Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Zum Dopen nach Hawaii
Die „Operation Aderlass“läuft auf Hochtouren. Ein Doping-netzwerk wurde in Erfurt zerschlagen. Weitere Namen von Tätern gibt es noch nicht. Aber einen Verdacht
München Der kleine Raum im Erdgeschoss der Staatsanwaltschaft München I war rappelvoll, als gestern Vormittag um wenige Minuten nach 11 Uhr die Protagonisten den Raum betraten. Acht Kamerateams hatten Stellung bezogen, zwei Dutzend Journalisten aus Deutschland und Österreich saßen dicht gestaffelt. ORF und ZDF übertrugen die „Pressekonferenz zum zehnjährigen Bestehen der Schwerpunktstaatsanwaltschaft Doping“live in ihren Onlinekanälen. Das Jubiläum interessierte aber die wenigsten. Elektrisiert hatte folgender Satz auf der Einladung: „Die Staatsanwaltschaft wird (...) auch zu aktuellen Ermittlungserfolgen im Verfahren gegen den beschuldigten Erfurter Arzt und seine Helfer berichten.“
Im Umfeld der Nordischen SkiWM im österreichischen Seefeld hatte sich einer der größten DopingSkandale der jüngeren Vergangenheit abgespielt. Im Zentrum stand und steht ein Sportarzt aus Erfurt. Er hatte ein Netzwerk betrieben, das Spitzensportlern dabei half, Eigenblutdoping zu betreiben. Der Kronzeuge Johannes Dürr hatte die Fahnder auf dessen Spur gebracht. Während der WM in Seefeld schlugen diese vor Ort zu. Bei einer Razzia erwischten sie zwei österreichische Skilangläufer auf frischer Tat dabei, wie sie sich ihr Blut in den Körper zurückführten. Ein Video, das Max Hauke mit der Kanüle im Arm und von Polizisten umgeben in einem Hotelzimmer zeigte, kursierte kurz darauf im Internet.
In Erfurt wurde Mark S. verhaftet, der das Netzwerk leitete und gut daran verdiente. Zwischen 4000 und 12000 Euro habe er pro Saison und pro Athlet erhalten. „Schlank gerechnet macht das 100 000 Euro im Jahr“, sagte Oberstaatsanwalt Kai Gräber. In der Garage des Arztes fanden die Ermittler in einem Tiefkühlschrank rund 40 Beutel mit jeweils 500 Milliliter Blut, die momentan beim bayerischen Landeskriminalamt untersucht werden. Außerdem diverse Gerätschaften, die Mark S. aus den Beständen von Stefan Matschiner gekauft hatte. 50 000 Euro habe er laut Gräber dafür gezahlt. Der Verkäufer ist Österreicher und hatte einst Radprofis wie Bernhard Kohl und Michael Rasmussen beim Dopen geholfen. 2010 war Matschiner in Wien wegen versuchten Blutdopings und der Weitergabe von illegalen Dopingmitteln verurteilt worden.
Am Mittwoch sollte es zu all dem Neuigkeiten geben. Vielleicht sogar Namen von weiteren Dopingsündern? Was hatte die Auswertung der 40 Blutbeutel ergeben? Die hohen Erwartungen wurden nicht erfüllt. Aus ermittlungstaktischen Gründen könne er dazu nichts sagen, wiederholte Gräber immer wieder auch auf hartnäckige Nachfragen. Gräber leitet die Münchner Schwerpunktstaatsanwaltschaft, die sich seit zehn Jahren mit dem Thema Doping beschäftigt.
Deren größter Erfolg ist zweifellos der Schlag gegen das Erfurter Netzwerk, die Aktion firmiert unter dem Namen „Operation Aderlass“. Ins Visier der Staatsanwälte seien derzeit 21 Athleten aus fünf Sportarten (drei davon im Wintersport) aus acht europäischen Ländern ge- raten. Ob deutsche Sportler darunter sind? Keine Antwort. Aus ermittlungstaktischen Gründen. Welche Sportarten? Keine Antwort.
Klar ist nur, dass Mark S. mittlerweile vernommen wurde und „äußerst umfangreich“ausgesagt habe, wie Gräber bestätigte. Welche Namen er genannt hat? Keine Antwort. Gräber dazu: „Es sind Personen Gegenstand von Ermittlungen, die bisher noch nichts davon wissen. Weitere Informationen würden den Ermittlungserfolg gefährden.“
Interessant wurde es am Ende aber doch noch. Fast beiläufig erwähnte Gräber, dass das Netzwerk weltweit operiert habe. Unter anderem wurde Athleten in Deutschland, Österreich und der Schweiz Blut entnommen und wieder zurückgeführt. Aber auch in Südkorea und auf Hawaii. Im Februar 2018 hatten im südkoreanischen Pyeongchang die Olympischen Winterspiele stattgefunden. Auf Hawaii findet einmal im Jahr der weltweit wichtigste Ironman-wettbewerb statt. Ob und wie das in Zusammenhang steht? Keine Antwort. Aber zumindest ein vielsagendes Lächeln des Oberstaatsanwalts.
21 Athleten aus acht Ländern sind im Visier