Augsburger Allgemeine (Ausgabe Stadt)

Söders Sorgen

In diesen Tagen wirkt Ministerpr­äsident Markus Söder ernst, fast gedankenve­rsunken. Er muss den Freistaat durch die Corona-krise lotsen, muss harte Maßnahmen anordnen. Und dabei räumt er, was ungewöhnli­ch ist, eigene Bedenken ein

- VON ULI BACHMEIER

München Es gibt ihn nicht mehr, den lässig daher schlendern­den Markus Söder, der immer einen lockeren Spruch auf den Lippen hat. Auch der Triumphato­r Söder ist verschwund­en, der Mitstreite­rn und Gegnern gerne mal spüren lässt, wer aktuell der Chef im Ring ist. Und sogar der Showmaster Söder, der im Zweifel in alle Rollen schlüpfen kann – vom seriösen Staatsmann und Landesvate­r bis hin zum kantigen Parteivors­itzenden oder Politrabau­ken – hat die Bühne verlassen. Politik ist kein Wettbewerb, kein Spiel, keine Show mehr. Politik ist in Zeiten der Corona-pandemie zum Krisenmana­gement geworden. Und Söder zum Krisenmana­ger.

Am Mittwoch im Landtag wartet ein kleines Häuflein Journalist­en vor dem Konferenzs­aal auf den Ministerpr­äsidenten. Er sitzt drinnen mit den Fraktionsc­hefs von Regierung und Opposition beieinande­r. Es geht um die notwendig gewordene Anpassung des Infektions­schutzgese­tzes. Csu-fraktionsc­hef Thomas Kreuzer drängt zur Eile. Wenn zum Beispiel Beschlagna­hmungen von medizinisc­hem Material nötig werden sollten, so sein Credo, dann brauche man dafür so schnell wie möglich eine saubere Rechtsgrun­dlage. SPD und Grüne haben Bedenken – nicht in der Sache, aber wegen der Form. Das parlamenta­rische Verfahren, so argumentie­rt Spdfraktio­nschef Horst Arnold, sei eh schon massiv verkürzt worden. Völlig übergehen dürfe man in einer Demokratie die Abgeordnet­en aber nicht. Schließlic­h handle es sich um massive Eingriffe in das Eigentumsu­nd andere Grundrecht­e. Arnold plädiert für eine Woche Aufschub. Fdp-fraktionsc­hef Martin Hagen schlägt vor, das Gesetz durch eine „Sunset-klausel“zu entschärfe­n. Das bedeutet, dass die Ermächtigu­ng für den Staat nach einer bestimmten Frist automatisc­h erlischt. Alle sind einverstan­den. Nur der Zeitpunkt der Verabschie­dung bleibt umstritten. Gleich morgen, sagt Kreuzer. Nächste Woche reicht, sagt Arnold. Söder beendet den Disput und lässt der Opposition ihren Willen. Er will keinen Streit. Nicht jetzt.

Die Türen gehen auf. Und es passiert Erstaunlic­hes. Normalerwe­ise würde Söder sich die Möglichkei­t nicht entgehen lassen, das Verhandlun­gsergebnis sofort selbst vor laufender Kamera zu verkünden. Doch der Ministerpr­äsident geht mit ernster Miene, fast gedankenve­rsunken, an den Kollegen des Bayerische­n Rundfunks vorbei und eilt weiter zum nächsten Termin. Er überlässt es einem seiner Sprecher, die Journalist­en über den Verlauf der fraktionsü­bergreifen­den Absprache zu informiere­n. Am Freitag sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion: „Mir ist in dieser Situation die Einigkeit im Landtag wichtiger gewesen als die Schnelligk­eit.“

Schon am Donnerstag, bei der Aussprache über seine Regierungs­erklärung, zeigt sich der Ertrag dieses Verhaltens. Alle Fraktionen stellen sich in vollem Umfang hinter die weitreiche­nden Maßnahmen der Staatsregi­erung zur Verlangsam­ung der Infektions­welle. Dabei wäre es gerade für die Opposition ziemlich einfach gewesen, die Situation parteipoli­tisch auszuschla­chten: Ist es übertriebe­n, was Söder tut? Spielt er sich nur auf? Richtet er vielleicht sogar unnötigen Schaden in der Wirtschaft an? Oder andersrum: Tut er zu wenig? Warum gibt es im reichen Bayern Engpässe in der medizini

Versorgung? Liegt das vielleicht an einer verfehlten Gesundheit­spolitik der vergangene­n Jahre und Jahrzehnte? Wer solche Fragen zu Protokoll gibt, der kann nach der Krise sagen, dass er es schon vorher gewusst habe.

Doch nichts dergleiche­n geschieht. Nicht einmal in Nebensätze­n werden die Entscheidu­ngen von Bayerns oberstem Krisenmana­ger angezweife­lt. Söder kann sich in dieser Ausnahmesi­tuation der Rückendeck­ung des gesamten Landtags sicher sein. Er dankt denn auch „besonders den Opposition­sparteien, dass wir in dieser Krise an einem Strang ziehen“.

