Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Im Fluss des stillen Betrachten­s

Die Medienküns­tlerin Bärbel Hische hat St. Anna temporär verändert. Sie spannt vor die Empore eine weiße Leinwand und erschafft mit Videos neue Bilder

- VON ALOIS KNOLLER

Es sollte eine ganz kleine Interventi­on werden. Doch jetzt durfte die Videokünst­lerin Bärbel Hische mit „White Silence“spektakulä­r in den Kirchenrau­m von St. Anna eingreifen. Auf die ganze Länge der südlichen Empore ließ sie eine 4,50 Meter hohe weiße Stoffbahn aufspannen als eine monumental­e Projektion­sleinwand für wechselnde kurze Filmsequen­zen. Knapp sechs Wochen lang verströmen diese stillen, beschaulic­hen Szenen ihre geheimnisv­olle Energie im Sakralraum.

Es sind jeweils Trilogien, die Bärbel Hische für St. Anna gedreht hat. Die kleinen Filme bestechen ebenso durch ihre Schlichthe­it wie durch ihre Ruhe: Ein roter Kinderball mit weißen Punkten tänzelt sich sanft drehend in einem Wassereime­r, eine leere Schaukel pendelt durch ein kahles Zimmer mit Fensterbli­ck in einen Park, Hände eines älteren Menschen knoten ein rotes Seil in gleichmäßi­gen Schlaufen. Es passiert nichts Spektakulä­res in diesen Videos, der Blick des Betrachter­s darf in aller Langsamkei­t die Szene aufnehmen, ehe das Bild abblendet und nach zwei Minuten ein anderes Schaufenst­er aufgeht. Als Abschluss sind dann jeweils alle drei Sequenzen simultan zu sehen.

Wer die drei Teile einer Folge genau ansieht, wird verbindend­e Elemente darin entdecken: etwa die immer gleiche, sich wiederhole­nde Bewegung des schwimmend­en Balls, der schwingend­en Schaukel und des Knotenknüp­fens. Oder die schaumigen Schlieren auf der Windschutz­scheibe in einer Autowascha­nlage, die Luftbläsch­en eines auftauchen­den Schwimmers im Bassin und die ausschauen­den Menschen am Meeresstra­nd, die das Spiel der Wellen betrachten. Fünf Zyklen sind zu entdecken, die im gleichförm­igen Rhythmus nacheinand­er in Stille ablaufen. Sie regen zu einer nachdenkli­ch-intuitiven Meditation an. Über immer gleiche Vollzüge des gelebten Lebens, über Werden und Vergehen, über Qualitäten des Materielle­n, über Bleiben und Weggehen. Kongenial passten dazu die ruhig fließenden Orgelstück­e von Arvo Pärt, die Michael Nonnenmach­er bei der Vernissage vortrug.

„Ich bin gespannt darauf, wie die Installati­on hier aufgenomme­n wird“, sagte die oldenburgi­sche Künstlerin bei der Eröffnung. In der strahlend hellen, evangelisc­hen Augsburger Barockkirc­he St. Anna sei sie so überwältig­t gewesen von der Menge an Kunstwerke­n und Kulturgüte­rn, dass sie sich fragte: Wie schaffe ich es, Ruhe in diese Kirche zu bringen? Die Idee zu der überdimens­ionierten Projektion­sleinwand war geboren. Das Weiß der Leinwand tat ein Übriges, den Sakralraum temporär erheblich zu verwandeln. Hinter der Leinwand verschwand ein Teil der Bilder, um mit den Projektion­en neue Bilder entstehen zu lassen.

Stadtdekan Michael Thoma, der Hausherr in St. Anna, glaubt, dass der ins Weiß verwandelt­e Raum „ein ganz besonderer Ort, Gottesdien­st zu feiern“, sein wird. Die Leinwand schließe Gewohntes zeitweise aus, während in den Videos Begegnunge­n, Sinnbilder und Augenblick­e menschlich­en Seins aufscheine­n. Tatkräftig realisiert wurde die Installati­on vom Kunstaussc­huss St. Anna und der Maxgalerie von Annette Urban und Wolfgang Reichert, finanziell unterstütz­t von den Freunden von St. Anna und der Kreisspark­asse Augsburg.

Bärbel Hische ist seit Abschluss ihres Studiums an der Hochschule der Künste Bremen (1987) in zahlreiche­n Einzel- und Gruppenaus­stellungen vertreten. Sie erarbeitet komplexe Installati­onen – auch im öffentlich­en Raum. In ihren künstleris­chen Werken verbindet sie Medien wie Malerei, Grafik, Fotografie und Objekte, die sich dann häufig in themengebu­ndenen Werkgruppe­n präsentier­en. Bärbel Hische lebt und arbeitet in Cloppenbur­g und in Potsdam. In Augsburg stellte sie bereits mehrmals aus, zuletzt 2017 in den „Petit Fours“in der Maxgalerie und 2009 in der Ecke-galerie.

Bis 20. November zu den Öffnungsze­iten von St. Anna (10 bis 18 Uhr, im November bis 17 Uhr; Montag 12 bis 17 Uhr), Eintritt frei. Am Mittwoch, 16. Oktober, 19.30 Uhr, erschließe­n bei einem ökumenisch­en Abend die Stadtdekan­e Michael Thoma (St. Anna) und Helmut Haug (St. Moritz) gemeinsam das Thema „Verhüllen und entdecken“.

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? „Ich bin gespannt, wie die Installati­on hier aufgenomme­n wird“, sagt die Oldenburge­r Künstlerin Bärbel Hische. In der St. Anna-kirche setzt sie mit Video-sequenzen auf einer großen weißen Leinwand einen Kontrapunk­t zu barocken Kunstwerke­n und Kulturgüte­rn.
Foto: Michael Hochgemuth „Ich bin gespannt, wie die Installati­on hier aufgenomme­n wird“, sagt die Oldenburge­r Künstlerin Bärbel Hische. In der St. Anna-kirche setzt sie mit Video-sequenzen auf einer großen weißen Leinwand einen Kontrapunk­t zu barocken Kunstwerke­n und Kulturgüte­rn.

Newspapers in German

Newspapers from Germany