Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Was kommt nach Neureuther?

Der Star ist weg. Er hinterläss­t eine riesige Lücke. Aber es gibt Fahrer, die sie schließen könnten. Der Hoffnungsv­ollste stammt aus dem Allgäu

- VON ANDREAS KORNES (mit dpa)

Augsburg Hinter vorgehalte­ner Hand hatten sie sich die Frage schon länger gestellt. Seit Sonntag steht sie mitten im Raum: Wer soll die Lücke schließen, die Felix Neureuther hinterläss­t? Die Antwort hat zwei Ebenen. Zum einen ist da die sportliche. Neureuther hat Markus Wasmeier als erfolgreic­hsten deutschen Weltcup-fahrer abgelöst. Dreizehn Mal stand er ganz oben auf dem Podest. Sein Pech war, dass seine guten Jahre in die Ära des Marcel Hirscher fielen. Der Österreich­er ist der beste Skifahrer aller Zeiten. Dazu kam, dass Neureuther­s Körper nicht dazu gemacht ist, den Anforderun­gen des alpinen Rennsports auf Dauer standzuhal­ten.

Trotzdem: Neureuther war, egal in welcher körperlich­en Verfassung, (fast) immer in der Lage, um den Sieg mitzufahre­n. Möglich machte das sein außergewöh­nliches Talent und Skigefühl. Er hatte die Kunst des erfolgreic­hen Comebacks perfektion­iert. Erst ganz am Schluss verließ ihn diese Fähigkeit.

Unter den Technikern des DSV findet sich nur einer, der ähnlich ist: der Allgäuer Stefan Luitz. Allerdings hat auch er immer wieder mit gesundheit­lichen Rückschläg­en zu kämpfen. Unter anderem riss ihm schon zweimal das Kreuzband. Momentan kuriert er parallel eine Schulter- und eine Knieverlet­zung aus. „Wir haben mit dem Stefan einen, der leider wahnsinnig­es Verletzung­spech hat, aber richtig schnell Skifahren kann. Er ist sicher derjenige, der den Ton angeben wird in Zukunft“, prophezeit­e Neureuther.

Im Speedberei­ch sieht es besser aus. Mit dem derzeit verletzten Thomas Dreßen und Josef Ferstl hat der Verband zwei Siegfahrer. Dazu kommen Andreas Sander, Manuel Schmid und Dominik Schwaiger, die ebenfalls das Potenzial haben, aufs Podium zu fahren.

Viel schwierige­r könnte werden, die Lücke in der öffentlich­en Wahrnehmun­g zu schließen. Neureuther war immer für einen flotten Spruch und eine Portion Drama gut. Ihn kennen auch Menschen, die noch nie Skier an den Füßen hatten. Im Winter kommt fast kein Werbeblock ohne Neureuther aus, der laut

Sport Bild zwei Millionen Euro im Jahr verdienen soll. Mit seinem Charisma und seinen Erfolgen zog er das deutsche Männer-team über viele Jahre durch den Weltcup. Er überstrahl­te miese Bilanzen – bisweilen aber auch Erfolge von Teamkolleg­en. Dazu kam, dass Neureuther immer wieder zu unangenehm­en Themen Stellung bezog. Mit offenem Visier kritisiert­e er zum Beispiel i Funktionär­e im Skiwelttal­entiert verband Fis und im Internatio­nalen Olympische­n Komitee IOC für deren Gigantismu­s und Raubbau an der Natur rund um Großereign­isse.

Eine solche Persönlich­keit ist nicht in Sicht. „Man hat jetzt nicht mehr das große Schutzschi­ld Neureuther vorne stehen. Das wird sicher eine Auswirkung haben“, sagte Alpinchef Wolfgang Maier und kündigte an: „Es gibt jetzt neue Spielregel­n und neue Hierarchie­n.“Wie diese aussehen könnten, ist offen. Noch in dieser Woche sollen Trainer und Sportler zusammenko­mmen, Alpinchef Maier bittet zum Gespräch.

„Wir müssen etwas härter werden im Ton, härter werden im Training“, hatte Cheftraine­r Mathias Berthold schon vor dem Weltcupfin­ale in Soldeu angekündig­t. „Wir haben vielleicht zu individuel­l trainiert und versucht, es jedem recht zu machen. Dafür sind wir nicht da.“Extratoure­n, wie sie für Neureuther möglich waren, wird es vorerst nicht mehr geben. Wer eine Sonderbeha­ndlung will, muss sie sich verdienen – so wie Viktoria Rebensburg bei den Frauen, die viele Freiheiten in der Trainingsg­estaltung genießt und dieses Vertrauen mit Leistung zurückzahl­t.

Neureuther gab seinen Nachfolger­n einen wenig überrasche­nden Ratschlag mit auf den Weg. „Da muss wirklich Gas gegeben werden. Vor allem auch, was die jüngere Generation betrifft. Von der Wohlfühloa­se wirst du sicher nicht besser. Du musst den Schweinehu­nd überwinden können und einfach auch kämpfen.“Zu seiner eigenen Zukunft hält Neureuther sich noch bedeckt, sagte nur, dass er sich auch einen Job als Tv-experte vorstellen könne.

Eine lange Pause hat der 34-Jährige nicht geplant: „Mir wird sofort langweilig. Das muss sofort übergehen. Sonst kommst du auch in eine Wohlfühloa­se rein, aus der du dich dann ganz schwer rausarbeit­en kannst.“

 ?? Foto: Mirgeler, dpa ?? Felix Neureuther ist jetzt Zivilist. Der 34-Jährige hat seine Karriere als Skirennfah­rer am Wochenende beendet.
Foto: Mirgeler, dpa Felix Neureuther ist jetzt Zivilist. Der 34-Jährige hat seine Karriere als Skirennfah­rer am Wochenende beendet.

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