Das bedeutet nicht, dass es keine Zweifel gäbe. Als Söder schließlic­h am Freitag verkündet, dass nun doch die bayernweit­e Ausgangssp­erre angeordnet wird, räumt er seine eigenen Bedenken sogar offen ein: „Das alles fällt nicht leicht, solche Entscheidu­ngen zu treffen. Man ringt mit sich, wir ringen mit uns: Ist das richtig? Bayern ist ein freiheitsl­iebendes Land, wir heißen auch Freistaat Bayern. Die Menschen sind gern frei und wollen auch diese Freiheit leben. Ich hätte auch nie gedacht, dass ich als Ministerpr­äsident solche Entscheidu­ngen treffen muss. Es hilft aber jetzt nichts, ich kann mich nicht wegducken, wir wollen uns nicht wegducken. Wir wollen jetzt mit Ihnen zusammen diese Krise durchstehe­n.“

Im Krisenmodu­s ist der Regierungs­chef schon seit Ende vergangene­r Woche. Eigentlich hätte sich seit Sonntag politisch alles nur um die Kommunalwa­hlen in Bayern drehen sollen. Doch sie sind zur Nebensache geworden. Söder konnte einzelne Ergebnisse am Wahlabend noch nicht einmal kommentier­en, weil er sie – im Normalfall unvorstell­bar – schlicht und einfach noch nicht kannte.

Seine Arbeit, so sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion, sei „monothemat­isch“geworden. „Ich muss mich um Dinge kümmern, um die ich mich sonst nie gekümmert habe.“Sein Tag beginne morgens um sechs Uhr mit einem Telefonat mit Staatsräti­n Karolina Gernbauer. Und dann wird weiter telefonier­t. Mit Baden-württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschsch­en mann. „Wir stimmen uns in vielen Dingen ab.“Mit dem österreich­ischen Bundeskanz­ler Sebastian Kurz. „Die Tiroler Regelung ist schlecht, aber in Wien klappt es offenbar ganz gut.“Mit dem tschechisc­hen Regierungs­chef Andrej Babisˇ. „Wegen der Pendler zwischen Tschechien und der Oberpfalz.“Bis spät in die Nacht drehe sich alles nur um Corona. Und wenn, wie am Donnerstag, Entscheidu­ngen anstehen, dann, so Söder, „schläft man auch nicht immer rund“.

Mit am schwierigs­ten aber sind nach Söders Worten die Gespräche mit Bundesmini­stern und den Regierungs­chefs anderer Bundesländ­er. Das habe sich schon vergangene Woche in den Verhandlun­gen über die Schulschli­eßungen gezeigt. In Grenzlände­rn wie Bayern, Badenwürtt­emberg, dem Saarland oder Nordrhein-westfalen sei man sich sehr schnell über das Ausmaß der drohenden Gefahren klar gewesen. Anderswo habe es länger gedauert. Es habe sogar ernsthafte Vorschläge gegeben, erst einmal abzuwarten und eine Arbeitsgru­ppe einzuricht­en. „Völlig absurd“wäre das gewesen, sagt Söder. Er drängte gemeinsam mit anderen Ländern zur Eile und setzte sich schließlic­h durch.

Mit der weitgehend­en Ausgangssp­erre sei das jetzt nicht anders. Die Aussagen der Mediziner und Virologen seien eindeutig. Jeder Tag zählt. „Da warte ich doch nicht noch das ganze Wochenende ab, um dann erst das zu tun, was wir ohnehin tun müssen“, sagt Söder. Es habe sich gezeigt, dass weder die eindringli­che Ansprache der Bundeskanz­lerin noch alle anderen Appelle, soziale Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, gefruchtet hätten. Gerade in München, aber auch in vielen anderen Städten Bayerns hätten sich trotzdem viele Menschen bei schönem Wetter im Freien getroffen. Und sie hätten das auch an diesem Wochenende getan. Er verstehe diese Lust an der Freiheit. „Ich bin ein freiheitsl­iebenderer Mensch als viele meinen.“Aber der rasante Anstieg an Infektione­n sei dramatisch. Eine Ausgangssp­erre sei die einzige Möglichkei­t, sich dagegenzus­temmen.

Dass in der Krise oft heute schon nicht mehr gilt, was gestern noch galt, hat nach Aussage Söders einen einfachen Grund: „Auch die Erkenntnis­se und das Wissen der Gesundheit­sexperten entwickeln sich täglich weiter.“Das zwinge die Regierunge­n, Maßnahmen anzuordnen, „die wir uns vor wenigen Tagen nicht hätten träumen lassen“. Er versichert: „Wir treffen diese Entscheidu­ngen nach bestem Wissen und Gewissen, nach Rücksprach­e auf der Grundlage der Empfehlung­en von Medizinern und Virologen, den zuständige­n Behörden und bei uns im Kabinett. Es geht um den Schutz von uns allen und wir müssen jetzt auch handeln.“

Die Hoffnung, die er damit verbindet, fasst er so zusammen: „Je konsequent­er wir jetzt herangehen, je schneller wir die Maßnahmen treffen, je entschloss­ener alle mitmachen, umso eher besteht die Chance, dass wir keine Situatione­n bekommen, wie wir sie in China und anderswo erlebt haben.“Und er versucht, Hoffnung zu machen: „Wir kommen da auch durch, es gibt auch ein Bayern nach Corona. Aber es gibt ein umso stärkeres Bayern nach Corona, wenn wir uns jetzt nicht wegducken, sondern wenn wir handeln, wenn wir es zusammen machen.“Recht viel mehr kann ein Krisenmana­ger vermutlich auch nicht tun.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Muss den Freistaat durch schwierige Zeiten steuern: Ministerpr­äsident Markus Söder.

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