Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Wer war der Vater?
Eine Frau bekam mehrere tausend Euro vom Jugendamt, weil sie angab, den Vater ihrer Kinder nicht zu kennen. Das stimmte aber nicht. Die wahren Familienverhältnisse werden aber auf immer ein Rätsel bleiben
Der Staat zahlt jährlich 850 Millionen Euro an Unterhaltsvorschuss, weil säumige Väter ihre Unterhaltspflicht gegenüber ihren Kindern nicht nachkommen. Auch Mütter, die der Familienkasse ihrer Kommune schriftlich versichern, den Vater ihres Kindes nicht zu kennen, werden monatlich mit 145 oder 194 Euro unterstützt. Pech nur, wenn sich herausstellt: Sie haben gelogen.
So stand jetzt eine Augsburgerin wegen gewerbsmäßigen Betrugs vor Gericht. Die 43-Jährige wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Sie muss außerdem 1600 Euro an eine gemeinnützige Organisation zahlen. Das Gericht sprach sie in acht Fällen schuldig, zwei davon als Versuch. In den Jahren 2011 und 2016 hatte sie für ihre heute sieben, neun und zwölf Jahre alten Söhne Unterhaltsvorschuss beantragt und bekommen. Doch schon im April 2013 hatte das Jugendamt der Stadt Zahlungen gestoppt und mehr als 8000 Euro zurückgefordert.
Zu Recht, wie erst sechs Jahre später feststeht. Was den Zuhörern im Gerichtssaal allerdings weitgehend verborgen blieb, denn die Angeklagte musste sich nicht selbst äußern. Ihr Verteidiger David Herrmann trug vor, seine Mandantin räume die Vorwürfe „voll umfänglich“ein. Ein Satz. Dann kam noch eine auf Wunsch des Anwalts geladene Gutachterin zu Wort, es folgten Plädoyers und Urteil.
In Zeiten einer überlasteten Justiz laufen heute viele Prozesse so ab. Dabei ist der Fall der 43 Jahre alten Verkäuferin keineswegs so simpel, wie es scheint. Ihr Geständnis dürfte der Angeklagten auch deshalb leichtgefallen sein, da es vorab eine verfahrensverkürzende Verständigung gegeben hatte und sie mit einer Bewährungsstrafe rechnen konnte. Laut einem Gutachten ist Fritz K.*, in dessen Haus sie noch immer eine Mietwohnung hat, zu 99,9 Prozent der Vater aller drei Kinder. Zweifel sind erlaubt, auch wenn dies nichts an der Schuld der Angeklagten ändert. Mehrfach hatte sie gegenüber dem Jugendamt fälschlich versichert, Fritz K. und sie hätten sich getrennt, sexuell würde da nichts mehr laufen. Die drei Söhne, erklärte die Mutter, seien die unliebsame Folge von One-night-stands mit ihr nicht bekannten Männern.
Erst außerhalb des Gerichtssaals wird durch Az-recherchen die ganze Tragweite des Falles deutlich. Und er bekommt eine pikante Note. Fritz K. ist häufig Kunde in dem Geschäft gewesen, wo die 43-Jährige als Verkäuferin gearbeitet hat. Er verliebt sich in sie, sie in ihn. Das Paar zieht zusammen, wohnt im Haus seines Vaters. Sie bekommen einen Sohn. Paul* ist ein Wunschkind. Er kommt durch künstliche Befruchtung zur Welt. Denn ein Arzt hatte dem Mann bescheinigt, nur eingeschränkt zeugungsfähig zu sein. Hat er sich geirrt? Bald häufen sich die Reibereien, schlägt der Streit in Gewalt um. Die Frau flieht mit ihrem Sohn ins Frauenhaus. Dort holt sie ihr Beinah-schwiegervater heraus, lässt sie bei sich im Haus wohnen. So sind die 43-Jährige, ihr Ex und sein Vater wieder unter einem Dach vereint, jeder in seiner eigenen Wohnung.
Und der Umgang der Bewohner wird vertrauter. Keine der Wohnungen ist, wie Polizisten bei einer Hausdurchsuchung feststellen, komplett eingerichtet. Mal fehlt es am Bett, mal an einer Küche. Und es gibt Hinweise, dass die Frau auch mit dem Opa ihrer Kinder, dem Vater von Fritz, ein intimes Verhältnis hatte. So stellte Richter Witzigmann im Urteil fest, auch der Senior komme als Vater eines oder mehrerer Buben in Betracht. In seinem Gutachten hatte das Landeskriminalamt nur die DNA der Kinder mit der des getesteten Fritz K. verglichen und eine 99,9 prozentige Übereinstimmung festgestellt. „Die Vaterschaft ist erwiesen.“
Was die Biologin des Universitätsinstituts für Rechtsmedizin in München für ihr erstes Gutachten nicht berücksichtigt konnte, weil sie es nicht wusste, dass auch der Vater von Fritz K. der Vater eines oder mehrerer dieser Kinder sein könnte. Dann, so die Sachverständige jetzt im Prozess, steht die Vaterschaft nur zu 50 Prozent fest. Vater und Sohn teilen sich zur Hälfte die Gen-merkmale. Um mehr sagen zu können, müsste im Labor Gen-material des Vaters untersucht werden, doch dieser ist seit Jahren schon tot. So könnte der Mann, der vor dem Gerichtssaal vergeblich auf seine Zeugenvernehmung wartete, zugleich Vater und Bruder eines der Kinder sein. Es bleibt ein Geheimnis. (*Namen geändert)