Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)
Briefe an die Zeitung
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Heidenreichs Behauptung steht in schiefem Licht
Zu „Elke Heidenreichs Heimkehr in die Stadtbücherei“vom 12. Oktober: Urteile über menschliche Charaktere sind eine schwierige Sache. War der Literaturkritiker Reich-ranicki „eitel“? Wahrscheinlich ja, ist aber geschenkt. Wichtiger, allein sachdienlich wäre die Frage: War sein literarisches Urteil gut begründet? Stattdessen versteigt sich die Literaturkritikerin Heidenreich auf dem Literaturabend zu dem Satz: „Reich-ranicki war ein unfassbar böser Mensch.“Allein literarkritisch betrachtet ist dieser Satz ein Flop. Er bringt nicht weiter, sondern reißt ganz andere Probleme auf, nämlich moralische. Kein Mensch steht so hoch über einem anderen, dass er ein letztgültiges Urteil über seinen Charakter fällen kann. Man kann sagen: Mein Empfinden war, dass ...
Ist-sätze sind hier reine Überheblichkeit, zumal gegenüber Wehrlosen. Der Wahrheitsgehalt von Charakterurteilen übersteigt nie den einer Behauptung. Außerdem kann die Charakterlosigkeit eines „unfassbar Bösartigen“nicht überboten werden. Ich habe mir solche Worte deshalb aufgespart für Leute wie Goebbels. Unter dessen unfassbar bösen Politik hatte Reichranicki wegen seiner Herkunft vieles erlitten. Mit diesem unvermeidlichen Vergleich steht Frau Heidenreichs Behauptung in einem ganz schiefen Licht.
Klaus-peter Lehmann,
Augsburg