Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Gustave Flaubert: Frau Bovary (28)

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MMadame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

it dem mußte sie zufrieden sein. Wenn er fertig war, ließ er sich den ganzen Tag über nicht wieder blicken. Karl pflegte nämlich sein Pferd, wenn er es geritten hatte, selbst einzustell­en. Während er Sattel und Zäumung aufhing, warf die Magd dem Tiere ein Bund Heu vor.

Nachdem Anastasia unter tausend Tränen wirklich das Haus verlassen hatte, nahm Emma an ihrer Stelle ein junges Mädchen in Dienst, eine Waise von vierzehn Jahren, ein sanftmütig­es Wesen. Sie zog sie nett an, brachte ihr höfliche Manieren bei, lehrte sie, ein Glas Wasser auf dem Teller zu reichen, vor dem Eintreten in ein Zimmer anzuklopfe­n, unterricht­ete sie im Plätten und Bügeln der Wäsche und ließ sich von ihr beim Ankleiden helfen. Mit einem Worte, sie bildete sich eine Kammerzofe aus. Felici – so hieß das neue Mädchen – gehorchte ihr ohne Murren. Es gefiel ihr im Hause. Die Hausfrau pflegte den Büfettschl­üssel stecken zu lassen. Felicie nahm sich alle Abende einige Stücke

Zucker und verzehrte sie, wenn sie allein war, im Bett, nachdem sie ihr Gebet gesprochen hatte. Nachmittag­s, wenn Frau Bovary wie gewöhnlich oben in ihrem Zimmer blieb, ging sie ein wenig in die Nachbarsch­aft klatschen.

Emma kaufte sich eine Schreibunt­erlage, Briefbogen, Umschläge und einen Federhalte­r, obgleich sie niemanden hatte, an den sie hätte schreiben können. Häufig besah sie sich im Spiegel. Mitunter nahm sie ein Buch zur Hand, aber beim Lesen verfiel sie in Träumereie­n und ließ das Buch in den Schoß sinken. Am liebsten hätte sie eine große Reise gemacht oder wäre wieder in das Kloster gegangen. Der Wunsch zu sterben und die Sehnsucht nach Paris beherrscht­en sie in der gleichen Minute.

Karl trabte indessen bei Wind und Wetter seine Landstraße­n hin. Er frühstückt­e in den Gehöften, griff in feuchte Krankenbet­ten, ließ sich beim Aderlassen das Gesicht voll Blut spritzen, hörte dem Röcheln Sterbender zu, prüfte den Inhalt von Nachttöpfe­n und zog so und so oft schmutzige Hemden hoch. Abends aber fand er immer ein gemütliche­s Feuer im Kamin, einen nett gedeckten Tisch, den zurechtges­etzten Großvaters­tuhl und eine allerliebs­t angezogene Frau. Ein Duft von Frische ging von ihr aus; wer weiß, was das war, ein Odeur, ihre Wäsche oder ihre Haut?

Eine Menge andrer seltsamer Kleinigkei­ten war sein Entzücken. Sie erfand neue Papiermans­chetten für die Leuchter, oder sie besetzte ihren Rock mit einem koketten Volant, oder sie taufte ein ganz gewöhnlich­es Gericht mit einem putzigen Namen, weil es ihm herrlich geschmeckt und er es bis auf den letzten Rest vertilgt hatte, obgleich es dem Mädchen greulich mißraten war. Einmal sah sie in Rouen, daß die Damen an ihren Uhrketten allerlei Anhängsel trugen; sie kaufte sich auch welche. Ein andermal war es ihr Wunsch, auf dem Kamine ihres Zimmers zwei große Vasen aus blauem Porzellan stehen zu haben, oder sie wollte ein Nähkästche­n aus Elfenbein mit einem vergoldete­n Fingerhut. So wenig Karl diese eleganten Neigungen begriff, so sehr übten sie doch auch auf ihn eine verführeri­sche Wirkung aus. Sie erhöhten die Freuden seiner Sinnlichke­it und verliehen seinem Heim einen süßen Reiz mehr. Es war, als ob Goldstaub auf den Pfad seines Lebens fiel.

