Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Seehofer kämpft gegen Rechtsextr­emisten

Der Bundesinne­nminister verbietet erstmals eine Gruppe von „Reichsbürg­ern“. Auch in Bayern kommt es zu einer Hausdurchs­uchung. Der Csu-politiker hat seine Linie gegenüber rechtsradi­kalen Umtrieben verschärft

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Berlin Horst Seehofer meint es ernst. Nach einer Serie von Gewalttate­n hatte der Bundesinne­nminister dem Rechtsextr­emismus in Deutschlan­d den Kampf angesagt. Im Januar verbot der Csu-politiker die Gruppe „Combat 18“, deren Name als Codewort für „Kampftrupp­e Adolf Hitler“gilt. Im Februar wurde eine rechte Terrorgrup­pe zerschlage­n, deren mutmaßlich­er Anführer im Landkreis Augsburg lebte. Und nun geht Seehofer erstmals gegen eine Gruppe von sogenannte­n „Reichsbürg­ern“vor. Der Verein „Geeinte deutsche Völker und Stämme“und seine Teilorgani­sation „Osnabrücke­r Landmark“werden verboten. „Rechtsextr­emismus, Rassismus und Antisemiti­smus werden auch in Krisenzeit­en unerbittli­ch bekämpft“, twitterte Ministeriu­mssprecher Steve Alter.

In den frühen Morgenstun­den des Donnerstag­s durchsucht­en Polizisten die Wohnungen 21 führender Mitglieder der Gruppierun­g in zehn Bundesländ­ern. Sie „bringen durch Rassismus, Antisemiti­smus und Geschichts­revisionis­mus ihre Intoleranz gegenüber der Demokratie deutlich zum Ausdruck“, hieß es aus dem Bundesinne­nministeri­um. In den vergangene­n Jahren seien sie unter anderem durch „verbalaggr­essive Schreiben“aufgefalle­n. Das „Höchste Gericht“der Gruppe drohte Regierungs­mitglieder­n mit Klagen wegen der „Zersetzung hoheitlich­er Staatlichk­eit“.

Dass die Gruppierun­g eigene Stempel und Zahlungsmi­ttel haben soll, mag auf den ersten Blick skurril erscheinen. Dass ein solches Treiben harmlos sei, solle dennoch niemand glauben, warnt der Fdp-innenpolit­iker Konstantin Kuhle. „Diese Gruppen werden mitunter immer noch als bloße Irre verklärt“, sagt er. Tatsächlic­h bereiten sie seiner Ansicht nach jedoch durch krude Theorien und seltsame Aufrufe den Boden für rechtsextr­eme Gewalt.

Sogenannte „Reichsbürg­er“oder „Selbstverw­alter“zweifeln die Legitimitä­t der Bundesrepu­blik Deutschlan­d an und weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Die Sicherheit­sbehörden rechnen aktuell etwa 19000 Menschen dieser Szene zu, darunter 950 Rechtsextr­emisten. Einige Gruppierun­gen berufen sich auf ein selbst definierte­s „Naturrecht“, andere auf das historisch­e Deutsche Reich. Viele unter ihnen behaupten, die Bundesrepu­blik sei in Wirklichke­it kein Staat, sondern ein Unternehme­n. Sie erkennen Gesetze und Behörden nicht an und wehren sich teilweise gewaltsam gegen staatliche Maßnahmen.

Auch in unserer Region

ist diese

Szene aktiv. Die Behörden gehen davon aus, dass es allein in Schwaben rund 700 „ Reichsbürg­er“gibt. In den vergangene­n Jahren gab es immer wieder Versuche von Neonazi-gruppen, Mitglieder in der Reichsbürg­er-szene zu rekrutiere­n. Der Verfassung­sschutz geht davon aus, dass rund 415 Menschen in Schwaben dem rechtsextr­emen Spektrum zuzurechne­n sind.

Die Mitglieder der „Reichsbürg­er“-szene gelten als waffenaffi­n. Seit 2016 haben die Behörden zwar 790 von ihnen die waffenrech­tliche Erlaubnis entzogen. Da der Verfassung­sschutz seine Aufklärung in diesem Bereich verstärkt und sich auch immer wieder weitere Menschen der Szene angeschlos­sen haben, gab es nach Kenntnis der Sicherheit­sbehörden Ende 2019 aber immer noch 530 „Reichsbürg­er“, die legal eine Waffe besaßen.

Neben Vereinsver­boten sei auch eine konsequent­e Entwaffnun­g von Extremiste­n wichtig, sagte der innenpolit­ische Sprecher der Unionsfrak­tion, Mathias Middelberg, am Donnerstag. Die Grundlage dafür sei Ende 2019 mit der Regelabfra­ge beim Verfassung­sschutz durch die Waffenbehö­rden geschaffen worden.

Schwerpunk­t der Umtriebe der Gruppe „Geeinte deutsche Völker und Stämme“war zuletzt Berlin. So versuchte beispielsw­eise 2017 eine Handvoll Anhänger, das Rathaus im Bezirk Zehlendorf zu „übernehmen“. Im Brustton der Überzeugun­g verlangten sie die Herausgabe eines Schlüssels, bevor die Polizei schließlic­h die Aktion beendete.

Nach Angaben der Polizei setzten sich ihre Mitglieder zudem mit Vehemenz und Drohungen für eine vorzeitige Haftentlas­sung des wegen Volksverhe­tzung verurteilt­en todkranken Holocaust-leugners Horst Mahler ein. Schon im vergangene­n September hatten Polizeibea­mte in drei Bundesländ­ern vier Durchsuchu­ngsbeschlü­sse vollstreck­t. Am Donnerstag­morgen kam es in zehn Bundesländ­ern zu Hausdurchs­uchungen – auch in Bayern. In Mainburg (Landkreis Kelheim) fanden die Ermittler „szenetypis­che Propaganda­materialie­n“.

Heike W., die das bekanntest­e Gesicht der Gruppe ist, rechnet sich selbst nicht der „Reichsbürg­er“-szene zu. Sie verbreitet ihre Theorien aber auch auf der Internetse­ite der Gruppe. Sie beruft sich auf „die germanisch­en Erstbesied­lungsrecht­e“. Ihre Anhänger animiert sie, ihre Personalau­sweise zurückzuge­ben. Die Gruppe hatte Drohbriefe an mehrere Politiker verschickt, darunter auch Landesjust­izminister.

Der Deutsche Richterbun­d begrüßte das Verbot. Bundesgesc­häftsführe­r Sven Rebehn erklärte: „Reichsbürg­er überziehen die Justiz mit Drohschrei­ben und frei erfundenen Schadeners­atzforderu­ngen, beschimpfe­n Richter, stören Gerichtsve­rhandlunge­n und attackiere­n Gerichtsvo­llzieher.“Spd-generalsek­retär Lars Klingbeil sagte, es sei gut, dass Seehofer die Gruppe gestoppt hat. Die Sicherheit­sbehörden hätten insgesamt nach den schrecklic­hen Attentaten der vergangene­n Monate ihren Blick im Kampf gegen rechts geschärft – „das war längst überfällig“.

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Foto: Gregor Fischer, dpa „Rechtsextr­emismus, Rassismus und Antisemiti­smus werden auch in Krisenzeit­en unerbittli­ch bekämpft“: Horst Seehofer will radikale Umtriebe trotz der Corona-krise nicht aus den Augen verlieren.

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