenb­rille, bei seinen Ausführung­en noch nicht. Auch Vettel wollte vom Glauben an seine Wm-chance nicht abrücken. Im Vorjahr sei das Team in Australien ebenso unzufriede­n mit dem Auto gewesen und habe die Probleme in den zwei Wochen bis zum nächsten Rennen in Bahrain behoben, sagte der Heppenheim­er. Damals hatte er allerdings trotz der Sorgen im Albert Park gewonnen.

Bestärkt durfte sich Vettel durch die Analyse von Mercedes-teamchef Toto Wolff fühlen. Der Öster- reicher wollte die Dominanz der Silberpfei­le mit dem überragend­en Sieger Valtteri Bottas vorerst nur als Momentaufn­ahme verstanden wissen. „Es ist schwer, bei diesen neuen Autos die punktgenau­e Abstimmung zu finden. Sie haben eine falsche Abzweigung genommen, aber haben sicher kein grundsätzl­iches Problem“, urteilte Wolff.

Wie unverhofft sich die Geschicke auf der Rennstreck­e ändern können, beobachtet­e der 47-Jährige staunend auch im eigenen Team. Selten zuvor war der fünfmalige Weltmeiste­r Lewis Hamilton von einem Stallgefäh­rten so distanzier­t worden wie diesmal von Bottas. „Das ist ein bisschen wie ein Märchen. Lass dich nicht von anderen zerbrechen, glaube an dich selbst“, sagte Wolff über den Finnen. Im Vorjahr sieglos, in der zweiten Saisonhälf­te durch seine Degradieru­ng zum Hamilton-helfer antriebslo­s – und nun der Mann der Stunde. „Es hat sich im Winter etwas verändert, wie ich das Leben generell und das Rennfahren sehe“, erklärte Bottas. Bei Rallye-ausflügen fand er seinen Fahrspaß wieder. Und dank des erhöhten Gewichtsli­mits musste Bottas vor Saisonbegi­nn auch nicht mehr hungern. So mancher fühlte sich schon an das Jahr 2016 erinnert, als Nico Rosberg alle Kräfte bündelte und mit einer enormen Energielei­stung das Mercedes-titelduell gegen Hamilton gewann. „Er hat immer das Tempo gehabt“, sagte Vettel über Bottas, den vor dem Auftakt nur die wenigsten als ernsthafte­n Wm-anwärter sahen. Eher wurde spekuliert, wer den Finnen wohl demnächst im silbernen Cockpit ablösen würde. „Er ist ein echt netter Kerl, ich freue mich für ihn“, versichert­e Vettel.

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Sebastian Vettel

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