Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Ist das Schreiben eines Briefs etwas Ungezogenes?
Unlängst wurde in einer der letzten Zeitungsausgaben getitelt: „Der Brief verschwindet“. Darin wurde die Meinung geäußert, dass heute kein Mensch mehr einen handgeschriebenen Brief bekommt. Keine ganz falsche Beobachtung. Aber an mir kann es nicht liegen. Ich schreibe täglich circa fünf handgeschriebene Briefe an Freunde, Bekannte und an Geschäftspartner, wenn man das als typischer „Freelancer“so sagen kann. Beschwert darüber hat sich bis heute kaum ein Adressat, auch wenn meine Handschrift eine sogenannte Ärzteklaue ist. Ich bin überzeugt, dass mein Kommunikationsverhalten durchaus eine Art ist, die den Adressaten ernst nimmt. Aber dennoch weiß ich, dass dies ein anachronistisches Unterfangen ist, eine nicht mehr zeitgemäße Form von Kommunikation.
Einer meiner Bekannten sagte (und das im Ernst), dass er keine Anrufe mit menschlicher Stimme mehr annimmt. Er ist der Meinung, einen Menschen mit Echtstimme zu bedrängen, sei ein Ausbund von Unhöflichkeit und Unverschämtheit. Er nimmt grundsätzlich nur Anrufe via Whatsapp oder SMS entgegen.
Als ich ihm gegenüber einmal klagte, dass ein Adressat („Geschäftspartner“) auf einen meiner Briefe nie geantwortet hätte, meinte er, der hat deinen Brief sicherlich gleich weggeworfen. Keiner habe mehr die Zeit, einen Brief zu öffnen und zu lesen. Er sagte auch, dass er mit seinem Kollegen - von denen er 40 Zentimeter entfernt sitze, im Büro nicht spreche, sondern nur per E-mail kommuniziere – wie die anderen Kollegen auch.
Da ich immer noch kein Handy besitze, sehe ich mich langsam in Sachen Kommunikation aufs Abstellgleis geschoben. Rufe ich heute vom Festnetz auf ein Handy an, kommt in 95 Prozent der Fälle die Ansage, die angerufene Person ist im Moment nicht zu erreichen und man möchte bitte eine Nachricht per SMS hinterlassen. So bleibt mir in vielen Fällen nichts anderes übrig, als einen Brief zu schreiben.
Mein Schreibtisch ist noch ein Schreibtisch im ursprünglichen Sinn. Papier und Tinte liegen da immer bereit. In dieser Kultur bin ich aufgewachsen. Na ja, mag ja sein, dass einige Empfänger verärgert reagieren, wenn ihnen das Lesen eines Briefs „oktroyiert“wird. Habe gelernt, das zu verstehen.
Wobei ich heute vieles, ehrlich gesagt, nicht mehr verstehe. Zum Beispiel, dass in Neusäß, wo ich wohne, 90 Prozent der Acht- bis 14-Jährigen ein Smartphone besitzen.
Fällt mir noch ein: Im eingangs erwähnten Artikel wird gemutmaßt, dass das Briefeschreiben möglicherweise auch deshalb nachgelassen hat, weil die Post zu viele Briefe verschlampt. Da immerhin muss ich eine Lanze für die viel gescholtene Post brechen: Meine Briefe, meistens noch dick bemalt, sind immer angekommen.
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An dieser Stelle blickt der Kabarettist Silvano Tuiach für uns auf das Geschehen in Augsburg und der Welt.