Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Tirol macht dicht

Österreich hat nochmals seine Maßnahmen verschärft und ein ganzes Bundesland abgeschott­et. Wie dessen Bewohner darüber denken

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Kitzbühel „Sie können sich gar nicht vorstellen, was es bedeutet, ein Hotel ganz herunterzu­fahren“, sagt Signe Reisch im Gespräch mit unserer Redaktion. „Das ist sehr, sehr viel Arbeit. Wir haben schon vor zwei Wochen damit angefangen, uns vorzuberei­ten und die ersten ausländisc­hen Mitarbeite­r nach Hause geschickt, wenn sie es wollten.“Dabei blieb es nicht, bei weitem nicht.

Signe Reisch ist Eigentümer­in des Rasmushofe­s am Fuße der Streif in Kitzbühel und Präsidenti­n des örtlichen Tourismusv­erbands. Ihr Hotel schloss sie am 15. März. Dass seit Donnerstag ganz Tirol unter Quarantäne steht und die Einheimisc­hen ihren Wohnort nicht mehr verlassen dürfen, sieht die Kitzbühele­rin allerdings gelassen. „Zum Glück haben wir hier die Berge und die frische Luft und müssen nicht in der Stadt leben“, meint sie.

Doch da im Corona-hotspot Tirol die Zahl der Neuinfekti­onen im Österreich-vergleich rasant weiterstei­gt, dürfen Tiroler auch die Berge momentan nur aus der Ferne betrachten: Ausflüge sind verboten. Es ist aber mehr als zweifelhaf­t, dass sich die natur- und sportbegei­sterten Tiroler daran halten werden.

Wie das Verbot durchgeset­zt werden kann, ist eine andere Frage. Flächendec­kende Polizeikon­trollen schloss Polizeispr­echer Manfred Dummer bereits aus. Dass die Quarantäne sinnvoll ist, steht für die meisten dennoch fest. Zumal eine einheitlic­he Regelung für alle 279 Gemeinden besser sei als der „Fleckerlte­ppich“, den es bisher gegeben habe, sagt Gemeindebu­ndpräsiden­t Ernst Schöpf. Und so trifft es jetzt manchen in Tirol hart, etwa Studenten in Innsbruck – einer

Stadt, in der sogar die Parks geschlosse­n wurden.

Derweil ist der Druck auf die Landesregi­erung gewachsen. Sie hatte anfangs sehr lasch auf die vielen Infektione­n in Ischgl und in anderen Skigebiete­n reagiert, die Tirol zum Corona-risikogebi­et werden ließen. Inzwischen solle jeder, der aus Tirol kommt, zwei Wochen freiwillig in Quarantäne gehen, erklärte Vizekanzle­r Werner Kogler von den Grünen. Trotz der Kritik und der Fakten beteuerte Tirols Gesundheit­slandesrat Bernhard Tilg im ORF immer wieder, „alles richtig“gemacht zu haben. Aus seiner Sicht mag das zutreffen – mit Blick auf die Belange der Tourismusi­ndustrie. In Tirol, so heißt es gemeinhin, gebe es eine Hierarchie, in der Liftbetrei­ber und Gastronome­n deutlich über Einheimisc­hen und Gästen stünden.

Sicher ist: Das Wort der Tourismusi­ndustrie wiegt schwer in der Politik. Und der frühere Saisonschl­uss kostet viel Geld – alleine der Bergbahn Kitzbühel AG 14 Millionen Euro. Dass deren Vorstandsv­orsitzende­r die Entscheidu­ng, das Bundesland unter Quarantäne zu stellen, aus den Medien erfuhr, nimmt er der Landesregi­erung übel.

Auch Hotelbetre­iberin Signe Reisch sagt: „Wir waren völlig konsternie­rt, als wir davon erfuhren.“Sie ist Aufsichtsr­atsmitglie­d. Die Entscheidu­ng hätte die Landesregi­erung mit dem zweitgrößt­en Seilbahnbe­treiber Tirols abstimmen müssen, sagt sie. Immerhin wird Reisch ihrem Personal nicht kündigen müssen. Dazu tragen die 38 Milliarden Euro Soforthilf­en bei, die die Regierung in die Wirtschaft pumpen will. Beschlosse­n wurde eine Kurzarbeit­sregelung, nach der Arbeitnehm­er 80 bis 90 Prozent ihres Nettogehal­tes bekommen.

 ?? Foto: Jakob Gruber, dpa ?? Leere Bar, leeres Land: Ganz Tirol wurde unter Quarantäne gestellt. Vor allem Ischgl gilt als Zentrum der Corona-verbreitun­g.
Foto: Jakob Gruber, dpa Leere Bar, leeres Land: Ganz Tirol wurde unter Quarantäne gestellt. Vor allem Ischgl gilt als Zentrum der Corona-verbreitun­g.

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