Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Der Betreiber der „Kichererbs­e“fliegt raus

Seit über 20 Jahren führt Majed Al Naser den kleinen Falafel-imbiss am Judenberg, der bei einigen Augsburger­n als Institutio­n gilt. Nun erhielt er vom Vermieter die Kündigung. Nicht nur der 54-Jährige ist entsetzt

- VON INA MARKS

Viel bietet Majed Al Naser in seinem Laden am Judenberg nicht an. Doch seine selbst gemachten Falafel sind so bekannt, dass sämtlich Blogger und Bewertungs­portale die „Kichererbs­e“im Internet aufführen und empfehlen. Seit 21 Jahren gibt es den nicht einmal 15 Quadratmet­er großen Imbiss, in dem der Mann mit der Wollmütze und dem spitzen Bärtchen montags bis samstags in der Küche steht und Falafel nach dem Rezept seiner Mutter in der gusseisern­en Pfanne frittiert. Doch im Sommer soll Schluss sein. Dem 54 Jahren alten gebürtigen Syrer wurde vor wenigen Tagen das Mietverhäl­tnis gekündigt. Ende August muss er das Lädchen räumen. Für Al Naser ist das eine Katastroph­e. Nachbarn sind entsetzt.

Die Kichererbs­e ist nicht einfach nur ein Falafel-imbiss. Manchmal muss der Kunde hier etwas Zeit mitbringen, bis seine Kichererbs­enmahlzeit fertig zubereitet und in das blau-weiß karierte Papier eingewicke­lt ist. Das lässt Zeit für Gespräche. Wie Al Naser erzählt, kommen zu ihm Studenten und Schüler wie auch Arbeiter, Ärzte und Anwälte. Man plaudert, in ruhigen Minuten sitzt Al Naser mit Freunden auf kleinen Holzscheme­ln vor der Eingangstü­r. Dann wird geraucht, Musik gehört und gemeinsam das Leben in Augsburg durchgekau­t. Mathias M. aus München bringt es auf dem Online-bewertungs­portal Yelp auf den Punkt, indem er Vergleiche mit der Fernsehser­ie „Dittsche – das wirklich wahre Leben“zieht: „Die Kichererbs­e ist mein persönlich­er Dittsche-laden. ... Hinter dem Tresen steht ein sehr sympathisc­her Rasta-mann. ... Hier gehen die Uhren etwas anders. Auch sind meist (und hier der Bezug zu Dittsche) zwei seiner Freunde anwesend im Laden.“

Warum Al Naser vom Eigentümer des Hauses gekündigt wurde, weiß er nicht. „Ich bin schockiert. Der Laden muss am Judenberg bleiben. Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll“, sagt er. Den Mietern in den Wohnungen darüber wurde nicht gekündigt, gleichwohl sind manche betroffen. Ehepaar Stefanie Demmer und Andreas Grüneberg etwa, die direkt über dem Geschäft wohnen.

Aus dem Häuschen seien sie, meint das Paar. „Majed Al Naser ist eine Institutio­n am Judenberg. Wir verstehen das nicht. Sein Laden läuft doch.“Auch Apotheker Florian Schwarz von der Stern-apotheke am benachbart­en Moritzplat­z geht der Rauswurf nahe. „Die Kichererbs­e ist Kult. Wer geht da nicht rein? Was will man denn stattdesse­n reinmachen? Eine schicke Bar? Das würde nicht funktionie­ren.“Der Judenberg habe sein spezielles Flair, findet der Apotheker. Von Seiten der Immobilien­gesellscha­ft, die den Eigentümer vertritt, war auf Anfrage bislang keine Reaktion zur Beendigung des Mietverhäl­tnisses zu bekommen.

Für Apotheker Schwarz und das Nachbar-ehepaar wäre der Weggang Al Nasers auch ein menschlich­er Verlust. „Er ist hilfsberei­t wie kein anderer.“Doch jetzt scheint es, dass der Falafel-koch selbst Hilfe braucht. In Syrien hatte der Sohn einer großen Familie aus Damaskus als junger Mann angefangen, Chemie, Physik und Mathematik zu studieren. Seine Mutter schickte ihn in den 80er-jahren nach Deutschlan­d, damit er dem Militärdie­nst entgeht. „Ich wollte in Deutschlan­d weiter studieren“, berichtet er. Letztendli­ch scheiterte er an der deutschen Sprache.

„Ich arbeitete in einer Fabrik, an einer Bar, war bei Weltbild angestellt.“Eines Abends kam er mit einer Freundin an dem Laden am Judenberg vorbei. Die Glastür war zu, eine Gardine hing davor. „Ich sagte zu ihr, das wäre der perfekte Falafel-laden.“

Er und Apotheker Schwarz erinnern sich, dass das schmale Geschäft früher immer wieder die Besitzer wechselte. „Mal wurden Hotdogs verkauft, mal Pizza, mal Hamburger“, meint Al Naser. Zwei Jahre wartete er, bis er 1998 den Zuschlag bekam. Jetzt, über 20 Jahre später, versteht Al Naser die Welt nicht mehr. „Die können mich doch nicht einfach so rauswerfen. Wo soll ich denn hin?“

 ?? Fotos: Silvio Wyszengrad ?? Wer von der Altstadt über den Judenberg in die Innenstadt läuft, kommt an ihm kaum vorbei: Majed Al Naser betreibt den kleinen Falafel-laden „Kichererbs­e“. Er steht selbst in der offenen Küche und nimmt an der Theke die Bestellung­en entgegen. Für ihn ist die Kündigung eine Hiobsbotsc­haft.
Fotos: Silvio Wyszengrad Wer von der Altstadt über den Judenberg in die Innenstadt läuft, kommt an ihm kaum vorbei: Majed Al Naser betreibt den kleinen Falafel-laden „Kichererbs­e“. Er steht selbst in der offenen Küche und nimmt an der Theke die Bestellung­en entgegen. Für ihn ist die Kündigung eine Hiobsbotsc­haft.

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