Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Auf der Spur der Rückkehrer
Urlaub mal anders: Freiwillige aus aller Welt helfen in der Lüneburger Heide und sammeln als Bürgerwissenschaftler Daten über den Wolf
Exemplare und mehr werden es gegen Ende des Jahres sein, schätzen die Biologen. Zuständig für das Erfassen der Raubtiere sind die Jäger und die 120 ehrenamtlichen Wolfsberater. Entdecken sie bei ihren Pirschgängen eine Spur, melden sie sie an das staatliche Wolfsbüro in Hannover. Eine systematische Suche gibt es nicht. Diese Lücke wollen die Bürgerwissenschaftler schließen, wenigstens zu einem kleinen Teil.
Drei solcher Teams waren in diesem Sommer vor ihnen da. Die Motivation der Teilnehmerinnen ist so unterschiedlich wie die Berufe, in denen sie arbeiten. Die Investmentbankerin aus London möchte Tieren eine Stimme geben, der Controller aus Stuttgart denkt über einen Berufswechsel ins Naturwissenschaftliche nach, die Psychotherapeutin aus Texas will einfach wissen, wie biologische Forschung funktioniert.
Zwei Tage lang wurden sie vom Veranstalter „Biosphere Expeditions“und Wolfsberater Peter Schütte vorbereitet: Sie lernten, ein GPS zu bedienen, Funde, wie Knochen, genau zu vermessen, die größeren Wolfs- von den kleineren Hundespuren zu unterscheiden und Fundorte von Losung exakt zu notieren. Seitdem sind sie jeden Tag in vier Teams in verschiedenen Ecken der Lüneburger Heide unterwegs, zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Manchmal wechseln sie die Speicherkarten in Kamerafallen, meistens aber gehen sie Wege ab, den Kopf streng zu Boden, und sofort in lebhafte Diskussionen verwickelt, wenn sie tatsächlich mal etwas Auffallendes entdecken. Einen Wolf in freier Wildbahn zu Gesicht zu bekommen, daran hat zu Beginn der Woche keiner der Teilnehmer geglaubt – offiziell. Klammheimlich hoffte natürlich jeder das Gegenteil.
Wolfsberater Theo Grüntjens begleitet ein anderes Team am Rande des Rheinmetall-schießplatzes zwischen schier endlosen Kartoffeläckern und Getreidefeldern. Rehe, Füchse, Hirsche, Dachse und Marder waren hier unterwegs. Aus der Form der Eindrücke liest der pensionierte Förster, dass das Schalenwild in aller Ruhe längs spazierte und zwischendurch auch stehen blieb, was stark darauf hindeutet, dass keine Wölfe in der Nähe waren. „Die Null – also: kein Anzeichen von Wolf – ist ein genauso wichtiges Ergebnis“, sagt er.
Abends werden die Ergebnisse der Teams zusammengetragen und diskutiert. Karten werden an die Wand projiziert, Fotos analysiert, Fundorte mit Nadeln markiert. Zwischendurch gehen Beutel mit ausgebleichten Knochen, der Pfote eines Marderhundes und einem Vogelring herum – Funde des Tages, nicht unbedingt das, was jedermann kurz vor dem Abendessen mit Haferbrätlingen und Rosmarinkartoffeln auf dem Tisch haben möchte. Ein Behälter mit bestialisch stinkender Wolfslosung ruft helles Entzücken hervor: Endlich DNA! Die Kriterien, welche Entdeckungen tatsächlich an das Wolfsbüro in Hannover gemeldet werden und dort Eingang in die offizielle Zählung finden, sind streng. Letztendlich entscheidet Fachmann Peter Schütte. Eine Spur wird nur dann sicher einem Wolf zugeordnet, wenn sie in geschnürtem Trab verläuft, Tritt in Tritt, Hinterfuß im Abdruck des Vorderfußes – und das auf einer Strecke von mindestens hundert Metern. Aber die edelste Aufgabe des Wolfsforschers ist ohnehin eine andere: „Find a lot of shit!“, fasst Abi aus London prägnant zusammen.
Grundsatzdiskussionen, ob die Rückkehr des Wolfes überhaupt wünschenswert ist, gibt es nicht. Er
„Ich diskutiere nicht über das Lebensrecht von Wölfen.“
ist geschützt, basta. „Ich weigere mich, das Lebensrecht von Wölfen zu diskutieren“– das Diktum des italienischen Wolfpapstes Luigi Botani wird von allen geteilt. Immerhin entgeht den Teilnehmerinnen nicht, dass ihr Einsatz in der Presse und von der Politik kontrovers diskutiert wird. Und wenn Bettina Prelle-van-hemer, resolute Bäuerin in Marbostel-witzendorf, leise erzählt, wie im September vor zwei und vor drei Jahren Wölfe ihr Vieh jagten und insgesamt fünf Kälbchen nach und nach an den Bissen eingingen, ahnen sie, dass das Auftauchen der Raubtiere nicht überall die gleiche Begeisterung auslöst wie in ihren naturaffinen Kreisen. Umso wichtiger sind exakte Daten – darin sind sich beide Seiten einig.
Am Ende der vier Wochen beurteilt auch der Wolfsberater die Arbeit der Hobby-forscher höchst positiv. 1000 Kilometer Waldwege sind die insgesamt 48 Freiwilligen im Verlauf von vier Wochen abgegangen. Sie haben mehrere verlässliche Spuren entdeckt und vor allem auch einige Portionen Losung gefunden. Wie schrieb doch ein Kollege süffisant über das Experiment: „Die Abenteurer scheinen zu ahnen: Mehr als seinen Scheiß werden sie vom wilden Wolf nicht sehen.“Genau. Aber der Schiss des Wolfes ist nun mal das Gold des Forschers.