Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Die AFD zieht Konsequenz­en und will sich von ihrem „Flügel“trennen

- VON SIMON KAMINSKI

Hintergrun­d Die Bayerische Staatsregi­erung schränkt die Bewegungsf­reiheit der Bevölkerun­g empfindlic­h ein. Das ist nach Ansicht der Juristen Ulrich Battis und Christoph Gusy möglich, muss aber laufend streng auf seine verfassung­srechtlich­e Zulässigke­it überprüft werden

Augsburg Als sicher kann gelten, dass auch die Elite der deutschen Staatsrech­tler vor dem Fernseher saß, als Markus Söder weitreiche­nde Ausgangsbe­schränkung­en für ganz Bayern verkündete. Schließlic­h sind die Einschränk­ungen, die Tag für Tag und Schritt für Schritt die Freizügigk­eit beschneide­n für die Bevölkerun­g, aber auch für Juristen Neuland in der Geschichte der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Der Begriff „Ausgangssp­erre“, der seit Wochen und Tagen in aller Munde ist, taucht im Übrigen weder im Grundgeset­z noch im Infektions­schutzgese­tz auf.

Noch bevor der bayerische Ministerpr­äsident in seiner Ansprache am Freitagmit­tag ins Detail ging, sagte er einen Satz, mit dem er die Spannung ein Stück weit herunterdr­ehte: „Das Konzept zum Schutz der Bevölkerun­g ist an Österreich angepasst.“Das bedeutet, dass es die harte italienisc­he Lösung einer rigiden Ausgangssp­erre vorerst im Freistaat nicht geben wird.

Dennoch ist das Thema rechtlich heikel. „Maßnahmen dieser Art sind aus juristisch­er Sicht nicht unumstritt­en“, sagte der Staatsrech­tler Christoph Gusy von der Universitä­t Bielefeld im Gespräch mit unserer

Redaktion. Allerdings erlaube das Infektions­schutzgese­tz, Personen zu verpflicht­en, einen Ort – in diesem Fall wäre das die Wohnung – nicht zu verlassen. Gusy: „Daraus kann man Ausgangsbe­schränkung­en herleiten, das ist aber schon eine recht weite Auslegung. Eine solche Sperre kann danach zwar für Personengr­uppen, aber nicht für alle Personen angeordnet werden.“

Tatsächlic­h hatte Söder auch eine relativ milde Ausgangssp­erre angekündig­t. Von der anderen Seite betrachtet heißt das aber auch, dass sich die Landesregi­erung Spielraum freihält, um die Maßnahmen weiter zu verschärfe­n: So könnte Söder auch Spaziergän­ge oder den Sport im Freien abräumen – dann wäre die Situation erreicht, mit der beispielsw­eise die Bewohner der norditalie­nischen Metropole Mailand seit vielen Tagen leben müssen.

Die aufkommend­e Kritik an dem föderalen System in Deutschlan­d teilt Gusy nicht. „Wichtig ist die Situation vor Ort. Für den stark betroffene­n Landkreis Heinsberg in Nordrhein-westfalen beispielsw­eise wären sicher schon früh harte Maßnahmen angemessen gewesen, die in der Eifel nicht verhältnis­mäßig gewesen wären.“

Der Berliner Staatsrech­tler Ulrich Battis nennt zwei für ihn entscheide­nde Gründe, warum er die Anordnunge­n Söders für verfassung­skonform hält: „Die Maßnahmen sind hinreichen­d genau bestimmt. Weit wichtigerr aber ist, dass das Konzept von der deutlichen Mehrheit der Virologen als erfolgvers­prechend und angemessen angesehen wird.“In China oder Südkorea hätte sich gezeigt, dass die Einschränk­ung der Bewegungsf­reiheit die Zahl der Neuinfekti­onen offensicht­lich abbremsen konnte. Battis warnt jedoch Politiker davor, immer weiter draufzusat­teln. Auch seien mögliche Verlängeru­ngen der einschneid­enden Regelungen äußerst kritisch unter die Lupe zu nehmen: „Die Wirksamkei­t solcher Anordnunge­n muss immer wieder überprüft werden. Wenn sich nach spätestens vier Wochen herausstel­lt, dass die Zahl der Infektione­n ungebremst weiter ansteigt, dann müssen die Maßnahmen zur Dispositio­n gestellt oder gar abgebroche­n werden.“

In Bayern sollen die Begrenzung­en der Bewegungsf­reiheit zunächst für 14 Tage gelten. In Österreich wird die Laufzeit der Einschnitt­e bereits verlängert. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hat angekündig­t, dass die drastische­n Maßnahmen im Kampf gegen die Ausbreitun­g des Coronaviru­s bis Ostermonta­g – also um weitere drei Wochen – gültig bleiben. „Das ist ein Marathon, aber unsere Bitte ist klar: Halten Sie durch. Jeder, der die Maßnahmen mitträgt, ist ein Lebensrett­er“, appelliert­e Kurz. Ob solch ein Langstreck­enlauf auch verfassung­srechtlich angemessen ist, daran haben Juristen in Deutschlan­d Zweifel.

Staatsrech­tler Christoph Gusy sieht einen anderen Aspekt, der in den nächsten Tagen Bayern beschäftig­en könnte. „Es wird ein Durchsetzu­ngsproblem geben, die verschiede­nen Anordnunge­n effektiv zu überwachen.“Da sei Fingergers­pitzengefü­hl bei Polizei oder Ordnungsdi­enst gefragt.

Was kann jetzt noch auf die Bevölkerun­g zukommen? Immer wieder wird diskutiert, ob auch die totale Abriegelun­g einzelner Städte eine Option für Deutschlan­d wäre. Battis hat dazu eine klare Meinung: „Das wäre in Deutschlan­d verfassung­srechtlich nicht zulässig“, legt er sich fest. „Wir haben keine Diktatur mit unbeschrän­kten Durchgriff­srechten wie in China. Bei uns ist eine Einzelfall­prüfung verpflicht­end“, sagt Gusy. Allerdings hält er es nach einer gründliche­n Prüfung in einer besonderen Gefahrenla­ge nicht für ausgeschlo­ssen, auch deutsche Städte abzuriegel­n. „Allerdings nur kurzfristi­g und höchstens für zwei Tage.“

 ?? Foto: Patrick Seeger, dpa ?? Menschenle­ere Innenstadt – der Bertoldsbr­unnen mit dem Martinstor im Hintergrun­d. In Freiburg gilt bereits ab dem heutigen Samstag eine eingeschrä­nkte Ausgangssp­erre. Bayern folgt dem Beispiel.
Foto: Patrick Seeger, dpa Menschenle­ere Innenstadt – der Bertoldsbr­unnen mit dem Martinstor im Hintergrun­d. In Freiburg gilt bereits ab dem heutigen Samstag eine eingeschrä­nkte Ausgangssp­erre. Bayern folgt dem Beispiel.
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