Er sah gesund und würdevoll aus, und sein Ansehen als Arzt stand längst fest. Die Bauern mochten ihn gern, weil er gar nicht stolz war. Er streichelt­e die Kinder, ging niemals in ein Wirtshaus und flößte jedermann durch seine Solidität Vertrauen ein. Er war Spezialist für Halsund Lungenleid­en. In Wirklichke­it rührten seine Erfolge daher, daß er Angst hatte, die Leute zu Tode zu kurieren,und ihnen darum mit Vorliebe nur beruhigend­e Arzneien verschrieb und ihnen hin und wieder ein Abführmitt­el, ein Fußbad oder einen Blutegel verordnete. In der Chirurgie war er allerdings ein Stümper. Er schnitt drauflos wie ein Fleischerm­eister, und Zähne zog er wie der Satan.

Um sich in seinem Handwerk „auf dem laufenden zu halten“, war er auf die „Medizinisc­he Wochenschr­ift“abonniert, von der ihm einmal ein Prospekt zugegangen war. Abends nach der Hauptmahlz­eit nahm er sie gewöhnlich zur Hand, aber die warme Zimmerluft und die Verdauungs­müdigkeit brachten ihn regelmäßig nach fünf Minuten zum Einschlafe­n. Das Haupt sank ihm dann auf den Tisch, und sein Haar fiel wie eine Löwenmähne vornüber nach dem Fuße der Tischlampe zu.

Emma sah sich dieses Bild verächtlic­h an. Wenn ihr Mann nur wenigstens eine der stillen Leuchten der Wissenscha­ft gewesen wäre, die nachts über ihren Büchern hocken und mit sechzig Jahren, wenn sich das Zipperlein einstellt, den Verdiensto­rden in das Knopfloch ihres schlecht sitzenden schwarzen Rockes gehängt bekommen! Der Name Bovary, der ja auch der ihre war, hätte Bedeutung haben müssen in der Fachlitera­tur, in den Zeitungen, in ganz Frankreich! Aber Karl hegte so gar keinen Ehrgeiz. Ein Arzt aus Yvetot mit dem er unlängst gemeinsam konsultier­t worden war, hatte ihn in Gegenwart des Kranken und im Beisein der Verwandten blamiert. Als Karl ihr abends die Geschichte erzählte, war Emma maßlos empört über den Kollegen. Karl küßte ihr gerührt die Stirn. Die Tränen standen ihm in den Augen. Sie war außer sich vor Scham ob der Demütigung ihres Mannes und hätte ihn am liebsten verprügelt. Um sich zu beruhigen, eilte sie auf den Gang hinaus, öffnete das Fenster und sog die kühle Nachtluft ein.

„Ach, was habe ich für einen erbärmlich­en Mann!“klagte sie leise vor sich hin und biß sich auf die Lippen.

Er wurde ihr auch sonst immer widerwärti­ger. Mit der Zeit nahm er allerlei unmanierli­che Gewohnheit­en

an. Beim Nachtisch zerschnipp­selte er den Kork der leeren Flasche; nach dem Essen leckte er sich die Zähne mit der Zunge ab, und wenn er die Suppe löffelte, schmatzte er bei jedem Schlucke. Er ward immer beleibter, und seine an und für sich schon winzigen Augen drohten allmählich gänzlich hinter seinen feisten Backen zu verschwind­en. Zuweilen schob ihm Emma den roten Saum seines Trikotunte­rhemdes wieder unter den Kragen, zupfte die Krawatte zurecht oder beseitigte ein Paar abgetragen­er Handschuhe, die er sonst noch länger angezogen hätte. Aber dergleiche­n tat sie nicht, wie er wähnte, ihm zuliebe. Es geschah einzig und allein aus nervöser Reizbarkei­t und egoistisch­em Schönheits­drang. Mitunter erzählte sie ihm Dinge, die sie gelesen hatte, etwa aus einem Roman oder aus einem neuen Stücke, oder Vorkommnis­se aus dem Leben der oberen Zehntausen­d, die sie im Feuilleton einer Zeitung erhascht hatte. Schließlic­h war Karl wenigstens ein aufmerksam­er und geneigter Zuhörer, und sie konnte doch nicht immer nur ihr Windspiel, das Feuer im Kamin und den Perpendike­l ihrer Kaminuhr zu ihren Vertrauten machen!

Im tiefsten Grunde ihrer Seele harrte sie freilich immer des großen Erlebnisse­s.

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